Die ersten Jahre der Ehe

Wenn man beginnt, mit einem Menschen zusammen zu leben, tauchen unterschiedliche und tief verwurzelte Gewohnheiten und Sichtweisen auf, die wir respektieren und akzeptieren sollen. Hier geht es darum, wie wir die Fundamente der Liebe legen können.

Die Entscheidung ist gefallen. Die Verlobungszeit, in der die Echtheit der Liebe geprüft werden soll, hat ihre Aufgabe erfüllt, so dass man sagen kann: Er ist es! Sie ist es! Die Verlobten haben einander in dieser Zeit geholfen, die nötigen Tugenden für das Gelingen einer lebenslangen ehelichen Gemeinschaft zu erwerben.

Wir haben uns nicht in ein vorgefertigtes Phantombild unserer Phantasie verliebt, denn damit hätten wir die Erfahrung der Liebe blockiert. Die Liebe erscheint ja immer wie eine Offenbarung, wie ein völlig neuer unvorhersehbarer Ruf, und deswegen ist sie so wunderbar. Vor mir steht ein wirklicher Mensch, und damit beginnt für mich die faszinierende Aufgabe, ihn nach und nach zu entdecken. Die Liebe besteht ja irgendwie auch darin, dass sich die Liebenden gegenseitig entdecken und einander offenbaren.

Lieben bedeutet Großzügigkeit, Freigebigkeit, und die Kunst, ein Programm für das ganze Leben zu gestalten. „An erster Stelle steht, dass ihr euch sehr gern haben müsst (…)“, empfiehlt der hl. Josefmaria. „Und dann solltet ihr keine Angst vor dem Leben haben. Ihr sollt auch alle Fehler eures Partners lieben, solange sie keine Beleidigung Gottes bedeuten.“ Und dann sagt er: „Du hast schon gehört und weißt ganz genau, dass du deinem Mann gehörst und er dir.“ In diesem Zusammenhang rät er: „Ihr sollt auch ein bisschen zusammen beten. Nicht viel, aber jeden Tag ein wenig. Mach ihm niemals Vorwürfe und quäle ihn nicht mit lächerlichen Kleinigkeiten.“ 1

In den ersten Ehejahren treffen zwei psychologische Profile, zwei persönliche Biografien, zwei familiäre Traditionen und zwei Lebensstile aufeinander und müssen miteinander vereinbart werden. Dabei geht es nicht darum, vom Partner zu verlangen, er möge mir zuliebe die eigene Persönlichkeit aufgeben. „Wenn mein Mann die eigene Persönlichkeit aufgibt, was bleibt dann noch für mich zu lieben übrig?“ 2 Man heiratet ja nicht, um die eigene Persönlichkeit aufzugeben, sondern damit man eine neue Persönlichkeit dazu gewinnt, nämlich den Ehemann oder die Ehefrau.

Erziehung der Gefühle für die Liebe

In den ersten Monaten und Jahren des gemeinsamen Lebens ist die Erziehung der Gefühle lebenswichtig. Jeder Partner empfindet, genau wie alle Menschen überhaupt, große Sympathie für die in seiner eigenen Familie üblich gewesene Art, verschiedene Dinge zu handhaben, denn im Gefühlsbereich ist er eben so erzogen worden. Dazu gehören zum Beispiel Ordnung, Stundenplan und zeitliche Abläufe, familiäre Gewohnheiten, gesellschaftliche Gepflogenheiten, Erziehungsrichtlinien, Verhalten und Umgangsformen, die Wohnungseinrichtung, die Anordnung von Tischutensilien und vom Inhalt der Schränke usw. Es kann sein, dass jemand in tausend Dingen nicht der gleichen Meinung war, wie seine Eltern, aber sein ganzes Empfinden ist durch diese frühere Familienbiografie geformt worden, die nicht mehr getilgt werden kann, und mit diesen Gewohnheiten und Gepflogenheiten fühlt er sich einfach am wohlsten.

Nach der Hochzeit muss man allerdings mit diesen Vorlieben radikal aufräumen. Das heißt nicht, dass man sie komplett aufgibt, sondern dass man sie genauso behandeln muss, wie die Gewohnheiten, die der Partner in die Ehe mitgebracht hat. All dies sollte sich aus dem gegenseitigen Vertrauen ergeben, das das Vertrauen Gottes in jeden von uns widerspiegelt.

