Das Wohl der Kinder: verantwortliche Elternschaft (2)

Der erste Artikel legt dar, wie wir Menschen bei der Zeugung und Erziehung der Kinder mit Gott zusammenarbeiten. Hier soll über den Wert unserer Kinder nachgedacht werden, die ein absolutes Geschenk sind.

Der vorige Artikel handelte von der inneren Größe einer jeden Person, und konkret von der inneren Größe derer, die in erster Linie an der Entstehung und Entwicklung des Menschen beteiligt sind.

Die Person des Kindes

Da wir uns nun dem Thema der Fortpflanzung zuwenden, rückt das Kind in den Vordergrund, das für gewöhnlich das Verhalten aller Beteiligten bestimmt.

Die Haltung einer bedingungslosen Bejahung des menschlichen Lebens schließt auch die Fähigkeit in sich, anzuerkennen, dass jedes Kind einen unschätzbaren Wert hat und ein so hohes Gut darstellt, dass man dabei gar nicht übertreiben kann. Es ist ja ganz abgesehen von allen anderen Umständen eine eigenständige menschliche Person.

Wenn nun dieses neue Lebewesen abgelehnt wird, dann verbirgt sich dahinter auf unbewusste und sehr subtile Weise die zwar etwas verschwommene, aber doch wirksame Einstellung, dass das Kind ein Übel darstellt.

Wenn man eine solche Überzeugung offen äußert, dann ruft dies Staunen und Ablehnung hervor; dies ist jedoch leicht zu verstehen, wenn man die Werte betrachtet, die in unserer Kultur vorherrschen.

Das Nützliche

Ein aufmerksamer Blick auf die Wirklichkeit lässt uns drei Arten von Gütern unterscheiden, oder besser gesagt, drei Aspekte oder Dimensionen von Gütern.

Die unterste Kategorie sind die nützlichen Güter. Ihre Gutheit liegt außerhalb ihrer selbst: in ihrer Nützlichkeit für bestimmte Zwecke, und in den Menschen, die diesen Nutzen anstreben.

Das ist der Grund, warum sie in zwei Fällen ihren Wert verlieren, ohne dass sie sich selbst irgendwie verändert hätten: wenn das nicht mehr existiert, wofür sie nützlich sein könnten, oder wenn es niemand mehr will. Ohne weitere Veränderung oder ohne irgendeinen Defekt verliert der beste Schraubenzieher seinen Wert, wenn es keine Schrauben gibt. Und alles Geld der Welt verliert jeglichen Wert, wenn dafür niemand einen Finger rühren möchte.

Was Freude macht oder gefällt

Auch das, was Genussgüter erstrebenswert macht, ist nur begrenzt gut, weil sie ihr Gutsein auch nicht in sich selbst besitzen. Ihr Wert hängt ja letztlich davon ab, ob sie jemand begehrt und zu erwerben beschließt.

Die Gutheit der Dinge, die nur um des Vergnügens oder des Genusses willen geschätzt werden, verschwindet dann, wenn sie niemand genießen möchte.

Daraus folgt, dass weder die nützlichen noch die angenehmen Dinge in sich und um ihrer selbst willen gut sind. Ihr Wert liegt darin, dass die Menschen, die sie haben oder genießen möchten, sie gut oder wertvoll finden. Es handelt sich um ein relatives Gutsein, das von anderen Umständen abhängt.

Würde

Die Person hingegen stellt ein absolutes Gut dar und besitzt eigene Würde. Ihr Gutsein liegt in ihr selbst, in ihrem Person-Sein und ist vollkommen unabhängig von anderen Umständen, wie Alter, Geschlecht, Gesundheit, Verhalten, Erfolg, gesellschaftliche Position…

Sie muss daher um ihrer selbst willen geschätzt und geliebt werden, ganz unabhängig von allen anderen Bedingungen.

Ohne Zweifel können uns Personen auch Nutzen bringen und Genuss bereiten, aber das ist nicht der erste oder wichtigste Grund, warum sie gut und wertvoll sind. Die Freundschaft zum Beispiel schenkt uns unvergleichliche Freude und ist eine vielfältige Quelle des Guten. Dieses Gute stammt aber nicht aus dem Vergnügen, das sie bereitet oder den Diensten, die sie uns leistet, sondern es steht Lichtjahre darüber.

