HEUTE FEIERN wir das Fest der Apostel Simon Kananäus und Judas Thaddäus. In den Auflistungen der Zwölf Apostel wurden sie stets gemeinsam genannt, weshalb auch im liturgischen Kalender ihre Gedenktage nicht voneinander getrennt sind. Gemäß alter Überlieferung predigten sie das Evangelium in Mesopotamien, das heute zu Teilen des Irak und Syriens gehört, und erlitten dort das Martyrium.
Im Lukasevangelium wird Simon als „Zelot“ bezeichnet (Lk 6,15), ein aramäisches Wort, das wie das hebräische „Kananäus“, welches bei Matthäus und Markus verwendet wird, „eifrig“ oder „leidenschaftlich“ bedeutet. Die Zeloten waren eine Bewegung, die sich gegen die römische Herrschaft auflehnte, indem sie Steuerverweigerung und Aufstände propagierten. Es ist möglich, dass Simon mit diesen Ideen sympathisierte. Papst Benedikt erklärte, sein Beiname deute zumindest darauf hin, dass Simon von leidenschaftlichem Eifer für die jüdische Identität, für Gott, sein Volk und das göttliche Gesetz erfüllt war. „Wenn das zutrifft“, so der Papst weiter, „steht Simon in diametralem Gegensatz zu Matthäus, der als Zöllner einer Tätigkeit nachgegangen war, die als ganz und gar unrein angesehen wurde. Das zeigt, dass Jesus seine Jünger und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten sozialen und religiösen Schichten beruft, ohne jemanden von vornherein auszuschließen. Ihn interessieren die Menschen, nicht die gesellschaftlichen Kategorien oder Etiketten!“1
Trotz ihrer Unterschiede lebten die Apostel Seite an Seite, denn Jesus war der Grund für ihre Einheit. Papst Benedikt zog daraus die Lehre: „Das ist eine deutliche Botschaft für uns, die wir oft dazu neigen, die Unterschiede und vielleicht auch die Gegensätze hervorzuheben. Dabei vergessen wir, dass uns in Jesus Christus die Kraft gegeben ist, unsere Konflikte zu überwinden.“2 Der Prälat des Werkes lädt uns ein, die christliche Brüderlichkeit zu leben und „Diskriminierungen zu vermeiden, die aufgrund von Unterschieden entstehen könnten. Diese Verschiedenheit ist immer wieder ein Reichtum an Charakteren, Empfindungsvermögen, Interessen usw.“3 Der heilige Simon zeigt uns, dass es möglich ist, andere Menschen jenseits von natürlichen Sympathien oder Antipathien zu lieben, indem wir einander, wie der heilige Josefmaria schrieb, „als wahre Brüder und Schwestern lieben, mit dem Umgang und Verständnis von Menschen, die eine geeinte Familie bilden.“4
JUDAS Thaddäus, dessen Beiname ,der Großmütige‘ bedeutet, stellte Jesus beim Letzten Abendmahl eine kühne Frage: Herr, wie kommt es, dass du dich nur uns offenbaren willst und nicht der Welt? (Joh 14,22). Diese Frage könnten wir uns auch heute stellen: Warum hat Jesus sich nach seiner Auferstehung nicht spektakulärer gezeigt? Warum hat er sich nicht als Sieger über seine Feinde präsentiert? Und warum wählte er nur eine kleine Gruppe von Jüngern, damit sie Zeugen seiner Auferstehung seien?
