„Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). So leitet der hl. Johannes in seinem Evangelium die unerhörte Geste ein, die Jesus vor dem Beginn des österlichen Festmahls vollzog. Als alle sich zu Tisch gesetzt hatten, „erhob er sich, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch“ (Joh 13, 4-5).
Jesus wäscht den Aposteln die Füße, diesen schwachen Menschen, die er zu Fundamenten der Kirche erwählt hatte. Sie alle waren ängstlich gewesen beim Sturm auf dem See, sie hatten an der Fähigkeit ihres Meisters, die riesige Menschenmenge zu sättigen, gezweifelt und heiß darüber diskutiert, wer von ihnen der Größte im Himmelreich sein würde. Doch sie hatten auch bereits erfahren, welche Schwierigkeiten es bedeuten konnte, ihm zu folgen. Nach Seiner Rede über das Brot des Lebens in der Synagoge von Kapharnaum waren sie nicht weggegangen wie viele andere, sie hatten ihn bei seinen langen Wanderungen durch Israel begleitet und an der Atmosphäre gemerkt, dass es Leute gab, die seinen Tod wünschten.
Petrus beobachtet sprachlos, was Jesus tut. Er kann es nicht begreifen und rebelliert. „Du, Herr, willst mir die Füße waschen?“ Jesus antwortet: „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen“. (Joh 13, 5-8). Die Radikalität der Frage Simons mag überraschen. Aber sie will Jesus nicht zurückweisen, sondern ist Zeichen seiner Liebe zu ihm. Dennoch zeigt ihm der Herr, dass er Unrecht hat: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13,8).
Später wirst du es begreifen
Seit seiner ersten Begegnung mit dem Herrn hat Petrus den Weg inneren Wachstums beschritten, weil er nach und nach verstanden hat, wer Jesus war: der Sohn des lebendigen Gottes. Jetzt aber nähert sich die Passion des Herrn, und er hat noch ein großes Stück Weg vor sich. Im Abendmahlssaal spielt sich ein Drama in zwei Akten ab: die Fußwaschung und die Einsetzung der Eucharistie. Hier beginnt Petrus zu entdecken, bis zu welchen Extremen die Liebe Gottes gehen kann und wie sehr ihn diese Liebe persönlich trifft. Bisher war dieses Gebot der Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst nur ein Gebot, das in seinem Herzen noch nicht den tiefen Widerhall gefunden hat, den Jesus wünscht. Deshalb widersetzt sich Petrus. Er akzeptiert nicht, dass der Wille Gottes für seinen Meister und für ihn selbst ein Leben der Liebe und des demütigen Dienstes an jedem Menschen sein soll.
Diese Erfahrung des Petrus kann auch manchmal unsere eigene sein. Auch wir sind manchmal begriffsstutzig. Wir brauchen oft Zeit, um die grundlegendsten Wahrheiten verstehen zu können. In unserem Herzen mischen sich große Wünsche mit weniger edlen Absichten. Wie oft lähmt uns die Angst oder sagen wir Dinge, die nicht durch unsere Taten gedeckt sind! Wir lieben den Herrn und wissen, dass unsere Berufung der größte Schatz ist. Ja, wir haben alles verkauft, um ihn zu erwerben. Aber die Jahre, die vergehen, die Umstände, die sich ändern, unangenehme Situationen oder die Müdigkeit, die die tägliche Arbeit mit sich bringt, können unseren Weg verdunkeln.
Das christliche Leben besteht vor allem darin, uns von Gott lieben zu lassen und seine Liebe zu den anderen zu bringen.