Man könnte sagen, dass die Freundschaft in sich und um ihrer selbst willen so außerordentlich gut ist, dass sie auch eine so große Befriedigung und Bereicherung mit sich bringt, wie nichts anderes. Wenn man aber Freundschaften nur dieser Vorteile wegen pflegen würde, dann würde dies eine Herabwürdigung und einen Missbrauch der Freundschaft bedeuten; man würde sie dann ja relativieren und vergessen, dass sie ein absolutes Gut darstellt.

Die allgemeine Blindheit für die wahren Werte

In unserer Zivilisation ist jedoch die Relativierung der Werte schon so eingeführt, dass sogar der Begriff der Würde und des absoluten Wertes oder Gutes verschwunden ist.

Im ersten Jahrgang des Philosophiestudiums diskutieren meine Studenten Jahr für Jahr darüber, ob die Philosophie überhaupt für etwas gut ist, um sich schließlich dann doch für ihre Nützlichkeit auszusprechen. Und sie sind total überrascht, wenn ich ihnen dann erkläre, dass Aristoteles, gerade um die Überlegenheit und die Vorzüge der Philosophie zu unterstreichen, erklärt, dass sie absolut nutzlos ist. Damit sie mich verstehen, übersetze ich dieses Wort mit „über-nützlich“, um zu kompensieren, dass man der Würde keine Bedeutung beimisst.

Und nachdem ich ihnen bis ins Einzelne erklärt habe, dass sich die Philosophie keinem anderen Zweck unterordnet, sondern das Wissen um seiner selbst willen sucht, übersetzen das fast alle, indem sie sagen, dass der Philosoph nach Erkenntnis strebt, weil ihm das Erkennen Vergnügen bereitet.

Wie viele unserer Zeitgenossen scheinen die Studenten heutzutage manchmal fast unfähig, den Begriff des Guten an und für sich begreifen zu können, unabhängig davon, ob es Vorteile bringt oder Vergnügen macht. Unter solchen Voraussetzungen hört die Würde auf, als etwas Gutes und Wertvolles zu existieren, weil man es nicht verstehen kann.

Magst du Kinder?

Wenn es darum geht, Kinder in die Welt zu setzen, dann wird das problematisch, sobald man, ohne sich dessen voll bewusst zu sein, den Wert des Kindes mit den gleichen Maßstäben misst, mit denen man auch weniger wichtige Dinge bestimmt, wie es häufig geschieht.

Wenn ich erwähne, dass ich sieben Kinder habe, dann heißt es nicht selten: „Sie mögen wohl Kinder sehr gern, nicht wahr?“ Ich mache dann eine Pause, fixiere den Sprecher einige Sekunden lang intensiv und sage in liebenswürdigem Ton: „Na ja, mögen, mögen… eigentlich wirklich mögen tue ich Schinken. Meine Kinder hingegen liebe ich von ganzem Herzen.“

Die Leute reagieren meistens freundlich, und es ist dann nicht sehr schwierig, ihnen begreiflich zu machen, dass man einen Menschen niemals auf eine Frage der Vorliebe oder des Geschmackes reduzieren kann.

Alles, was Würde besitzt, steht Lichtjahre über dem bloß Nützlichen oder Angenehmen. In Wirklichkeit sind dies völlig unvergleichbare Begriffe, die man nicht mit gleichen Maßstäben messen kann. Alles, was eigene Würde besitzt, rechtfertigt sich selbst und muss um seiner selbst willen geliebt werden, das Nützliche und Angenehme hingegen nicht.

Daraus folgt, dass es heutzutage nicht genügt, darüber informiert zu sein, was verantwortliche Elternschaft bedeutet. Das ist freilich auch wichtig. Aber es ist darüber hinaus unerlässlich, dass man sich um die Entwicklung der Fähigkeit bemüht, im tiefsten zu begreifen, was ein Kind überhaupt bedeutet, da diese Fähigkeit oft verkümmert oder überhaupt nicht vorhanden ist. Einfach klar vor Augen haben, dass man, um ein Kind zur Welt zu bringen, keinen anderen Grund mehr braucht, als die unsagbare Größe, die dieses Wesen besitzt. Und dass man dafür, dass man es nicht zur Welt bringen wollte, sehr wohl ernstzunehmende und schwerwiegende Gründe brauchen würde.

