EINES TAGES, während Jesus predigte, meldete sich eine Frau aus der Menge zu Wort und pries seine Mutter: Selig der Schoß, der dich getragen, und die Brust, die dich gestillt hat! (Lk 11,27). An der Hand der Kirche gehen wir in der Dankeskette heute noch weiter in die Vergangenheit zurück. Im Eingangsvers der Messe lädt die Liturgie uns ein: „Lasst uns Joachim und Anna ehren, durch die der Herr alle Völker gesegnet hat.“1 Und mit Jesus Sirach blicken wir danach auf noch frühere Generationen zurück und loben sie: Preisen wir nun die berühmten Männer, unsere Väter der Abstammung nach. Diese waren Männer des Erbarmens, deren gerechte Taten nicht vergessen worden sind. Bei ihren Nachkommen hat es Bestand und ein gutes Erbe sind ihre Nachfahren (Sir 44,1.10-11).
Gott ist Mensch geworden, mit allen Konsequenzen. Als Maria den Sohn Gottes in ihrem Schoß empfing, empfing ihn ihre Familie mit ihr: eine Familie mit Wurzeln und Geschichte, in der die Barmherzigkeit Gottes und die Entscheidungen vieler Männer und Frauen miteinander verflochten sind. Jesus ließ sich von diesem Erbe prägen. Es formte die Züge seiner Persönlichkeit und verlieh ihm eine Vergangenheit, Bindungen, Bräuche und Traditionen. Der Herr ist gänzlich in dieses Haus eingetreten, wie wir im Zwischengesang beten: Das ist für immer der Ort meiner Ruhe, hier will ich wohnen, ich hab ihn begehrt (Ps 131,14).
Matthäus und Lukas haben der Genealogie Jesu in ihren Evangelien breiten Raum gewidmet. Das heutige Fest ist ein Anlass für jeden von uns, auf die Generationenreihe zurückzublicken, die ihm vorausgegangen ist und die der Herr benutzt hat, um ihn in unser Leben eintreten zu lassen. Es ist tröstlich zu entdecken, dass er uns nicht als lose Verse, sondern als Glieder einer Kette gewollt hat; er hat uns einen festen Boden gegeben, auf den wir unseren Fuß setzen können, einen Boden, den Gott in freudiger Erwartung bereitet hat, im Gedanken an uns persönlich, damit wir dort Wurzeln schlagen können.
GEMÄSS der Überlieferung besaßen Joachim und Anna ein Haus in Jerusalem, das nur einen Steinwurf vom Teich Bethesda entfernt lag. An diesem Teich versammelte sich eine große Zahl von Kranken, und hier würde Jesus später einen Gelähmten heilen.2 In diesem Haus wurde Jesu Mutter geboren; und es ist mehr als denkbar, dass sich die Heilige Familie bei ihren Reisen nach Jerusalem dort gerne aufhielt, sodass Jesus die Zuneigung seiner Großeltern erfahren konnte.
Wie die Eltern sind auch die Großeltern, so Worte des heiligen Josefmaria, „ein Zeugnis für den Wert und den Sinn des Lebens, verkörpert in einem konkreten Leben und bestätigt in allen Umständen und Situationen, die im Laufe der Jahre aufeinanderfolgen“3. Gleichzeitig tragen sie auf einzigartige Weise durch ihr Verständnis und ihre Liebe zum Familienklima bei. Es ist typisch für die Jugend, zu glauben, dass alles bereits beim ersten Anlauf perfekt gelingen muss. Früher oder später müssen wir jedoch feststellen, dass die Misserfolge häufiger sind als die Siege. In solchen Momenten sind wir in Gefahr, frustriert zu sein und die Hoffnung zu verlieren. Großeltern, die dies alles bereits durchgemacht und vieles erlebt und gesehen haben, können die Gefühlswelt ihrer Enkelkinder verstehen.
Gott kann uns seine Zärtlichkeit durch unsere Großeltern erfahren lassen. Mit ihrer Verfügbarkeit und ihrem offenen Ohr helfen sie uns, Niederlagen zu relativieren und vor allem all das Gute zu sehen, das uns umgibt. Papst Franziskus sagte: „Als wir aufwuchsen und uns unverstanden fühlten oder wenn wir Angst vor den Herausforderungen des Lebens hatten, bemerkten sie uns und was sich in unseren Herzen veränderte, unsere heimlichen Tränen und die Träume, die wir in uns trugen. Wir sind alle auf den Knien unserer Großeltern gesessen, die uns in ihren Armen hielten. Und auch dieser Liebe ist es zu verdanken, dass wir erwachsen geworden sind.“4
MANCHMAL hindert uns das hektische Tempo unseres Lebens, ausreichend Zeit mit unseren Angehörigen zu verbringen; und das trifft noch mehr zu, wenn diese nicht in unserem Haushalt leben. Der heilige Josefmaria pflegte zu betonen, dass Menschen, die Einschränkungen haben oder krank sind, ein wertvoller Schatz für die Familie sind, weil sie für das Wachstum der Liebe den Auslöser darstellen können. Ähnliches gilt für ältere Menschen. Indem wir ihnen Fürsorge und Zuneigung entgegenbringen, erfüllen wir nicht nur eine Pflicht der Gerechtigkeit, sondern erweitern auch unsere Liebesfähigkeit. Ihnen zuhören, bei einer Aufgabe helfen oder Nähe und Zuneigung zeigen – diese Gesten stillen unseren Durst nach dem Aufbau starker Beziehungen, insbesondere innerhalb der Familie.
Zwischen Jung und Alt kann eine für beide Seiten bereichernde Beziehung entstehen. Junge Menschen können von den Älteren Haltungen wie Verfügbarkeit oder Großzügigkeit sowie konkrete Lebenserfahrungen lernen, die diese an sie weitergeben können; sie können auch etwas über die Vergangenheit lernen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. Die Älteren wiederum fühlen sich durch den Kontakt mit den Jüngeren verjüngt; diese erinnern sie daran, dass sie nicht allein sind und viel einzubringen haben. Franziskus sagte in einer Botschaft zum Welttag der Großeltern und älteren Menschen: „Das Alter ist (…) eine Zeit, in der wir noch Früchte tragen können: Eine neue Aufgabe wartet auf uns, und sie lädt uns ein, in die Zukunft zu schauen.“5 Bitten wir Maria, uns zu lehren, unsere Großeltern und unsere Ältesten zu ehren, damit die Kette von Segnungen, die Gott im Überfluss von Generation zu Generation ausgießt, nicht abreißt, sondern weitergeht.
1 Schott-Messbuch, Eingangsvers zum Fest des hl. Joachim und der hl. Anna.
2 Vgl. Jesus Gil und Eduardo Gil, Spuren unseres Glaubens, Aufzeichnungen über das Heilige Land. Saxum International Foundation, S. 142-144.
3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 28.
4 Franziskus, Predigt, 25.7.2021.