Es mag auch sein, dass man selbst noch nicht den Grad an menschlicher und übernatürlicher Reife erlangt hat, der uns die Berufung als einen Weg der Liebe leben lässt. Unsere Liebe zum Nächsten kann möglicherweise von einer Verzerrung belastet sein, die unser persönliches Geheimnis überdeckt, von starken persönlichen Gefühlen, die dazu verleiten, mehr auf unsere momentanen Empfindungen zu setzen als auf unsere tiefe Beziehung zu Gott und zu den anderen. Oder der Voluntarismus lässt uns vergessen, dass das christliche Leben vor allem darin besteht, uns von Gott lieben zu lassen und seine Liebe zu den anderen zu bringen. Möglicherweise verleitet uns der Perfektionismus dazu, menschliche Schwächen, denen wir begegnen, als etwas zu sehen, das den Plänen Gottes fremd ist.
Da Gott aber mit unseren Grenzen rechnet, ist er nicht überrascht und wird unser nicht überdrüssig, wenn er sieht, dass wir uns schwertun und unsere Berufung nicht so leben, wie es sein sollte. Wie Petrus, so hat er auch uns als Sünder berufen und er besteht darauf: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13, 8-9). Jesus weiß, dass Petrus aus Liebe gesprochen hat, und deshalb antwortet er ihm mit derselben Radikalität. Das Herz des Apostels erwidert mit der für Petrus typischen Leidenschaftlichkeit: „Dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt“. Er spricht sehr schnell. Wusste Petrus, was er da sagte? Was noch in derselben Nacht geschah, scheint zu beweisen, dass er es nicht wusste. Er wird es später verstehen, nach und nach, durch das Leiden der Passion, die Freude der Auferstehung und durch das Wirken des Heiligen Geistes. Sein Gespräch mit Jesus zeigt uns auf jeden Fall, dass der erste Schritt auf dem Weg zur Fülle der Liebe darin besteht, die Liebe und Zärtlichkeit Jesu für jeden persönlich zu entdecken und zu erkennen, dass wir ihm ähnlicher werden, wenn wir unsere Erbärmlichkeiten bereuen.
Stufen der Freiheit
Jesus folgen bedeutet: Lernen so zu lieben wie er. Es ist ein ansteigender Weg, der nicht leicht zurückzulegen ist, aber es ist ein Weg der Freiheit. „Je stärker unsere Liebe ist, desto freier sind wir. Die Liebe ist anspruchsvoll: ,Sie erträgt alles, hofft alles, hält allem stand‘ (1. Kor 13,7)“[1]. Als er noch junger Priester war, beschrieb de hl. Josefmaria diesen ansteigenden Weg in Freiheit und Treue so: „Stufen: Sich in den Willen Gottes fügen, dem Willen Gottes zustimmen, den Willen Gottes wollen, den Willen Gottes lieben“[2].
Resignation ist die niedrigste Stufe der Freiheit, die am wenigsten großzügige der vier. Sie wird leicht zu einem Boden geistlicher Lauheit. Man könnte sie auch als Ertragen ohne Aussicht auf Wachstum bezeichnen, als ein Ertragen um seiner selbst willen nach dem Motto: „Mir bleibt ja nichts anderes übrig“. Es stimmt zwar, dass die Kardinaltugend des Starkmuts hilft zu ertragen, Widerstand zu leisten. Und tatsächlich wächst dadurch die Freiheit, weil die betreffende Person das Gut versteht und wünscht, um dessentwillen sie Widerstand leistet. Resignation jedoch verfolgt kein Gut oder erfasst es nur so vage, dass keine Freude daraus hervorgeht. Es kann Zeiten geben, in denen es uns kaum gelingt, eine solche Haltung zu überwinden. Wenn sich aber jemand endgültig der Resignation ergibt, dann wird ihn nach und nach Traurigkeit überkommen.
Dem Willen Gottes zustimmen ist Ausdruck einer anderen Einstellung: Man stimmt der Wirklichkeit zu. Diese Zustimmung darf nicht mit der eines mittelmäßigen Menschen verwechselt werden, der keine Träume oder begeisternde Projekte hat, für die zu leben sich lohnt. Es handelt sich vielmehr um die realistische Haltung dessen, der weiß, dass Gott große Wünsche liebt. Wer da zustimmt, lernt langsam, in die göttliche Logik einzutreten, sich davon zu überzeugen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht (s. Röm 8,28). Der hl. Josefmaria formulierte diese Bereitschaft gegenüber dem Willen des Vaters wie folgt: „Hilf mir, Herr, dass ich dir treu und gehorsam bin (…) wie der Ton in der Hand des Töpfers. – Nicht ich werde dann leben, Du, meine Liebe, wirst in mir leben und wirken“[3].