Gibt es solche Gründe?

Für die Verhinderung der Zeugung oder die Beseitigung ihrer Frucht gibt es keine Gründe. Sehr wohl aber kann es gelegentlich Gründe geben, um die Handlungen zu unterlassen, die eine Zeugung zur Folge haben könnten.

Das Kind stellt ein absolutes Gut dar, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber absolut ist nicht gleichbedeutend mit unendlich. Gerade wegen seiner Begrenztheit bringt das Kind immer auch einige Einschränkungen mit sich, die davon herrühren, dass es Pflege und Betreuung braucht. Das ist ganz normal.

Wenn man angesichts dieser Tatsachen dann aber nicht weiß oder nicht berücksichtigt, dass eine menschliche Person immer etwas absolut Gutes ist, dann wird das Kind schnell als Übel, als Nachteil gesehen. Aber dies gilt ja aus dem gleichen Grund genauso für den Partner, die Eltern, die Geschwister und die Freunde…

Hier stoßen wir auf die furchtbare Logik des Individualisten im Sartre’schen Sinn, für den „die Hölle die anderen“ sind. Die einzige Antwort darauf ist die Isolierung, also die Einsamkeit, die dann wirklich die Hölle bedeutet.

Wenn man den Begriff der Würde ausschließt, dann mündet alles unweigerlich in der Aporie, in der Sackgasse ohne Ausweg. Wenn man hingegen das Kind als absoluten Wert sieht, relativieren sich die unvermeidlichen Nachteile und sie werden zu einer Gelegenheit für das eigene persönliche Wachstum.

Schwerwiegende oder außergewöhnliche Schwierigkeiten

Es gibt Schwierigkeiten, die eines oder mehrere Familienmitglieder betreffen: ernstliche Gefährdung der werdenden Mutter oder der Erhaltung der Familie, Belastungen, die man aus Rücksicht auf die physische oder psychische Gesundheit der Eltern nicht eingehen sollte…

Derartige Dinge verändern die Lage und damit sollten sich auch das Verhalten und die Einstellung der zukünftigen Eltern ändern.

Das Hauptkriterium ist genau das gleiche, wie bei jedem moralischen Handeln: tu das Gute und unterlasse das Böse, entsprechend den Bedürfnissen jedes Familienmitgliedes.

Das Gute zu tun, stellt die grundlegendste und freudigste Pflicht des Menschen dar. Allerdings ist niemand dazu verpflichtet, alles Gute tatsächlich zu verwirklichen, das man abstrakt gesehen tun könnte. Unter anderem ist das auch deshalb so, weil man nach einer bestimmten Wahl – einem Beruf oder einem Lebensstand – notwendigerweise auf die anderen Möglichkeiten verzichten muss, die ebenfalls zur Wahl gestanden hätten.

Hingegen darf man niemals etwas Böses wollen oder durch eine direkte Handlung etwas Gutes verhindern. Das Gebot, das Böse zu meiden, durch das die Ethik vervollständigt wird, gestattet keine Ausnahmen.

Nochmals: Kinder bekommen ist gut

Wir haben diese Überlegungen angestellt, indem wir vor allem den Wert vor Augen hatten, den die Person des Kindes darstellt. Punkt 1652 des Katechismus der katholischen Kirche , der seinerseits das II. Vatikanische Konzil zitiert, lautet: „Kinder sind gewiss die vorzüglichste Gabe für die Ehe und tragen zum Wohl der Eltern selbst sehr viel bei.“

Wir stützen uns nun auf diese innerliche und wesensmäßige Gutheit, die man gar nicht übertrieben darstellen kann. In Bezug auf die Zeugung von Kindern kann man zwei entgegengesetzte Verhaltensweisen unterscheiden, und wir sollten auch das Prinzip erfassen, durch das sie sich voneinander unterscheiden.

