JESUS STIEG auf einen Berg und rief die zu sich, die er selbst wollte, und sie kamen zu ihm (Mk 3,13). Dieses Ereignis ist zweifellos ein entscheidender Moment für den Herrn, denn diejenigen, die er ruft, werden seine Sendung in der Welt fortsetzen. Der Bericht des Markus enthält ein bedeutsames Detail, das die tiefere, übernatürliche Dimension dieses Augenblicks unterstreicht: Jesus stieg auf einen Berg. Der Berg bezeichnet in der biblischen Sprache nicht nur einen physischen Ort, sondern symbolisiert auch das Gebet, das den Alltagslärm hinter sich lässt und den Raum der Gemeinschaft mit Gott sucht.
Die Apostel werden also gleichsam im Gebet Jesu gezeugt – „ihre Berufung kommt aus dem Dialog des Sohnes mit dem Vater heraus und ist dort verankert.“1 Jesus betrachtet jeden Apostel daher als ein Geschenk des Vaters und spricht von ihnen als von jenen, die du mir gegeben hast (Joh 17,9). So sollen auch wir uns an den Herrn der Ernte wenden, um ihn um Arbeitskräfte zu bitten (vgl. Mt 9,38).
Der Ruf und die Sendung des Apostels haben nicht nur ihren Ursprung, sondern auch ihren Bestand im liebevollen Gespräch zwischen Vater und Sohn. Von dort, aus dem Schoß der Dreifaltigkeit – symbolisiert durch den Berg, der mehr einem Vulkan gleicht – fließt das Feuer, das alles apostolische Handeln antreiben soll. Bei der Weitergabe des Evangeliums an andere wird keine Motivation ausreichen, „wenn in den Herzen nicht das Feuer des Heiligen Geistes brennt“2. Der Christ wird zum Apostel auf dem Berg des Gebets! Dort empfängt er den Auftrag Jesu und die Glut des Heiligen Geistes. Die wichtigste Aufgabe des Apostels ist es daher, diesen Gipfel aufzusuchen, um das Feuer der Liebe Gottes in sich zu erneuern. Wenn das Apostolat diese Mitte verliert, wird es leicht zu einer Aneinanderreihung von Aufgaben oder sogar als lästige Pflicht empfunden, die den eigenen Wünschen entgegensteht. Erwächst es hingegen aus unserer innigen Verbindung mit Gott, wird es zu einem natürlichen Ausdruck unserer Identität als Apostel.
ER SETZTE zwölf ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende(Mk 3,14-15). Auf den ersten Blick mögen die zwei Ziele, für die Jesus seine Apostel erwählt, widersprüchlich erscheinen: bei ihm zu bleiben und ausgesandt zu werden. In Wirklichkeit sind es zwei Aspekte desselben Auftrags. Für die Zwölf bedeutete das Zusammensein mit Christus zunächst, dass sie mit ihm lebten, ihm folgten, mit ihm den Alltag teilten. Doch mit der Zeit wurde das Zusammensein mit Jesus zu einer inneren Verbindung, die Apostel gingen von der äußeren Gemeinschaft mit Jesus zu einer inneren Gemeinschaft über. Die Zwölf lernten, mit Jesus so zusammenzuleben, dass sie ihm auch dann nahe bleiben konnten, wenn sie bis an die Enden der Erde gelangten.