Merkmal der christlichen Liebe ist es, sich zu verschenken, aus sich herauszugehen, sich leidenschaftlich zu engagieren für das, was Gott für jeden von uns will.
Man spürt, wie dieser Prozess der Zustimmung zum Willen Gottes zum Höherfliegen führt, sobald wir beginnen, den göttlichen Willen zu lieben: „Du, meine Liebe, wirst in mir leben und wirken“. Wir vermögen plötzlich Umstände und Personen, die wir nicht gewählt haben, um ihrer selbst willen zu lieben, weil sie gut sind. Wir entscheiden uns, sie zu „wählen“. „Mein Gott, ich wähle alles“[4], sagte die hl. Theresia von Lisieux. Wie der hl. Paulus, so wusste auch sie: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38-39). So entdecken wir mitten in der Unvollkommenheit der Dinge dieses „Göttliche“, das die Situationen in sich bergen[5], und das Bild Gottes in den anderen wird für uns deutlicher.
Durchtränkt vom Blut Christi
Der letzte Schritt auf dem Weg dieses persönlichen Wachstums stellt uns die Liebe vor Augen. So treten wir in den Kern der christlichen Offenbarung ein, wie der hl. Johannes uns lehrt: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). Nachdem der Herr seinen Aposteln die Füße gewaschen hat, erklärt er ihnen, warum er das getan hat: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben“ (Joh 13,15). Jetzt sind sie vorbereitet, das Neue Gebot zu vernehmen: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Sie sollen lernen, mit der größten Liebe zu lieben, sogar das eigene Leben hinzugeben wie er. „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin“ (Joh 10, 17-18). Merkmal der christlichen Liebe ist es, sich zu verschenken, aus sich herauszugehen, sich leidenschaftlich zu engagieren für das, was Gott für jeden von uns will. Es bedeutet, den Willen Gottes zu lieben mit freudiger und kreativer Bejahung, die uns von innen dazu bewegt, aus uns herauszugehen. Das ist die Entscheidung, die paradoxerweise der einzige Weg ist, uns selbst zu finden: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden“ (Mt 16,25).
Diese Liebe jedoch besteht nicht in „einer Art extremer moralischer Bemühung (…), einem höheren Grad an Humanismus“[6]. Die Neuheit des Neuen Gebotes „kann nur aus der Gabe der Vereinigung mit Christus kommen, aus dem Leben in Ihm“[7]. Deshalb gibt der Herr seinen Aposteln zugleich mit dem Neuen Gebot das Sakrament der Liebe. Von diesem Moment an ist die Eucharistie Mittelpunkt des christlichen Lebens. Wir befinden uns nicht vor einer theoretischen Wahrheit, sondern vor einer Lebensnotwendigkeit[8].