In einem Kommentar des zweiten Kapitels der Genesis über die Schöpfung erklärt Papst Franziskus: „So war der Mann: Ihm fehlte etwas, um zu seiner Fülle zu gelangen, ihm fehlte die wechselseitige Entsprechung“. Das Bild von der »Rippe« „ist durchaus kein Ausdruck von Minderwertigkeit oder Unterordnung, sondern spricht im Gegenteil davon, dass Mann und Frau aus derselben Substanz bestehen, einander ergänzen und auch wechselseitig entsprechen. (…) Sie legt auch noch etwas anderes nahe: Um die Frau zu finden – und wir können sagen: um die Liebe in der Frau zu finden –, muss der Mann zunächst von ihr träumen, und dann findet er sie. Das Vertrauen Gottes in den Mann und in die Frau, denen er die Erde anvertraut, ist großherzig, unmittelbar und vollkommen. Er vertraut ihnen. Dann aber flößt der Böse ihrem Verstand den Verdacht, den Unglauben, das Misstrauen ein. (…) Auch wir spüren ihn oft in uns, alle. Die Sünde erzeugt Misstrauen und Spaltung zwischen dem Mann und der Frau.“ 3

Das „Wir“, aus dem die Ehe besteht, muss mit den persönlichen Erlebnissen eines jeden Partners aufgebaut werden, ohne dass man dabei schon von vornherein den Erfahrungen des einen oder des anderen größere Bedeutung beimessen würde. Beide müssen gemeinsam abwägen und entscheiden, welche Lebensweise und welche kleinen Familientraditionen das gemeinsame Projekt bestimmen sollen. Die Ehe besteht nicht darin, mit jemandem zusammenzuleben, der zu meinem eigenen persönlichen Entwurf einer Ehe dazukommt. Es geht vielmehr darum, mit diesem Menschen gemeinsam das einzigartige und unwiederholbare Eheprojekt zu gestalten, das man dann allen gegenüber, und sogar den nächsten Freunden und Verwandten gegenüber vertreten möchte.

Dieser respektvolle Umgang mit der Familienkultur des Ehegatten ist sehr hilfreich für die Beziehung zur angeheirateten Familie. Wir treffen besser den richtigen und liebevollen Ton im Umgang mit der Familie unserer Frau oder unseres Mannes, wenn wir genauere Kenntnis von ihrem Familienstil haben, den wir im täglichen Zusammenleben erworben und assimiliert haben.

Wenn wir dabei gleichzeitig imstande sind, in unserer Ehe und Familie einen eigenen Stil mit deutlich ausgeprägten charakteristischen Merkmalen zu entwickeln, die gut zu identifizieren sind, dann wird die Verwandtschaft beider Partner die Identität der Ehe und der Familie respektieren, die wir ins Leben gerufen haben. Wenn unsere Familie hingegen ein eher verschwommenes Gebilde ist, dann könnten andere Leute auf die Idee kommen, uns Modelle anzubieten, denen wir folgen könnten. Sie würden sich in gut gemeinter, aber doch ungeziemender Weise in unsere Angelegenheiten einmischen, und dies umso eher tun, je lieber sie uns haben.

Ein solches gemeinsames Wir-Projekt zu schaffen, bringt aber unweigerlich auch beiderseitiges Nachgeben und Verzichte mit sich. Es ist dabei sehr wahrscheinlich, dass uns einige neue Gewohnheiten fremd erscheinen, so dass es uns anfangs schwer fallen wird, uns damit zu identifizieren. Das macht aber nichts. Wenn Liebe und inneres Gleichgewicht vorhanden sind, dann ist es nur eine Frage der Zeit. Mit vielen Gewohnheiten, zum Beispiel mit Frömmigkeitsübungen ist es uns genauso ergangen. Sie sind uns eigenartig vorgekommen, als wir sie kennengelernt haben. Mit der Zeit haben wir sie aber in unser Leben aufgenommen und empfinden sie sogar als Teil unseres Ich.

In den ersten Jahren müssen wir auch unseren Lebensstil festlegen, wie wir es mit Freizeit und Vergnügen, Ausgaben, Arbeit, gemeinsamen Plänen, ehrenamtlichen Tätigkeiten oder Sozialarbeit halten wollen, und wie wir unser persönliches und familiäres Frömmigkeitsleben und viele andere Aktivitäten gestalten wollen, die sich in Zukunft noch ergeben werden.

Die Kommunikation soll auf den Partner ausgerichtet sein

Die Kommunikation betrifft sämtliche Facetten der Person. Wir tauschen uns in jedem Augenblick mit allem und mit allen aus, aber es bleibt trotz allem eine Kunst, in der man noch weitere Fortschritte machen kann. Wir können hier dieses Thema nicht tiefer behandeln, aber es kann von Nutzen sein, das Thema der Kommunikation in der Ehe von seinem Sinn und seiner Bedeutung her zu beleuchten.

