Ich heiße Dieter und lebe in Salzburg in Österreich. Am 9. Juni 2017 nahm ich mit einer Gruppe von Flüchtlingen, die zum Zeitpunkt ihrer Flucht nach Österreich Moslems gewesen waren, an der „Langen Nacht der Kirchen“ teil. Dabei gingen wir auch in die Kollegienkirche, in der man seine Gedanken und Wünsche auf eine Pinnwand schreiben konnte. Ein Afghane nützte die Gelegenheit und schrieb etwas auf Persisch. Auf meine Frage, was das bedeute, zögerte er zunächst, sagte mir dann aber: „Das heißt: Ich möchte, dass Jesus immer bei mir bleibt“. In den Augen der anderen Flüchtlinge konnte ich sehen, dass sie diesen Wunsch teilten.
Alles hat seine Vorgeschichte. Papst Franziskus hatte das Jahr 2016 zum Jahr der Barmherzigkeit erklärt. Vom Bildungszentrum Juvavum in Salzburg, das seelsorglich vom Opus Dei betreut wird, überlegten wir, wie wir Flüchtlinge unterstützen könnten. Anfang 2016 begannen wir regelmäßig mit einer Gruppe von Flüchtlingen Fußball zu spielen, ihnen beim Erwerb der deutschen Sprache zu helfen und gemeinsame Ausflüge zu unternehmen.
Mitte Dezember 2016 nahm ich dann an einer Aktion von „Elija 21“ in Salzburg teil. Die überkonfessionelle Gruppe Elijah21 begann in Deutschland, Flüchtlinge mit dem Evangelium und dem Christentum bekannt zu machen. Gezeigt wird ein Film über Jesus Christus, wer Interesse hat, mehr über das Christentum zu erfahren, kann sich melden. So lernten wir mehrere muslimische Flüchtlinge kennen, für die wir Anfang 2017 in Juvavum eine Katechese begannen.
„Christen geben mir Unterkunft, Essen und Geld zum Leben. Außerdem sind sie sehr nett. Ich möchte mehr über das Christentum wissen.“
Die Gründe für das Interesse am christlichen Glauben sind sehr unterschiedlich. Einer sagte mir, dass er sich im Internet erkundigt hätte. Ein anderer meinte: „In Afghanistan hörte ich immer, dass die Christen böse sind. Nun bin ich 20 Jahre alt und kann mir selbst ein Bild machen. Ich komme nach Österreich, und die Christen geben mir Unterkunft, Essen und Geld zum Leben. Außerdem sind sie sehr nett. Ich möchte mehr über das Christentum wissen.“ Ein dritter war im Winter 2015 in Traiskirchen (das Erstauffanglager für alle nach Österreich kommenden Flüchtlinge) gelandet. Dort hatten Christen bei einer Bar einen Christbaum aufgestellt. Bei der Bar unterhielt man sich über Jesus. Dort hatte er „Feuer gefangen“.
Um den katholischen Glauben vollständig weiter zu geben, lehnte ich mich inhaltlich an den Katechismus der Katholischen Kirche an. Damit die in der Katechese dargelegten Inhalte auch in die Praxis umgesetzt werden, erhielt jeder Teilnehmer einen persönlichen Buddy bzw. Begleiter, der mit ihm am Sonntag die Heilige Messe besucht und seinen Schützling auch sonst so weit als möglich in die Praxis des christlichen Glaubens (z.B. das tägliche Gebet) einführt.
Schon wenige Monate nach Beginn der Katechese spürten wir, wie die jungen Menschen aufblühten. Zum einen fühlten sie sich gut betreut und angenommen, zum anderen entdeckten sie mehr und mehr den Inhalt des katholischen Glaubens. Ich merkte förmlich, wie die Gnade ihn ihnen wirkt.
Das ehrliche Interesse am Glauben zeigte sich in verschiedenen Details. Einmal kündigte ich an, dass ab dem nächsten Mal zwei Neue zum Kurs kommen. Daraufhin sagte einer, dass es gut sei, wenn sich mehr Personen für den Glauben interessieren. Ein anderer sagte, dass ihm das Gebet des Vater unser sehr gut gefällt. Beim Behandeln des Themas Eucharistie sprach ich über die Realpräsenz Jesu in der Hostie. Sie schauten mich alle ganz begeistert an und gaben mir mit ihren Augen klar zu verstehen: „Ich möchte Jesus empfangen!“
„Es ist mir egal, ob ich einen positiven oder negativen Bescheid erhalte: ich habe Jesus gefunden!“
Als ich die Katechese begann, wusste ich nicht, ob es den Flüchtlingen wirklich nur um den christlichen Glauben geht oder ob sie es deshalb machen, weil sie dadurch leichter Asyl bekommen. Diese Zweifel zerstreuten sich schnell. Einen der Teilnehmer begleitete ich zu seiner Einvernahme (von den Flüchtlingen „Interview“ genannt). Dabei werden die Fluchtgründe abgefragt, die die Grundlage für das Urteil darüber bilden, ob jemand Asyl erhält. Im Zuge der Einvernahme sagte er, dass er plant, in drei Monaten getauft zu werden. Ich fühlte mich gezwungen zu sagen, dass ich mich an die Vorgaben der Österreichischen Bischofskonferenz halte, die vorgibt, dass das Katechumenat mindestens ein Jahr dauern soll. Daraufhin antwortete er: „Oh, das wusste ich nicht. Auch wenn ich fünf Jahre warten muss, bin ich damit einverstanden. Außerdem hat meine Konversion mit meinen Fluchtgründen nichts zu tun“.
