Betrachtungstext: 2. Woche der Fastenzeit – Donnerstag

Der Wert der irdischen Güter – Mitleid mit den Menschen in unserer Umgebung – Den Lazarus vor unserer Tür sehen

DAS EVANGELIUM legt uns das Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus vor. Ersterer ist ein Mann, der im Luxus lebt und nur an sein eigenes Wohlergehen denkt. Jesus bezichtigt ihn jedoch nicht der Ungerechtigkeit, sondern sagt nur, dass er sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte (Lk 16,19). Neben seinem Haus saß ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war (ebd.). Der reiche Prasser ist so sehr auf seinen Reichtum bedacht, dass er dessen Gegenwart gar nicht wahrnimmt. Lazarus erhält keinerlei Verpflegung und ernährt sich von den Resten, von dem, was vom Tisch des Reichen herunterfiel (Lk 16,21). „Eitel waren seine Gedanken und eitel seine Gelüste, sagt der heilige Augustinus über den Prasser, „Am selben Tag, an dem er starb, zerfielen seine Pläne.1 Jesus sagt tatsächlich, dass beide sterben, doch ihr Schicksal ist wie Tag und Nacht.

Erforsche mich, Gott. (...) Sieh doch, ob ich auf dem Weg der Götzen bin, leite mich auf dem Weg der Ewigkeit! (Ps 139,23-24), beten wir mit dem Psalm. Wir wissen, dass das erfüllte Leben, jenes Leben, in dem wir frei sind, zu lieben, nicht ausschließlich von irdischen Gütern abhängt; auf ihnen beruht weder unsere Sicherheit noch unser Glück. Der heilige Josefmaria erinnert uns daran, „dass das Herz sich nicht mit den Geschöpfen zufrieden gibt, sondern dass es den Schöpfer sucht“2. Die Fastenzeit ist eine gute Zeit, so der Prälat des Opus Dei, „um herauszufinden, wie die uns zur Verfügung stehenden materiellen Dinge dazu beitragen, die Aufgabe zu erfüllen, die Gott uns anvertraut hat. Dann können wir uns leichter von jenen lösen, die dies nicht tun, und unbeschwert unseren Weg gehen wie Jesus, der keinen Ort hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte (Lk 9,58). Die Armut wird uns lehren, die Dinge der Welt nach der Bedeutung zu beurteilen, die sie für den Weg der Vereinigung mit ihm und den Dienst an unseren Mitmenschen haben.“3


SO LANGE er lebte, stand dem Lazarus keines der Güter zur Verfügung, die der reiche Prasser genoss. Dieser wird jedoch nicht wegen seines Reichtums verurteilt, sondern wegen seines völligen Mangels an Mitleid. Aus der Erzählung geht hervor, dass Lazarus hingegen ein frommer Mann war, der seine Hoffnung auf Gott setzte und deshalb von den Engeln in die himmlische Wohnung getragen wurde. Man könnte von ihm sagen, was wir im Psalm beten: Selig ist der Mann, der (...) sein Gefallen hat an der Weisung des Herrn (Ps 1). Der Schlüssel zur Erklärung des unterschiedlichen ewigen Schicksals, das den beiden beschieden war, ist also nicht die Vermögenslage als solche, sondern was in den Herzen der beiden vor sich ging. Daher lehrte der heilige Augustinus: „Lernt, reich und arm zu sein, sowohl ihr, die ihr etwas in dieser Welt euer eigen nennt, als auch ihr, die ihr nichts euer eigen nennt. Denn ihr trefft ja auch den Bettler an, der sich überhebt, und den Vermögenden, der sich erniedrigt. Gott widersteht den Stolzen, ob sie sich nun in Seide oder in Lumpen kleiden; den Demütigen aber schenkt er seine Gnade, ob sie nun weltliches Vermögen besitzen oder nicht. Gott schaut in das Innere; dort wägt er ab, dort prüft er.4

Lazarus zählt nicht für die Welt. Wegen seines Elends und seiner Einsamkeit kümmert sich allein der Herr um ihn. „Wer von allen vergessen ist, den vergisst Gott nicht“, tröstet Benedikt XVI., „wer in den Augen der Menschen nichts wert ist, ist wertvoll in den Augen des Herrn.5 Das Gleichnis lädt uns auch dazu ein, die Liebe zu leben, vor allem jenen gegenüber, die uns am nächsten sind, und jenen gegenüber, die am meisten Not leiden. In einer Fastenbotschaft mahnte der Papst aus Deutschland: Niemals darf unser Herz von unseren Angelegenheiten und Problemen so in Anspruch genommen sein, dass es taub wird für den Schrei des Armen.“6 Und das II. Vatikanische Konzil betonte in diesem Sinn: „Alle müssen ihren Nächsten ohne Ausnahme als ein ,anderes Ich‘ ansehen, vor allem auf sein Leben und die notwendigen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Lebens bedacht. Sonst gleichen sie jenem Reichen, der sich um den armen Lazarus gar nicht kümmerte.“7


ICH, DER HERR, erforsche das Herz und prüfe die Nieren, um jedem zu geben nach seinen Wegen, entsprechend der Frucht seiner Taten (Jer 17,10). Nach dem Tod wird Gott uns richten und uns nach unseren Taten „wiegen“. In unserem Leben zeigt sich dieses Entweder-Oder: der sichere Weg dessen, der auf den Herrn vertraut, wie Lazarus, oder der unfruchtbare Weg dessen, der seine ganze Hoffnung auf materielle Güter setzt, die er beherrschen kann, wie der reiche Prasser.

Der heilige Josefmaria warnte vor Lebenshaltungen wie die jener Menschen, „die im Christsein nur ein Bündel von Andachten oder Frömmigkeitsübungen sehen, ohne zu begreifen, dass Christsein die Situationen des täglichen Lebens, ein Gespür für die Not der anderen und die Beseitigung der Ungerechtigkeit einschließt“8. Die Liebe zu Gott drückt sich in der Sorge um die anderen aus; sie bleibt nicht beim Gefühl, sondern äußert sich notwendig in einem konkreten Dienst an konkreten Personen, selbst wenn dies bedeutet, dass wir uns von bestimmten scheinbaren persönlichen Sicherheiten lösen müssen.

„Die Barmherzigkeit, die Gott uns schenkt“, lehrt Papst Franziskus, „ist an unsere Barmherzigkeit gegenüber dem Nächsten gebunden: Wenn diese fehlt, dann findet auch jene keinen Raum in unserem verschlossenen Herzen und kann nicht eintreten.“9 Wir bitten die heilige Maria um die Gnade, den Lazarus deutlich zu sehen, der vor unserer Tür um unsere Aufmerksamkeit und Liebe bettelt.


1 Hl. Augustinus, Über das Alte Testament, Predigt 33 A, 4.

2 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 110.

3 Msgr. Fernando Ocáriz, Botschaft, 20.2.2021.

4 Hl. Augustinus, Über den Psalm 85.

5 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 30.9.2007.

6 Benedikt XVI., Botschaft zur Fastenzeit, 2012.

7 II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Nr. 27.

8 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 98.

9 Franziskus, Angelus-Gebet, 18.5.2016.