Betrachtungstext: 3. Adventwoche - Montag

Die Betrachtung der Heiligen Schrift ist Licht auf unserem Weg. - Gott wird in den Herzen gegenwärtig, die ihn aufrichtig suchen. - Die Liebe zur Wahrheit ist Kennzeichen der Jünger Christi.

DIE PROPHETEN kündigten den Messias an, und dank ihrer Worte erwartete und ersehnte das Volk Israel sein Kommen intensiv: Ihr Völker, hört das Wort des Herrn und verkündet es in aller Welt1. Bei vielen Gelegenheiten sehen wir jedoch, dass das Volk die Botschaften der Propheten überging, und da es sie nicht annahm, fiel es ihm schwer, das eigene Verderben zu vermeiden. In diesem Sinn ist die Geschichte von Bileam, eines heidnischen Sehers, bezeichnend, den ein Israel feindlicher König auffordert, das Volk Gottes zu verfluchen. Voll des Geistes des Herrn geht Bileam auf die königliche Erpressung nicht ein und segnet das auserwählte Volk dreimal: Jakob, wie schön sind deine Zelte, deine Wohnungen, Israel! (Num 24,5). Das Ende Bileams ist tragisch, denn er wird durch die Hände der Israeliten selbst sterben.

In seiner Prophezeiung symbolisiert Bileam das Kommen des Messias als einen Stern, der aus Israel hervorgeht: Ein Stern geht in Jakob auf (Num 24,17). Der Erlöser, der herabsteigt, wird wie ein großes Licht auf Erden2 sein. Jahrhunderte später wird genau das Licht eines Sternes den Weg der Magier lenken, die in ihm eine Botschaft des Heils entdecken. Der Stern führt sie zu einem in der Nacht entzündeten Flämmchen: zu einem neugeborenen Kind, das in der Stille der Welt schreit3. Auch wenn alle den Stern sahen, so haben nicht alle seinen Sinn verstanden. Im heutigen Tagesgebet bitten wir kühn: Herr, erleuchte die Finsternis unseres Herzens durch die Ankunft deines Sohnes4; gib uns die notwendige Klarheit, um die Wichtigkeit all dieser Ereignisse im persönlichen, inneren Leben jedes Einzelnen zu entdecken. Im Buch Numeri wird Bileam als Mann mit geöffnetem Auge bezeichnet, der Gottesworte hört und die Kunde des Höchsten kennt, der eine Vision des Allmächtigen sieht (Num 24,15-17). In der stillen Betrachtung des offenbarten Wortes finden wir Licht für unseren täglichen Weg. Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade (Ps 119,105), betet der Psalmist. In der Schrift lernen wir auch, unser eigenes Leben zu entziffern. Der heilige Josefmaria ermunterte uns: Im heiligen Text des Evangeliums findest du das Leben Jesu - aber auch dein eigenes Leben sollst du dort finden. (…) Greife also jeden Tag zum Evangelium, lies es, nimm es zum konkreten Kompass deines Daseins5.


WÄHREND JESUS, bei einem seiner häufigen Besuche im Tempel, die Pilger lehrte, die zu ihm gekommen waren, um ihn zu hören, kommen die Hohenpriester und die Ältesten mit der Absicht, ihn auf die Probe zu stellen. Er ist ihnen unter anderem lästig, weil er beim Volk eine Autorität genießt, die ihm nicht von den eingesetzten Mächtigen gewährt worden ist. In welcher Vollmacht tust du das und wer hat dir diese Vollmacht gegeben? (Mt 21,23). Sie fragen nicht bewegt von einer ehrlichen Neugierde, ihnen missfällt einfach die Predigt des Meisters, und sie lehnen sich auf, weil die Menge ihm begeistert folgt.

Wie bei anderen Gelegenheiten ersichtlich ist, so erkennt Jesus auch jetzt die Absichten ihrer Herzen. Sie sind falsch, verstellen sich, sind nicht aufrichtig. Sie stellen ihm eine zweideutige Frage, wollen aber in Wirklichkeit nur, dass Jesus ihnen ein für alle Mal sagt, ob er der Messias ist. Sie sind jedenfalls nicht bereit, es anzuerkennen und handeln mit bösartiger Schlauheit. Es überrascht uns nicht, dass der Meister ihnen keine Antwort gibt, denn Jesus weiß nichts anzufangen mit berechnender Schläue, mit der Grausamkeit eines kalten Herzens, mit augenfälliger, aber leerer Schönheit. Unser Herr schätzt die Freude eines jungen Herzens, den einfachen Schritt, eine Stimme ohne Falsch, klare Augen, ein Ohr, das sein liebevolles Wort sucht. So herrscht Er in der Seele6.