  1. Wenn es ausreichende Gründe dafür gibt, dann ist es moralisch erlaubt, alles zu unterlassen, was zu einer neuen Empfängnis führen würde. Allerdings dürfte man dabei keine prinzipiell antikonzeptive Einstellung haben, sondern nur die Empfängnis vermeiden wollen. Mit anderen Worten ist es erlaubt, kein weiteres Kind zu wollen und dementsprechend nichts zu tun, was zu einer Zeugung führen könnte.
  2. Niemals wäre es allerdings moralisch erlaubt, die Entstehung neuen Lebens durch empfängnisverhütende Maßnahmen aktiv zu behindern. Dies wäre gleichbedeutend damit, dass man aktiv etwas Böses will – man möchte neues Leben verhindern – und es auch wirklich tut.

Das ist letztlich der Unterschied zwischen Empfängnisverhütung und der Inanspruchnahme der natürlichen Methoden der Empfängnisregelung. Es ist ein Unterschied, der im Gegensatz zur gebräuchlichen Redeweise nicht nur eine Frage der Methode ist.

Das grundlegende Kriterium ist nämlich weiterhin, dass Kinder etwas absolut Gutes sind. Wenn nun jemand aus schwerwiegenden Gründen beschließt, alles zu unterlassen, was zur Zeugung eines weiteren Kindes führen könnte, dann muss er weiterhin der Auffassung sein, dass ein Kind etwas sehr Gutes ist, das er aber auf Grund derzeitiger konkreter Umstände nicht anstrebt.

Dabei wird aktiv nichts unternommen, was eine Empfängnis verhindern würde. Man unterlässt lediglich alles, was zu einer neuen Empfängnis führen würde. Und sollte Gott dem Paar trotzdem und gegen ihren Willen ein neues Kind schenken, dann würden sie es ohne Einschränkung annehmen und auf seine unendliche Güte und Allmacht vertrauen.

Kinderreiche Familien

Die Erwägung, dass jedes Kind prinzipiell ein großes Gut darstellt, hilft uns verstehen, was der Katechismus besagt: „Die Heilige Schrift und die kirchliche Überlieferung sehen in kinderreichen Familien ein Zeichen des göttlichen Segens und der Großzügigkeit der Eltern.“ 1

Es gibt freilich Ehepaare, denen Gott nur wenige oder gar keine Kinder schenkt. Er verlangt dann von ihnen, dass sie ihre gemeinsame Liebesfähigkeit anderen Menschen zugutekommen lassen. Aber eine kinderreiche Familie schaffen und für sie sorgen, wenn dies dem Willen Gottes entspricht, wird auch wegen der Großzügigkeit, die das beinhaltet, zur Garantie für Glück und übernatürliche Wirksamkeit. 2

Papst Benedikt XVI sagte diesbezüglich, und vielleicht ganz besonders im Hinblick auf die gegenwärtige Zeit: Die Familien „mit vielen Kindern geben ein Zeugnis des Glaubens, des Mutes und des Optimismus“ 3, „sie geben ein Beispiel der Großzügigkeit und des Gottvertrauens“ 4. Und Papst Franziskus rief aus: „Es schenkt Trost und Hoffnung, zahlreiche vielköpfige Familien zu sehen, die Kinder als wahres Geschenk Gottes annehmen“. 5

Andererseits segnet Gott häufig die Großzügigkeit der Eltern, die ihre Kinder zum Entschluss zur vollkommenen Hingabe an Jesus Christus oder zum Verlangen ermuntern, ebenfalls viele Kinder zur Welt zu bringen. Das sind Familien mit einer großen menschlichen und übernatürlichen Vitalität. Und wenn schließlich das Alter herankommt, dann sind diese Eltern umgeben von der Zuneigung ihrer Kinder und Kindeskinder.

1 Katechismus der Katholischen Kirche , Nr. 2373.
2 Vgl. Christus begegnen , Nr. 25.
3 Benedikt XVI., Generalaudienz, 2.11.2005.
4 Benedikt XVI., Ansprache, 18.1.2009.
5 Papst Franziskus, Generalaudienz, 21.1.2015.

Tomás Melendo