Wenn die Kommunikation ein spontanes und nicht sehr wichtiges Vorhaben betrifft, (zum Beispiel ob mir jemand einen Einkauf machen oder einen Dienst leisten kann), dann konzentriert sich mein Interesse auf mich selbst, während die Maßnahmen, die ich treffe, eine Änderung in der angesprochenen Person bewirken sollen (dass sie mir etwas einkauft). Soll die Mitteilung aber etwas Wichtigeres und Dauerhafteres bewirken (zum Beispiel die Verbesserung einer Geschäftsbeziehung), dann konzentriert sich mein Interesse auf diese Beziehung selbst und die durchgeführten Maßnahmen betreffen beide involvierten Personen (ich gebe in einigen unwichtigeren Belangen nach, erwarte aber gleichzeitig, dass der Partner das ebenfalls tut). Wenn die Kommunikation aber etwas ganz Innerliches und Entscheidendes erreichen möchte (jemanden für immer zu lieben), dann konzentriert sich das Interesse auf den Partner, und die durchgeführten Maßnahmen beziehen sich auf mich selbst (ich möchte mich ändern, um dich glücklich zu machen).

Man könnte also sagen, dass ich in dem Maße, in dem ich mich auf mich selbst konzentriere, vom anderen erwarte, dass er sich ändert und sich meinen Wünschen anpasst; wenn ich mich hingegen auf den Partner konzentriere, dann versuche ich, mich selbst zu ändern und mich ihm anzupassen.

Das ist die richtige Einstellung: „Bei allen Beziehungsproblemen sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass es eine einzige Person gibt, die etwas tun muss, um die Situation zu verbessern: ich selbst. Und das ist immer möglich. Normalerweise meint man jedoch, dass der Ehepartner sich ändern müsste, und das erreicht man fast nie (…). Wenn du deinen Partner ändern möchtest, dann musst du dich selbst als Erster in irgendeiner Hinsicht ändern.“ 4

Fruchtbarkeit der Liebe und des Lebens

Die ersten Ehejahre sind der geeignete Zeitpunkt, um die Fundamente der Liebe zu bauen. Und die natürliche Grundlage der Liebe, jeder Liebe ist die Fruchtbarkeit. Jede Liebe ist fruchtbar, sie möchte sich ausdehnen und ist in geistlicher und materieller Beziehung fruchtbar. Sterilität hat noch nie etwas mit Liebe zu tun gehabt. Die Liebe ist weder knausrig noch schäbig. Das Maß der Liebe ist Lieben ohne Maß, sagte der hl. Augustinus.

Eine auf Berechnung, Kontrolle und Einschränkung begründete Liebe verleugnet sich selbst. Liebe verströmt sich immer und neigt zum Ungewöhnlichen, sie geht aus sich heraus und sieht aufs Detail, sie ist reich an Aufmerksamkeiten, sie verschenkt ihre Zeit und ihre Widmung, und schenkt auch Kinder, wenn sie von Gott geschickt werden, zumindest tut sie es der Absicht nach.

Aber über die zu jeder Liebe gehörende, alle Bereiche umfassende Fruchtbarkeit hinaus besitzt die Ehe noch eine besondere natürliche Möglichkeit, die sie von den anderen Formen der menschlichen Liebe unterscheidet, nämlich die Möglichkeit, Leben weiterzugeben in den Kindern. „So ist es die grundlegende Aufgabe der Familie, dem Leben zu dienen, im Laufe der Geschichte den Ursegen des Schöpfers zu verwirklichen, in der Zeugung das Gottebenbild von Mensch zu Mensch weiterzugeben (Vgl. Gen 5, 1-3).“ 5

In diesem Bereich gehört also die Fruchtbarkeit, wenigstens dem Verlangen nach, zur Liebe, denn die biologische Fruchtbarkeit hängt nicht immer nur von uns selbst ab. Es ist eine Tatsache, dass manche Ehepaare keine Kinder bekommen können, aber gerade in ihrer Öffnung dem Partner und der ganzen Gesellschaft gegenüber von beispielhafter Fruchtbarkeit sind. Wenn sich die eheliche Liebe absichtlich der möglichen Weitergabe des Lebens verweigert, dann ist diese Liebe tot und verleugnet sich selbst, und von ehelich kann bei ihr natürlich gar nicht die Rede sein.

Die Anzahl der Kinder ist eine weitere Frage. Wer kann die Liebe in Zahlen ausdrücken? Mehr noch, wer kann die Liebe anderer nach Zahlen beurteilen? Man muss sehr vorsichtig sein und darf niemanden verurteilen, denn es kann Gründe geben dafür, dass man den Abstand zwischen den Geburten vergrößert und dabei doch die natürlichen Gegebenheiten in den ehelichen Beziehungen respektiert. Aber das Grundprinzip muss klar sein: zur Liebe gehört die Fruchtbarkeit, nicht die Sterilität. Und da die Kinder menschliche Personen sind, überlegt man jedes einzelne liebevoll in Freiheit und Großzügigkeit.

J. Vidal-Quadras

1 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen von einem Familientreffen, Santiago de Chile, 7.7.1974.

2 M. Brancatisano, La gran aventura .

3 Papst Franziskus, Generalaudienz, 22.4.2015.

4 U. Borghello, Le crisi dell’amore , 2003.

5 Hl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio , Nr. 28.