Ein anderer hatte große Angst vor seiner Einvernahme. Daher schickte ich ihm ein WhatsApp und beruhigte ihn mit den Worten, dass Gott einen großartigen Plan mit ihm habe. Beim nächsten Gespräch sagte er mir: „Es ist mir egal, ob ich einen positiven oder negativen Bescheid erhalte: ich habe Jesus gefunden!“ Ein Afghane, der immer gerne zur Katechese gekommen war, kam zwei Mal hintereinander nicht. Daher lud ich ihn per SMS zu einem persönlichen Gespräch ein. Dabei sagte er mir, dass ihm ein Iraner vorgeworfen hätte, dass er die Katechese nur deshalb besuche, weil damit seine Chancen auf Asyl steigen. Als ich ihm versicherte, dass ich von der Lauterkeit seiner Absicht überzeugt bin, nahm er voller Freude wieder an der Katechese teil.
Sie geniessen das christliche Herzensgebet: „Ich bin nie alleine, denn ich weiß, dass Jesus bei mir ist“
Anfangs bestand die Sorge, dass die Flüchtlinge zwar vom Christentum begeistert sind, dass diese Begeisterung aber, sobald sie Asyl haben, in den Sorgen um Wohnung, Job und Familie untergehen wird. Daher ermunterte ich sie, den Herrn im Tabernakel der Hauskapelle zu begrüßen, wenn sie ins Bildungszentrum Juvavum kommen. Diese Gewohnheit hat sich bald durchgesetzt. Außerdem schrieb ich für sie einige Gebete (Gebet vor der Krippe, Gebet für die Einheit der Christen, etc.) nieder, die ich dann auch gemeinsam mit ihnen betete.
Im persönlichen Gespräch stellte ich fest, dass meine Sorge unbegründet war. Einem der Teilnehmer regte ich an, täglich eine Weile dem persönlichen Gebet zu widmen. Da sah er mich überrascht an und sagte: „Aber ich rede den ganzen Tag mit Jesus“! Einen anderen fragte ich, was sich bei ihm durch die Begegnung mit dem Christentum geändert hat. Er sagte zu mir: „Ich bin nie alleine, denn ich weiß, dass Jesus bei mir ist“. Auch einem anderen schlug ich vor, täglich ein paar Minuten zu beten. Daraufhin sagte er mir: „Das hast du mir schon vor drei Monaten gesagt. Seither bete ich immer in der Früh und am Abend“.
Inzwischen hat jeder von ihnen die Gewohnheit, am Sonntag – meist mit seinem Begleiter – zur Messe zu gehen. Außerdem betet jeder von ihnen regelmäßig und gerne. Sie genießen das christliche Herzensgebet, das für sie das Pflichtgebet der Moslems ablöst, bei dem es ja vor allem um das Bekunden der Unterwerfung unter Allahs Willen geht, unabhängig von Sammlung bzw. Andacht.
Einige der Katechumenen haben inzwischen geistliche Begleitung bei einem Priester, was ihnen hilft, konkrete Fortschritte im christlichen Leben zu machen.
Als ich ihnen erklärte, dass Gott von ihnen möchte, dass sie viel und gut arbeiten, war das für sie eine echte Entdeckung.
Die Freude über die Entdeckung des katholischen Glaubens konnte nicht verborgen bleiben. Schon im Juli 2017 brachten zwei Teilnehmer jeweils einen Freund mit. Wir vereinbarten für die beiden Neuen eine Art „Nachhilfe“ über die Grundlagen des katholischen Glaubens, damit sie auf sinnvolle Weise in den Kurs einsteigen können. Nun bestand der Kurs aus neun Teilnehmern, die regelmäßig kommen. Im Herbst fanden sich weitere Interessenten. Aufgrund der wachsenden Nachfrage starteten wir mit weiteren Interessenten im Herbst einen neuen Kurs mit etwa sechs bis neun Teilnehmern.