„Die Hand Christi hat uns vom Weizenfeld aufgelesen. Der Sämann drückt die Weizenkörner in seiner durchbohrten Hand, das Blut Christi durchtränkt sie. Dann wirft der Herr den durchtränkten Weizen in den Wind, damit er im Sterben Leben bringe und, einmal in die Erde gesenkt und begraben, sich in goldenen Ähren vervielfältigen kann“[9]. Wir sind fähig, uns hinzugeben, weil uns das Blut Christi durchtränkt, das uns hilft, uns selbst zu sterben, um in unserem Umfeld reiche Früchte der Freude und des Friedens hervorzubringen. Unsere Teilnahme am Opfer Jesu und unsere Anbetung Seiner realen Gegenwart in der Eucharistie führen uns ständig zur Nächstenliebe. Daher wird, „wer dem göttlichen Auftrag nicht treu ist, sich den anderen hinzugeben und ihnen zu helfen, Christus kennenzulernen, schwerlich verstehen, was das eucharistische Brot ist“. Und umgekehrt: „Um die heilige Eucharistie zu schätzen und zu lieben, muss man den Weg Jesu gehen: Weizen sein, sterben, voll Kraft wiedererstehen und reiche Frucht bringen: das Hundertfache!“[10]
Eucharistische Konsequenz
„Jesus geht zusammen mit uns, so wie er es in Galiläa tat. Er geht durch unsere Straßen, bleibt stehen und schaut uns in die Augen, ohne Eile. Sein Ruf ist attraktiv, faszinierend“[11]. Wenn man sich entscheidet, an seiner Seite zu gehen, zusammen mit ihm zu leben, dann wird das Leben hell und entwickelt eine „Eucharistische Konsequenz“[12]. Die Liebe und die Nähe, die er uns schenkt, helfen, uns den anderen so zu schenken, wie er selbst sich hingab. So entdeckt man die Hindernisse, die das Wachstum der Liebe Christi im eigenen Herzen erschweren und bekämpft sie: die Tendenz, sich nur wenig anzustrengen bei der Erfüllung der eigenen Pflichten, die Angst, sich zu verausgaben in der Liebe und im Dienst an den anderen, mangelndes Verständnis für die Begrenztheiten anderer oder auch den Stolz, der die Anerkennung unserer guten Taten durch andere einfordert und unsere guten Absichten verdunkelt.
„Jesus geht zusammen mit uns, so wie er es in Galiläa tat. Er geht durch unsere Straßen, bleibt stehen und schaut uns in die Augen, ohne Eile. Sein Ruf ist attraktiv, faszinierend“
Der hl. Josefmaria sprach bewegt über das frohe Leben derer, die sich Christus hingeben und in seiner Nachfolge treu ausharren. „Dieser Weg lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: Lieben. Lieben heißt, ein großes Herz haben, die Sorgen unserer Mitmenschen teilen, verzeihen und verstehen können, sich mit Jesus Christus für alle Seelen aufopfern“[13]. Wir wissen, dass dies unsere Fähigkeiten übersteigt. Deshalb brauchen wir den Herrn immer wieder, damit er uns ein Herz nach seinem gibt. „Wenn wir mit dem Herzen Christi lieben, werden wir lernen zu dienen, und wir werden die Wahrheit klar und in Liebe verteidigen (…). Nur wenn wir in uns das Leben Christi nachbilden, werden wir es an die anderen weitergeben können. Nur wenn wir das Sterben des Weizenkorns in uns erfahren, werden wir gegenwärtig sein in den Aufgaben der Welt, werden wir die Welt von innen her umgestalten, sie fruchtbar machen“[14]. Das ist der Weg der Treue, der, weil er ein Weg der Liebe ist, auch ein Weg des Glücks ist.
Paul Müller
[1] F. Ocariz, Brief 09.01.2018, Nr. 5.
[2] Hl. Josefmaría, Weg, Nr. 774.
[3] Hl. Josefmaría, Schmiede, Nr. 875, s. Jer 18,6: „Kann ich nicht mit euch verfahren wie dieser Töpfer, Haus Israel?“
[4] Hl. Theresia von Lisieux, Geschichte einer Seele, Kap. 1.
[5] s. Hl. Josefmaría, Gespräche, Nr. 114.
[6] J. Ratzinger-Benedikt XVI, Jesus von Nazareth. Vom Einzug nach Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg i. B. 2011.
[7] a.a.O.
[8] s. Hl. Josefmaría, Christus begegnen, Nr. 154.
[9] a.a.O. Nr.3.
[10] a.a.O. Nr. 158.
[11] Franziskus, Apostolisches Schreiben Christus vivit (25.03.2019), Nr. 277.
[12] s. Benedikt XVI, Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis (22.02.2007), Nr. 83.
[13] Christus begegnen, Nr. 158.
[14] a.a.O.