Nur wer in der Liebe Christi verwurzelt ist, kann ihn anderen authentisch verkünden. Ohne diese tiefe Gemeinschaft droht das Apostolat, oberflächlich zu werden: Es führt zu Müdigkeit, Überdruss und innerem Unbehagen, weil ihm das Feuer der Liebe fehlt. Der heilige Josefmaria brachte es treffend auf den Punkt: „Schon vor vielen Jahren bin ich angesichts der Vorgehensweise unseres Herrn zu dem Schluss gekommen, dass das Apostolat – jede Form des Apostolats – ein Überfließen des inneren Lebens ist.“3
Aus dieser Gemeinschaft mit Christus erwächst nicht nur die Kraft, das Evangelium zu verkünden, sondern auch die Vollmacht, Dämonen auszutreiben (Mk 3,15). Ein Apostolat, das nicht aus der Liebe Christi geboren ist, erzeugt seine eigenen Dämonen: Eifersucht, Vergleiche, Neid ... Solche Dinge zerstören die Einheit und entziehen dem Apostolat seine authentische Kraft. Echtes Apostolat ist hingegen durch Liebe, Brüderlichkeit, Verständnis und Einheit gekennzeichnet. Es trägt das Siegel der glühenden Quelle, aus der es geboren ist: die Gemeinschaft mit Christus.
DIE GRUPPE DER ZWÖLF musste lernen, sich in der Nächstenliebe zu üben.Wer die Liste der Apostel liest, erkennt schnell, dass es sich nicht um eine homogene Gemeinschaft handelt. Sie waren keine Freunde, die sich gegenseitig ausgewählt hätten, sondern jeder Einzelne wurde von Gott berufen – trotz ihrer unterschiedlichen Herkünfte, Lebensweisen und Persönlichkeiten. Diese Unterschiede waren teils derart ausgeprägt, dass man sich leicht die Spannungen und Herausforderungen vorstellen kann, mit denen sie zu kämpfen hatten.
Simon von Kana und Judas Iskariot gehörten vermutlich der radikalen Gruppe der Zeloten an – Männer, deren Blut bei jeder Erwähnung der römischen Besatzung zu kochen begann. Matthäus hingegen war Zöllner und arbeitete für die Römer – ein völliger Gegensatz zu den Eiferern. Die Brüder Petrus und Andreas waren Fischer und führten vielleicht eine kleine Fischereigenossenschaft, zu der auch die temperamentvollen „Donnersöhne“, Jakobus und Johannes, gehörten. Wie wohl ihre Beziehung aussah? Sicherlich erlebten sie Höhen und Tiefen. Philippus und Andreas trugen griechische Namen, weshalb sich die griechischen Besucher des Passahfestes an sie wandten.
„So können wir uns vorstellen“, schrieb Joseph Ratzinger in seinem Jesus-Buch, „wie schwer es war, diese Gruppe langsam in den geheimnisvollen neuen Weg Jesu hineinzuführen, welche Spannungen da zu bestehen waren – wie vieler Reinigungen zum Beispiel der Eifer der Zeloten bedurfte, um schließlich eins zu werden mit dem ,Eifer‘ Jesu, der sich am Kreuz vollendet. Gerade in dieser Spannweite der Herkünfte, der Temperamente und der Einstellungen verkörpern die Zwölf die Kirche aller Zeiten und die Schwere ihres Auftrags, diese Menschen zu reinigen und zu einigen im Eifer Jesu Christi.“4
Bei all diesen Unterschieden war die Nächstenliebe unter den Aposteln von Anfang an der Prüfstein für ein authentisches Apostolat. Ubi divisio, ibi peccatum, sagte Origenes treffend: Wo es Spaltung gibt, dort ist Sünde. Ein christlicher Hymnus preist das Gegenteil: Ubi caritas est vera, Deus ibi est: Wo wahre Nächstenliebe ist, dort ist Gott. Seit den Anfängen der Kirche war die Liebe untereinander das untrügliche Zeichen der Gegenwart Christi in der Gemeinschaft der Christen. Und Maria? Unsere Mutter war von Anfang an der Brennpunkt dieser Einheit, um den sich alle versammelten (vgl. Offb 1,14).
1 Joseph Ratzinger, Jesus von Nazaret, 1. Teil, Kap. 6.
2 Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 261.
3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 239.
4 Joseph Ratzinger, Jesus von Nazaret, 1. Teil, Kap. 6.