Betrachtungstext: 23. Woche im Jahreskreis – Montag

Der Formalismus einiger Pharisäer – Lautere Absicht – Die Person hat Vorrang

ES WAR an einem Sabbat, als Jesus in die Synagoge ging und lehrte. Dort war ein Mann, dessen rechte Hand verdorrt war. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber gaben Acht, ob er am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn (Lk 6,6-7). Der Evangelist nennt uns unverblümt den Grund, weshalb einige jüdische Oberhäupter Jesus umringen. Sie waren weder an seinen Lehren interessiert, noch freuten sie sich darauf, Zeugen eines Wunders zu werden. Vielmehr suchten sie fieberhaft nach einem Vorwand, um gegen ihn vorzugehen. „Oh Pharisäer!“, predigte der heilige Cyrill von Alexandrien, „du siehst den, der kraft höherer Macht wunderbare Dinge tut und die Kranken heilt, und hast aus Neid seinen Tod im Sinn.“1

Diejenigen, die den Herrn damals verurteilten, bewiesen, dass ihnen der Mann mit der verdorrten Hand gleichgültig war. Ihre erste Sorge galt nicht dem Mitgefühl mit diesem Menschen und der Möglichkeit, ihn von seiner Krankheit zu befreien. Es ging ihnen lediglich um die strikte Einhaltung des Sabbatgebots, und dabei vor allem darum, denjenigen zu verklagen, der es nicht eingehalten hatte, und das war in diesem Fall Jesus, der Urheber des Gesetzes selbst. Mit ihrem Formalismus beweisen diese Pharisäer, wie Papst Franziskus sagte, dass sie „der Gnade Gottes keinen Platz einräumen“ und entschlossen waren, bei sich selbst zu verharren, „bei ihrer eigenen Traurigkeit und ihrem Groll“, so dass sie nicht in der Lage waren, anderen das Heil zu bringen, weil sie ihm selbst keinen Eintritt gewährten.2

In Wahrheit hatten diese Menschen die großzügige Straße der Barmherzigkeit Gottes in einen schmalen Pfad des Gesetzesgehorsams umfunktioniert. Anstatt eine ermutigende Hilfe auf diesem Weg zu sein, stellen sie sich als Hindernis dar. Und statt Menschen zu sehen, sehen sie bloß Abweichungen von der Norm. Angesichts einer solchen Art der Verblendung legt der heilige Josefmaria dar: „Es gibt keine vordefinierten Formeln, keine starren Methoden oder Leitfäden, um die Seelen Christus näher zu bringen. Die Begegnung Gottes mit jedem Menschen ist unaussprechlich und unwiederholbar. Und wir müssen mit Jesus Christus zusammenarbeiten, um in jedem Fall das richtige Wort und den rechten Weg zu finden, indem wir fügsam sind und nicht versuchen, das immer originelle Wirken des Heiligen Geistes in Bahnen zu zwängen.“3


DER HEILIGE LUKAS weist darauf hin, dass Jesus die Gedanken dieser Schriftgelehrten und Pharisäer durchschaut (vgl. Lk 6,8). Der Herr weiß genau, dass sie nicht gekommen sind, um ihm in Demut zuzuhören und seinen Lehren zu folgen. Obwohl sie äußerlich so tun, als würden sie wie die Menge auf Jesus hören, steht ihr Inneres in krassem Gegensatz zur Einfachheit, mit der alle anderen auf ihn zugehen. Sie haben nicht den Wunsch, ihr Leben zu ändern und Gott zu gefallen, sondern wollen nur etwas finden, was sie ihm vorwerfen können.

Der heilige Josefmaria schrieb: „Lauterkeit der Absicht heißt, ,ausschließlich und in allem‘ die Ehre Gottes suchen“4, das heißt jenseits unserer eigenen Ehre und losgelöst von den Maßstäben, nach welchen wir die Wirklichkeit beurteilen. Christliches Leben beschränkt sich nicht auf das „Erfüllen“ bestimmter moralischer oder religiöser Standards oder Vorschriften. Jene Pharisäer waren in der Tat eifrige Beobachter des Gesetzes, gaben Almosen, verbrachten viele Stunden im Tempel und fasteten ... Doch Jesus wusste, dass sie das nicht taten, um seinen Vater zu verherrlichen. Daher half ihnen auch ihre ganze Mühe nicht, weder ihren Mitmenschen noch ihrem wahren Glück näher zu kommen. Dieses Volk, wird der Herr mit Worten des Propheten Jesaja ein anderes Mal zu ihnen sagen, ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir (Mt 15,8).

Christliches Leben zeigt sich zweifellos immer in äußeren Werken. Entscheidend ist jedoch, dass diese Werke vom Geist der Güte und der Heiligkeit beseelt sind, wie wir es im Leben des Herrn, der Apostel und der Heiligen feststellen können. Auf diese Weise kann der Christ, wie der Gründer des Werkes sagte, „wie König Midas alles, was er anfasst, in reines Gold verwandeln, und zwar durch die lautere Absicht, die es ihm mit Gottes Gnade ermöglicht, neutrale Handlungen zu etwas Heiligem zu machen.“5


NACHDEM er den Mann mit der verdorrten Hand gebeten hatte, sich in ihre Mitte zu stellen, richtete Jesus eine maßgebliche Frage an die Schriftgelehrten und Pharisäer: Ist es am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder zugrunde zu richten? (Lk 6,9). Ohne auf eine Antwort zu warten, vollbrachte der Herr das Wunder, und die Hand des Mannes war geheilt.

Jesus handelte ohne taktische Überlegungen, wenn es darum ging, Gutes zu tun. Er war in die Welt gekommen, um die Menschen zu erlösen, und diesem Ziel widmete er sein ganzes Leben. Deshalb wirkte er genauso am Sabbat Wunder, um zu zeigen, dass das Wohl des Menschen immer oberste Priorität hat. Wenn es darum ging, eine Seele zu retten, zögerte er nicht, sich mit öffentlichen Sündern zu umgeben (vgl. Mk 2,16), so viele Städte wie nötig zu besuchen (vgl. Lk 4,43) oder Häuser von Heiden zu betreten (vgl. Mt 8,7). Kurz gesagt: Seine heilbringende Sendung kannte keine festen Zeitpläne oder Unterscheidungen irgendwelcher Art. Jesus war immer bereit.

Die Berufung, Gott bekannt zu machen, reißt uns ebenfalls aus unseren Plänen und Sicherheiten heraus. Das missionarische Bewusstsein, das den Apostel kennzeichnet, führt ihn dazu, wie Papst Franziskus sagte, „die Freude zu erfahren, eine Quelle zu sein, die überfließt und die anderen erfrischt. Missionar kann nur sein, wer sich wohl fühlt, wenn er das Wohl des anderen sucht, das Glück der anderen will.“6 Das ist die Offenheit des Herzens, die auch Maria kennzeichnete. Während ihres irdischen Lebens stellte sie immer das Wohl Jesu an die erste Stelle. Und dieselbe Hingabe zeigt sie nun gegenüber all jenen, die sich ihr nähern, um sie um ihre mütterliche Hilfe zu bitten.


1 Hl. Cyrill von Alexandrien, Predigten über das Lukas-Evangelium.

2 Vgl. Franziskus, Tagesmeditation, 1.4.2014.

3 Hl. Josefmaria, Cartas 11, Nr. 42

4 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 921.

5 Hl. Josefmaria, Instrucción para la obra de San Gabriel, Nr. 98.

6 Franziskus, Evangelii Gaudium, Nr. 272.

Foto: Meruyert Gonullu (pexels)