EINE MENSCHENMENGE folgte dem Herrn auf Schritt und Tritt und hing an seinen Lippen. Die Verkündigung des Reiches Gottes und der Aufruf zur Umkehr beanspruchten die gesamte Zeit und Energie des Herrn. Sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen (Mk 6,31). Der Sendungsauftrag gestaltete sich so intensiv, dass kein Moment Pause möglich schien. Und die Apostel verausgabten sich wie ihr Meister. Als sie von ihrer ersten Aussendung zurückkehrten, berichteten sie Jesus alles, was sie getan und gelehrt hatten (Mk 6,30). Nach intensiven Tagen apostolischer Unternehmungen, die begeisternd, aber auch kräftezehrend waren, sehnten sie sich nach Ruhe. Jesus ist voller Verständnis und lädt sie ein: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! (Mk 6,31). Der Herr versteht die Ermattung seiner Apostel, weil er selbst auch von der Wanderung und von der apostolischen Arbeit müde war. Der heilige Josefmaria predigte: „Auch euch wird es gelegentlich vielleicht so ergangen sein: Ihr wart am Ende und konntet nicht mehr. Es ist bewegend, den Meister erschöpft zu sehen.“1
Die Belastungen intensiver Arbeit, familiärer Verpflichtungen, Dienst an Mitmenschen sowie Stress und Herausforderungen bringen zwangsläufig, wie der heilige Josefmaria sagte, „Ermüdung und Erschöpfung mit sich: Äußerungen der Pein und des Kampfes, die einen Teil unseres gegenwärtigen Lebens ausmachen“2. Ausruhen ist aus seiner Sicht keine egoistische Laune oder Zeitverschwendung, sondern im Gegenteil sehr notwendig für Körper und Geist. Und er empfahl: „Sich erholen heißt Kräfte sammeln, Hoffnungen beleben, Zukunftspläne schmieden – kurz: die Art der Tätigkeit wechseln, um dann mit frischem Schwung zur gewohnten Arbeit zurückzukehren.“3 Wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, um uns auszuruhen, laufen wir Gefahr, unsere Aufgaben nicht bestmöglich erfüllen zu können; vor allem aber könnte auch unser geistiges Leben darunter leiden, da wir sowohl Leib als auch Seele sind. Jesus, wahrer Mensch, wusste das, und kümmerte sich liebevoll um die ausreichende Erholung der Seinen.
DIE APOSTEL begaben sich mit Christus im Boot in eine einsame Gegend (Mk 6,32), um dort einige Stunden gemeinsam zu verbringen und sich von der Hektik zu erholen, mit dem Ziel, gestärkt und ermutigt zu ihren Aufgaben zurückzukehren und den Menschen zu begegnen. Ähnlich wie die Apostel sind auch wir aufgerufen, in Christus auszuruhen, zum Tabernakel zu gehen, wo er auf uns wartet, damit wir ihm von unseren Sachen, unseren Sorgen und den anstehenden Aufgaben erzählen. Denn „das Gebet ist zweifellos“, so sagte der heilige Josefmaria, „der ,Sorgenbrecher‘ all jener, die Jesus wahrhaft lieben“4.
In unserem Dialog mit Gott dürfen wir immer wieder die wunderbare Wirklichkeit der göttlichen Abstammung verkosten. Das Bewusstsein, geliebte Kinder Gottes zu sein, schenkt uns, mit Worten des Gründers des Opus Dei, „Ruhe in Zeiten der Müdigkeit, Frieden in Zeiten des Krieges, Gelassenheit in Augenblicken des Konflikts“5. So erkennen wir, dass sein Joch nicht so schwer ist, wie es uns erscheinen mag, denn er trägt es mit uns. Wir arbeiten in den Dingen unseres Vaters, und somit wird die Müdigkeit zum Gebet. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wenn wir bei der Arbeit, im Studium, in unseren apostolischen Aufgaben ermüden und wie vor einer Mauer stehen, dann blicken wir auf Christus: auf den gütigen Jesus, auf den ermüdeten Jesus, auf den hungrigen, den durstigen Jesus.“6
Und Papst Franziskus sagte: „Wenn wir wirklich ausruhen lernen, dann werden wir zu wahrem Mitgefühl fähig; wenn wir einen beschaulichen Blick pflegen, werden wir unsere Aufgaben ohne die raubtierhafte Haltung derer ausführen, die alles besitzen und verbrauchen wollen; wenn wir in Verbindung mit dem Herrn bleiben und unser zutiefst Innerstes nicht betäuben, werden die Dinge, die es zu erledigen gilt, nicht die Macht haben, uns die Luft zu rauben.“7
ALS JESUS aus dem Bott stieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange (Mk 6,34). Diese Worte gewähren uns einen tiefen Einblick in das Herz des Herrn, der bewegt ist, weil ihn die vielen Menschen „schmerzten“, die niemanden haben, der sie führen könnte.
Drei Verben stechen in der Geschichte hervor. Erstens: Jesus sah sie. Der Blick des Herrn ist weder neutral, noch ist er kalt oder gleichgültig. Jesus zählt nicht in Dutzenden; Gott kann sogar nur bis eins zählen. Er sieht eine Menschenmenge und sein Blick fällt auf jedes Herz, auf jede individuelle Geschichte. Dann, so fährt der Evangelist fort, hatte er Mitleid mit ihnen. Ganz selbstvergessen und mit tiefer Zuneigung denkt er nur an die am Ufer wartende Menge, die ziellos und ohne wirkliche Hirten einhergeht. Schließlich lehrte er sie. Obwohl es sicherlich viele Kranke unter ihnen gab, die ein Wunder benötigten, gab er ihnen zunächst sein Wort als Brot; er selbst wurde zur Nahrung für diese hungrige Menge.
Der heilige Josefmaria betonte wiederholt, dass jeder von uns „nicht nur Schaf ist (...), sondern in gewisser Weise auch guter Hirte“8. Wir alle sind aufgerufen, die Menschen mit den Augen Jesu zu betrachten, wie Jesus mit ihnen mitzufühlen und sie wie Jesus zu lehren. Bitten wir Maria, uns zu stärken, damit wir uns nicht von unserem Sendungsauftrag abwenden. Sie ist eine Mutter, die Mitleid empfindet, die das Leiden und die Liebe Jesu teilt. Sie ist auch uns nahe und hat, wie Papst Benedikt sagte, „Verständnis für alles“9.
1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 176.
2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 47.
3 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 514.
4 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 756.
5 Javier Echevarría, Memoria del Beato Josemaría Escrivá, Rialp, Madrid 2000, S. 201-202.
6 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 201.
7 Franziskus, Angelus-Gebet, 18.7.2021.
8 Hl. Josefmaria, Brief 25, Nr. 30.
9 Benedikt XVI., Predigt, 8.12.2005.