Die Antwort Jesu scheint auf den ersten Blick rätselhaft, führt uns aber in das tiefere Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und den Menschen sowie in den wahren Sinn seines Todes und seiner Auferstehung ein: Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen (Joh 14,23). Hingegen, so fährt der Herr fort, wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht (Joh 14,24). Der heilige Josefmaria kommentierte dazu: „Das heißt, der Auferstandene muss auch mit dem Herzen gesehen und erkannt werden, damit Gott in uns Wohnung nehmen kann. Der Herr möchte nicht einfach ein Objekt sein, das man betrachtet, sondern er will in unser Leben eintreten. Daher erfordert seine Offenbarung ein offenes Herz. Nur so können wir den auferstandenen Herrn wirklich erkennen.“5
Manchmal sehnen wir uns vielleicht danach, dass Jesus in unserem Leben oder in den Ereignissen der Welt sichtbarer und unmittelbarer eingreift, so wie er es manchmal tat, als er auf Erden wandelte. Doch das entspricht nicht Gottes Art. Jesus Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist, zeigt sich auf eine Weise, die zugleich strahlend und diskret ist. Er fordert von uns Sensibilität und die Bereitschaft, ihn in den alltäglichen Momenten zu erkennen. In der unbeachteten Schönheit oder im drohenden Schmerz, in den Begegnungen und Trennungen, die unser Leben prägen, überall bietet uns Jesus seine helfende Hand an, damit wir großherzig daran mitwirken, sein Reich der Liebe auszubreiten. So verstehen wir, was der heilige Josefmaria meinte, als er sagte, dass Christus „in den Herzen der Kinder Gottes herrschen will“. Man denke dabei nicht an irdische Machtausübung. „Christus unterjocht nicht und will sich nicht durchsetzen, denn Er ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (Mt 20,28). Seine Herrschaft ist Friede, Freude, Gerechtigkeit.“6
DER HEILIGE Judas Thaddäus wird traditionell als Verfasser eines neutestamentlichen Briefes angesehen, der zu den sogenannten katholischen Briefen zählt. Diese Briefe richten sich an alle Christen, nicht nur an die Gläubigen einer bestimmten Stadt. In seiner Begrüßung wendet er sich an die Berufenen, die in Gott, dem Vater, geliebt und für Jesus Christus bewahrt sind (Jud 1,1). Danach warnt er die Christen vor moralischen und lehrmäßigen Verirrungen, die sich in die Kirche eingeschlichen haben und zu Spaltungen führten. Viele dieser Probleme beruhten auf einem falschen Verständnis der christlichen Freiheit, wonach unseres Gottes Gnade mit einem zügellosen Leben (Jud 1,4) verwechselt wurde.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Freiheit als die Möglichkeit verstanden, tun und lassen zu können, was man möchte. Papst Franziskus stellte jedoch klar, dass „die egoistische Freiheit, zu tun, was ich will, keine wahre Freiheit ist, weil sie nur auf sich selbst zurückfällt und unfruchtbar bleibt. Die Liebe Christi hat uns befreit, und sie befreit uns auch von der schlimmsten Knechtschaft – der Knechtschaft des eigenen Ichs. Wahre Freiheit wächst durch die Liebe. Aber Vorsicht: nicht durch die Liebe, wie wir sie aus Telenovelas kennen, oder durch die Leidenschaft, die nur das sucht, was uns gefällt, sondern durch die Liebe, die wir in Christus sehen – die Liebe zu den anderen. Das ist die wahrhaft freie und befreiende Liebe.“7
Der heilige Judas Thaddäus ermutigt die Christen daher am Ende seines Briefes, in der Liebe Gottes zu verbleiben (vgl. Jud 1,20), was bedeutet, immer nach dem Vorbild Jesu zu handeln: den anderen zu dienen und sich selbst großherzig zu verschenken. Judas hatte erkannt, dass es möglich ist, sogar den Tod „in der vollkommenen Freiheit der Liebe“8 zu erleiden, wie der heilige Josefmaria sagte. Maria, die Königin der Apostel, möge uns dabei helfen, den Herrn mit dem Eifer und der Großherzigkeit dieser zwei Apostel zu lieben.
1 Benedikt XVI., Katechese, 11.10.2006.
2 Ebd.
3 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 16.2.2023, Nr. 6.
4 Hl. Josefmaria, Brief 30, Nr. 28.
5 Ebd.
6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 93.
7 Franziskus, Audienz, 20.10.2021.
8 Hl. Josefmaria, Kreuzweg, 10. Station.