Gott kommt in die Herzen, die ihn ehrlich suchen. Wer den rechten Weg beachtet, den lasse ich das Heil Gottes schauen (Ps 50,23). Das Kind, das mit Einfachheit zu ihm kommt, rührt Jesus zutiefst, ebenso der Aussätzige, der seine Wunden zeigt, der Blinde, der ruft, ohne Furcht vor dem, was die Leute sagen könnten, oder der Zöllner, der auf einen Baum steigt, um ihn besser zu sehen. Das heißt, ihn bewegen die Herzen, die sich nicht hinter der Falschheit verbergen.Der Christ muss authentisch, wahrhaft, aufrichtig in all seinen Werken sein. Sein Verhalten muss den Geist Christi durchscheinen lassen. Wenn überhaupt jemand in dieser Welt sich als konsequent erweisen soll, dann der Christ, denn ihm ist die befreiende, die Heil wirkende Wahrheit anvertraut worden, damit er diese Gabe fruchtbringend einsetzt7.


WER HAT DIR diese Vollmacht gegeben?, fragen sie ihn. Der Meister antwortet mit einer Gegenfrage: Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch ich will euch eine Frage stellen. Wenn ihr mir darauf antwortet, dann werde ich euch sagen, in welcher Vollmacht ich das tue. Woher stammte die Taufe des Johannes? Vom Himmel oder von den Menschen? (Mt 21,24-25). In diesen Worten konfrontiert Jesus die Autoritäten mit der Wahrheit und zugleich lobt er Johannes. Auch wenn das Volk in Massen zum Jordan gekommen war, um sich taufen zu lassen, haben die Autoritäten seine Aufforderung zur Bekehrung und Buße nicht hören wollen. Die Anführer des Volkes wissen nicht, was sie Jesus antworten sollen, weil ihnen die Offenheit für die Wahrheit fehlt. In Wirklichkeit suchen sie nur die Anerkennung des Volkes. Sie wägen die Schwierigkeiten ab, die sie erwarten können, wenn sie die eine oder andere Antwort geben – sie war vom Himmel… sie war von den Menschen…–, und sie finden keinen Ausweg aus dem Dilemma: Wir wissen es nicht (Mt 21,27).

Die Begegnung mit der Wahrheit verlangt Offenheit und Bereitschaft zur Annahme. Die christliche Wahrheit findet man nur, wenn man liebt, ohne eine Gegenleistung zu fordern. Durch seine Stärke und Demut war der Täufer ein Zeuge der Wahrheit. Eine konsequente Haltung führt uns möglicherweise nicht auf einen bequemen Weg. Die Wahrheit ist jedoch an sich liebenswert und besitzt eine enorme Anziehungskraft. Um den Glanz der Wahrheit8 zu zeigen, ist es in erster Linie angebracht, sich zu bemühen, sie beständig und ehrlich zu suchen, um sie so erkennen und betrachten zu können. Wenn die Wahrheit wirklich geliebt wird, wenn sie in unser Inneres eintritt, um uns zu verändern, ist es leichter, sie mit Sprachengabe auszudrücken und sichtbar werden zu lassen. Die Liebenswürdigkeit der Wahrheit zu zeigen, ist eine Aufgabe der Christen.

Christus sagte von sich selbst: Ich bin die Wahrheit (vgl. Joh 14,6). Deshalb ist die Leidenschaft, sie zu suchen und zu vermitteln, eine angenehme Aufgabe für uns. Schon vor vielen Jahren erkannte ich sonnenklar einen Grundsatz, der seine Gültigkeit nie verlieren wird: Innerhalb der Gesellschaft (…) bedarf es einer neuen Art und Weise, die ewige Wahrheit des Evangeliums durch das eigene Leben zu bezeugen und zu verbreiten. Im innersten Kern der menschlichen Gesellschaft, der Welt, müssen die Kinder Gottes durch ihre Tugenden leuchten wie Lichter in der Finsternis ‒ ’quasi lucernae lucentes in caliginoso loco’9. In Begleitung der heiligen Maria und des heiligen Josef ziehen wir nach Betlehem. An ihrer Seite können wir diese rechte Ausrichtung des Herzens lernen, mit der beide Gott in den kleinen und großen Ereignissen ihres gewöhnlichen Lebens suchten.


1 Eröffnungsvers, Montag der 3. Adventswoche (Jer 31,10).

2 Vgl. Ruf vor dem Evangelium, 25. Dezember, Messe vom Tag.

3 Benedikt XVI., Homilie, 6.1.2008.

4 Tagesgebet, Montag der 3. Adventswoche.

5 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 754.

6 Ders., Christus begegnen, Nr. 181.

7 Ders., Freunde Gottes, Nr. 141.

8 Hl. Johannes Paul II., Enz. Veritatis Splendor, Nr. 1.

9 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 318.

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