Betrachtungstext: 5. Woche im Jahreskreis – Montag

Jesus revolutioniert die Orte, in die er kommt – Die tiefste Freude entdecken – Ein Glaube, der auf die Liebe zu Gott gründet

DIE ANKUNFT einer bedeutenden Persönlichkeit löst an den Orten, an denen sie erscheint, in der Regel eine kleine Revolution aus, vor allem wenn diese Orte an Großereignisse nicht gewöhnt sind. In den Dörfern Galiläas herrschte in der Regel die Ruhe der Routine, der Rhythmus eines Lebens, das von den immer gleichen Abläufen und vom Anblick immer derselben Menschen geprägt war. Daher stellte die Ankunft Jesu, wie etwa in Gennesaret, alles auf den Kopf. Sobald man ihn erkannte (Mk 6,54), ging die Nachricht in Windeseile von Mund zu Mund – niemand wollte die Chance seines Lebens verpassen. Die Plätze der Dörfer, durch die er kam, füllten sich mit Kranken, und das Geräusch der Bahren, die am Boden abgestellt wurden, wurde weithin zum bestimmenden Geräusch.

„Der Gottessohn hat uns in seiner Menschwerdung zur Revolution der Zärtlichkeit eingeladen“1, schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika über die Glaubensverkündigung. Und man kann sich leicht vorstellen, dass der Blick Jesu Zärtlichkeit ausstrahlte, wenn er von einem Kranken zum anderen ging und jeden heilte oder wenn er, andere Male, in einzelnen Menschen – durch die Vergebung ihrer Sünden (vgl. Mk 2,5) – die wahre Revolution auslöste. Allerdings erfordert diese Revolution einen Vorlauf: Die Leute mussten ihn kennen, von ihm zumindest gehört haben. Denn nur wer in der Lage ist, ihn zu erkennen, kann von Christus geheilt werden. Dies war in Galiläa der Fall: Das Evangelium berichtet, dass man ihn sogleich erkannte, als sie aus dem Boot stiegen. Vielleicht können wir, wie die Heiligen es taten, damit beginnen, für die anderen Jesus zu sein, indem wir ihre Wunden zärtlich betrachten. Und indem wir die kleinen Dienste, die wir an unseren Freunden oder in unserer Familie verrichten, mit Jesus Christus gemeinsam verrichten (vgl. Mt 25,40). Der heilige Josefmaria lud uns dazu ein, „darüber nachzudenken, dass, wenn wir Christen wirklich nach unserem Glauben lebten, dies zur gewaltigsten Revolution aller Zeiten führen würde2.


WENN WIR das Geschehen aus der Ferne betrachten, sehen wir unseren Herrn von Aufregung, Lärm und Geschrei umgeben, während Menschen zusammenströmen und versuchen, an ihn heranzukommen. Doch wir möchten das Geschehen auch aus der Nähe betrachten, um zu entdecken, was im Herzen Jesu vor sich geht. Neben der Zärtlichkeit in seinem Blick besteht kein Zweifel daran, dass die Freude der geheilten Menschen auch den Herrn erfasste, der sich über das zu freuen wusste, was andere glücklich machte. Der heilige Paulus wird uns dann auffordern, uns mitzufreuen mit jenen, die sich freuen (vgl. Röm 12,15), weil er weiß, dass dies die Haltung eines Menschen ist, der die Gesinnung Christi teilt (vgl. Phil 2,5).

Allerdings ist uns bewusst, dass Jesus nicht gekommen ist, um uns die flüchtige Freude einer physischen Heilung zu bringen. Wenige Zeit später, auf dem Weg nach Golgatha, so schrieb der heilige Josefmaria, „sieht der Herr rechts und links von sich die Volksmenge dahintreiben, wie eine Herde ohne Hirt. Jeden einzelnen könnte er bei seinem Namen rufen, jeden einzelnen, auch uns. Hier sind sie, (...) die er von ihren Leiden heilte.3 Jesus wusste nämlich, dass einige diesen Tag bald aus ihrem Gedächtnis streichen und die Wunder vergessen würden, die der Messias in ihrem Leben gewirkt hatte.

Die Menschen in Gennesaret wurden sicherlich geheilt, weil sie an die Macht Jesu glaubten, Wunder zu vollbringen. Doch vielleicht blieben ihre Herzen auf halbem Weg stehen; sie suchten den Herrn nur, solange er ihnen unmittelbar etwas bieten konnte, sie entdeckten nicht die tiefe Freude des Lebens mit Jesus, die Papst Benedikt so beschreibt: „Die christliche Freude entspringt dieser Gewissheit: Gott ist nahe, er ist mit mir, er ist mit uns, in Freud und Leid, in Gesundheit und Krankheit (...). Und diese Freude bleibt auch in der Prüfung, im Leid, und sie bleibt nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe des Menschen, der sich Gott anvertraut und auf ihn vertraut.4


WENN WIR das, was in Gennesaret geschah – als die Menschenmenge auf der Suche nach Heilung herbeieilte –, mit dem vergleichen, was auf Golgatha geschah – als die Menschenmenge die Kreuzigung Jesu verlangte –, kann uns dies helfen, langsam und ehrlich zu überlegen, was wir denn suchen, wenn wir Jesus suchen. Johannes, der so gut wusste, was im Herzen Christi vor sich ging, gibt uns einen Tipp, um unseren Glauben zu reinigen: Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen (1 Joh 4,16). Das ist etwas, das wir in schwierigeren Momenten, wenn der Herr aus unserer Sicht schläft oder seine Macht nicht einsetzen will, manchmal, ohne zu wollen, vergessen.

Denn das ist sicherlich eine der großen Herausforderungen des Glaubens: das Geheimnis des Willens Gottes anzunehmen, wenn der Herr seine Macht nicht so einsetzt, wie wir es für das Beste halten. Es ist leicht, an Jesus zu glauben, wenn wir Zeugen eines Wunders werden; schwierig wird es, wenn wir Zeugen von Umständen werden, in denen wir fälschlicherweise glauben, dass Gott nicht eingreift. Manchmal verhalten wir uns, ohne es zu merken, wie diejenigen, die auf Golgatha schrien: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist doch der König von Israel! Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, dann werden wir an ihn glauben (Mt 27,42).

So oft erleben wir Ungerechtigkeit, Misshandlung und Schmerz, die uns an der Gegenwart Gottes zweifeln lassen können. Der Apostel Johannes erlebte das Gleiche: Stürme, Verfolgungen, das Martyrium des Täufers und der anderen elf Apostel. Mehr noch: Johannes hat den Kalvarienberg erlebt, und paradoxerweise ist es genau das, was ihn behaupten lässt, dass er die Liebe Gottes erkannt und gläubig angenommen hat. Gerade die Tatsache, dass der Herr nicht vom Kreuz herabsteigt, hat uns gelehrt, dass die Revolution der Zärtlichkeit keine Anhäufung schöner Ereignisse ist, sondern die Gegenwart einer Liebe, die sich bis in die letzten Konsequenzen hingibt. Papst Franziskus ermunterte uns einmal mit diesen Worten: „Die Erfahrung der Zärtlichkeit besteht darin, zu erkennen, dass die Macht Gottes uns gerade durch das erreicht, was uns schwächt.“5 Maria, unsere Mutter, ist diejenige, die die Liebe Gottes am besten versteht: Sie wird uns helfen, ihn besser kennenzulernen und fester an ihn zu glauben.


1 Vgl. Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 88.

2 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 945.

3 Hl. Josefmaria, Kreuzweg, Station III.

4 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 16.12.2007.

5 Franziskus, Audienz, 19.1.2022.