Es hat sich gezeigt, dass es nicht ausreicht, den Flüchtlingen nur vom christlichen Glauben zu erzählen. Sie müssen auch lernen, trotz ihrer oft schwierigen Situation viel und intensiv zu studieren, um bald in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können. Zwei junge Burschen aus der Runde hatten bis zum Sommer an einer sogenannten Übergangsklasse teilgenommen, deren Abschluss einen gültigen Pflichtschulabschluss darstellt. Da sie aber nicht genug Unterrichtsstunden besucht hatten, konnten sie die Klasse nicht positiv abschließen. Als ich ihnen erklärte, dass Gott von ihnen möchte, dass sie viel und gut arbeiten, war das für sie eine echte Entdeckung. Nun nehmen sie an einem ähnlichen Kurs teil, denn sie jetzt mit viel Einsatz besuchen und sicher positiv abschließen werden.
Wer Jesus findet, findet auch das Kreuz. Das ist bei den Flüchtlingen nicht anders. Das möchte ich anhand der Geschichte von zwei jungen Männern erzählen.
Ein Iraker, der bei einem Entführungsversuch durch die Milizen schwer verletzt wurde und deshalb nach Österreich geflohen war, sprach mit derartiger Begeisterung von seinem neu entdeckten Glauben, dass er in seinem Flüchtlingsheim gemobbt wurde. Man ließ ihn merken, dass er nicht erwünscht sei und zerschnitt ihm seine Kleider. Daher sah ich mich genötigt, ihm – und auch einem anderen Teilnehmer des Kurses – zu einer privaten Unterkunft zu verhelfen. Im Sommer erfuhr er, dass seine leibliche Schwester entführt und wenig später getötet wurde. Als seine leibliche Familie von seiner (inneren) Konversion erfuhr, beendeten sie jede Kommunikation mit ihm. An seinem 27. Geburtstag war er wieder bei der Katechese. Da zeigte er auf seine Handy und sagte: „Niemand von meiner Familie hat mich angerufen. Jetzt sind Jesus und Maria meine Familie“.
Wer Jesus findet, findet auch das Kreuz. Das ist bei den Flüchtlingen nicht anders.
Ein Iraner musste sein Land verlassen, weil er sich dem Christentum zuwandte und floh nach Österreich. Kurz nach seiner Ankunft in Salzburg ließ er sich christlich taufen. Seit Anfang 2017 nimmt er an der Katechese teil und möchte katholisch werden. Beim Ausfüllen des Formulars zum Eintritt in die katholische Kirche erfuhr ich, dass er im Iran geheiratet hatte, dass aber seine Frau aufgrund seiner Konversion einen anderen Mann geheiratet hatte. Auf meine Frage hin, ob er seine Frau geliebt habe oder ob er den Plänen seiner Eltern gefolgt war, begann er zu weinen. Er hatte gehofft, in Österreich Asyl zu bekommen, dann seine Frau zu holen und sie hier zu Jesus zu führen. In diesem Augenblick war er an einem Tiefpunkt angelangt. Nicht nur, dass ihn seine Frau verlassen hatte, auch sein Asylverfahren zog sich Monate hin. Zu guter Letzt konnte er nicht länger in seiner Privatunterkunft bleiben und musste wieder zurück ins Flüchtlingsheim. Er klagte, dass er nicht verstehe, warum Gott das zulässt, wenn er doch für Jesus alles verlassen habe. Der Gedanke, dass Gott es besser weiß, dass Er einen guten Plan für ihn bereit hält, dass alles zum Guten gereicht, gab ihm schließlich Trost. Wieder zeigte sich sein tiefer Glaube. Es fiel ihm zwar schwer, aber er nahm dieses Kreuz an.
Für mich ist das Zusammentreffen mit diesen glaubenshungrigen Flüchtlingen ein großes Geschenk. Nie hätte ich mir gedacht, dass sich daraus so viel entwickeln würde. Zum einen hätte ich es nie für möglich gehalten, neben meinem 40-Stunden-Job und zahlreichen anderen Verpflichtungen genug Zeit für die Katechesen zu finden. Dass es doch möglich war, halte ich für eine göttliche Fügung.
Zum anderen habe ich in den Flüchtlingen echte Freunde gefunden. Ich sah sie leiden und weinen, aber auch kämpfen und siegen. Sie machen trotz aller persönlichen Schwierigkeiten und traumatischer Erfahrungen kontinuierlich Fortschritte im christlichen Leben.
Der einzige Wermutstropfen liegt darin, dass keiner von ihnen bisher einen positiven Asylbescheid bekommen hat (daher habe ich ihre Namen nicht genannt). Es fällt mir schwer daran zu denken, was passiert, wenn einer von ihnen einen definitiven negativen Bescheid erhält und wieder in sein Heimatland zurückkehren muss. Ich fürchte, dass es mir das Herz zerreißt. Daher bete ich täglich für diese jungen Flüchtlinge und ihren Weg im Glauben.