DIE KÜRZE unseres Lebens und die Gewissheit, dass unser Dasein auf Erden ein Ende hat, können uns zu Schaffen machen. Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von Heeren eingeschlossen wird, dann erkennt ihr, dass seine Verwüstung bevorsteht. (…) Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres (Lk 21,20-25), sagt Jesus in seiner so genannten eschatologischen Rede, die uns die Liturgie heute vorlegt. Als wenige Jahre später Heere Jerusalem belagerten, flohen, wie berichtet wird, tatsächlich einige Christen, die sich an die Worte Jesu erinnerten, nach Transjordanien.
Eine ähnliche lebensbedrohliche Erfahrung hatten die Apostel schon gemacht – auf stürmischer See, als große Wellen das Boot zu versenken drohten. Sie erinnerten sich noch gut daran, wie inmitten der Angst Jesus aufgestanden war und die Wasser wie auch ihre Herzen beruhigt hatte. Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?, fragte er damals. Papst Franziskus erklärte einmal: „Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir die Erlösung brauchen. Wir sind nicht unabhängig, ohne den Herrn gehen wir unter. Wir haben Jesus so nötig wie die alten Seefahrer die Sterne. Laden wir ihn in das ,Boot‘ unseres Lebens ein! Übergeben wir ihm unsere Ängste, damit er sie verwandle! Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden. Denn das ist Gottes Stärke: Er wendet alles, was uns widerfährt – selbst das Schlechte –, zum Guten. Er befriedet unsere Stürme und gibt unserem Leben Halt, denn mit Gott an Bord ist unser Leben niemals verloren“1
Der heilige Josefmaria blickte voll Zuversicht den ,Letzten Dingen‘ entgegen, die uns die Kirche in diesen Tagen zur Betrachtung vorlegt. Manche Menschen, so sagte er, „lähmt der Tod, und sie sind entsetzt. – Uns weckt der Tod – er ist das Leben – auf und treibt uns voran. Für sie ist er das Ende, für uns der Anfang.“2
AUF antiken Sarkophagen wird Christus oft als guter Hirte dargestellt. In der römischen Kunst symbolisierte der Hirte ursprünglich die Sehnsucht nach einem einfachen und friedlichen Leben inmitten der Hektik der Großstadt. Papst Benedikt XVI. erklärte, dass dieses Bild durch die christliche Deutung eine tiefere Bedeutung erhielt: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir... (Ps 23, 1.4). „Der wahre Hirt ist derjenige, der auch den Weg durch das Tal des Todes kennt; der auf der Straße der letzten Einsamkeit, in der niemand mich begleiten kann, mit mir geht und mich hindurch führt: Er hat diese Straße selbst durchschritten; ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, hat ihn besiegt und ist zurückgekehrt, um uns nun zu begleiten und uns die Gewissheit zu geben, dass es für uns mit ihm zusammen einen Weg hindurch gibt. Dieses Bewusstsein, dass es ihn gibt, der mich auch im Tod begleitet und der mir mit seinem Stock und Stab Zuversicht schenkt, so dass ich kein Unheil zu fürchten brauche (Ps 23, 4) – dies war die neue ,Hoffnung‘, die über dem Leben der Glaubenden aufging.“3
Der Augenblick wird kommen, wann und wie Gott es will, in dem der Herr uns in seine Gegenwart rufen wird. Die Kirche legt dem Priester, der einem Sterbenden beisteht, für diese Momente folgende Worte in den Mund: „Mache dich auf den Weg, (...). Heute noch sei dir im Frieden eine Stätte bereitet, deine Wohnung bei Gott (...), mit der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, mit dem heiligen Josef und mit allen Engeln und Heiligen Gottes. (...) Ich empfehle dich dem allmächtigen Gott. Ihm vertraue ich dich an, dessen Geschöpf du bist. Kehre heim zu deinem Schöpfer, der dich aus dem Staub der Erde gebildet hat.“4 Der Gedanke, dass wir diese Welt mit nichts verlassen werden, kann uns helfen, mit größerer Leichtigkeit zu leben, um uns im Schrittmaß Gottes zu bewegen. Was ist wirklich wichtig? Was sollten wir im Herzen bewahren, um, wenn die Zeit gekommen ist, die Schwelle vom irdischen Leben in die Ewigkeit in Frieden überschreiten zu können? Wir wissen, dass nur die Liebe ewigen Bestand hat. Wir gewinnen Ewigkeit, indem wir uns jeden Tag und in allem, was wir tun, in Liebe hingeben.
ZU WISSEN, dass unsere Zeit begrenzt ist, verleiht unserem Leben eine besondere Dringlichkeit, unseren Sendungsauftrag zu erfüllen, den wir mit der Taufe bekommen haben. Es motiviert uns, jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte, und uns darum zu bemühen, das größte Geschenk – das ewige Glück – mit unseren Mitmenschen zu teilen. Schritt für Schritt, mit Geduld und Unterscheidungsvermögen, werden wir erkennen, wie Gott in den Herzen der Menschen wirken möchte und welche Wege er für sie bereitet. Doch wir dürfen dabei nicht vergessen, dass jeder Moment einzigartig ist und die Zeit unwiederbringlich verrinnt. In der „Spur des Sämanns“ lesen wir: „Der Herr hat dich ,Freund‘ genannt. Dieser Ruf verlangt eine Antwort und einen raschen, vorwärts drängenden Schritt – im Schrittmaß Gottes!“5
Der Prälat, Fernando Ocáriz, erinnert uns in einem Brief: „Der Christ wünscht seinen Freunden das größte Glück: die Beziehung zu Christus. Beten wir, wie es der heilige Josefmaria tat: ,Jesus, forme unser Herz nach deinem Herzen!‘ Das ist der Weg. Erst wenn wir uns mit den Gefühlen Christi vereinigen – seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht (Phil 2,5) –, können wir die Freude Christi durch unsere Freundschaft in unsere Familien, an unsere Arbeitsplätze und überallhin tragen.“6
Ein Leben in Einheit mit den Gefühlen des Herrn, ohne Angst vor dem Tod, der uns in den Himmel führt, und mit dem Wunsch, die Menschen, die wir lieben, zu diesem Glück hinzuführen – das könnte eine treffende Zusammenfassung des christlichen Lebens sein. Unser Ziel ist es, in Gottes Gegenwart einzutreten, umgeben von unseren Familien und Freunden, und das ewige Leben mit Jesus und Maria zu teilen.
1 Franziskus, Predigt beim Gebet in der Pandemie, 27.3.2020.
2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 738.
3 Benedikt XVI., Enz. Spe salvi, Nr. 6.
4 Die Feier der Krankensakramente, Gebet vor dem Verscheiden, S. 131.
5 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 629.
6 Mons. Fernando Ocáriz, Pastoralbrief, 1.11.2019, Nr. 23.