Talente entwickeln

Eine nicht unbedeutende Seite eines gelungenen Lebens liegt gerade darin, die empfangenen Fähigkeiten zu nützen. Dieser Artikel bringt Gedanken über das Gleichnis von den Talenten.

Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völkern wäret, hat euch der HERR ins Herz geschlossen und ausgewählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. Weil der HERR euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern geleistet hat 1. Jeder Mensch ist die Frucht einer vorzüglichen Liebe. Wenn Gott menschlichen Geschöpfen das Leben schenkt, will Er, dass alle an seiner Güte und Glückseligkeit teilhaben und will von ihnen aus freiem Entschluss geliebt werden.

Obwohl die Menschen ihn vergessen und oder nicht beachten, hört Er nicht auf, ihnen nachzugehen und sich um sie zu kümmern, sowie ihre Erkenntlichkeit zu verlangen: seine Absichten ändern sich nicht und seine Liebe endet nie. Er ist ein treuer Gott, der aus seiner unendlichen Liebe heraus seine Gaben nicht bereut.

Aus den ersten Seiten des Alten Testaments kann man ersehen, dass die Treue Gottes nicht von den Schwächen oder vom Verrat seiner Geschöpfe abhängt. Auf die Sünde von Adam und Eva antwortet der Herr mit väterlicher Fürsorge: Er bekleidet sie liebevoll, Er verspricht ihnen einen Erlöser; und angesichts der Untreue des Volkes Israel zeigt sich Gott immer als ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue 2. Er ist bereit zu verzeihen und angesichts seiner Treue und seiner Verheißungen die zugunsten des Volkes von den Propheten vorgebrachten Bitten anzunehmen 3.

Im Neuer Testament finden Treue und Liebe Gottes ihren höchsten Ausdruck: der Bund Gottes mit der gesamten Menschheit findet in der Menschwerdung des Sohnes auf neue Art seine Bestätigung. Jesus Christus hat uns zu einem Teil seines mystischen Leibes gemacht, so dass jeder Mensch im eingeborenen Sohn wahrhaft Sohn Gottes sein kann, der Anteil am göttlichen Leben hat. Christus erfüllt das, was Moses von Jahwe erbeten hat, vollständig und für immer: Wenn dein Angesicht nicht mitginge, dann führe uns nicht von hier hinauf! Woran soll man erkennen, dass ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, ich und dein Volk? Doch wohl daran, dass du mit uns ziehst 4.

In ein fernes Land

Gottes Treue belebt unsere Hoffnung. Im Licht des Glaubens dürfte kein Mensch daran zweifeln, dass ihm Gott seine Liebe und Freundschaft anbietet. Diese Grundlage unserer Hoffnung ist zugleich Ansporn, auf die Liebe Gottes mit Treue zu antworten.

Verschiedene Abschnitte des Evangeliums berichten, wie sehr Jesus Christus die Treue der Menschen lobt. Das zeigt sich beispielsweise im Lob des treuen und klugen Verwalters, der auf das Eintreffen seines Herrn wartet: Der Herr freut sich, den Lohn für dieses Verhalten anzukündigen: Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird ihn über sein ganzes Vermögen einsetzen 5.

Im Gleichnis von den Talenten findet sich der gleiche Gedankengang. Der heilige Josefmaria hat das häufig meditiert. Er sah in den an den guten und getreuen Knecht gerichteten Worten etwas wie eine Art Heiligsprechungsformel.

Die Geschichte beginnt damit, dass ein Mann auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab 6. Gott hat jedem Menschen – ähnlich wie diesen Dienern – bestimmte Gaben völlig frei zur Verfügung gestellt: das Leben, das mit der Berufung verbunden ist, sich mit seinem Schöpfer zu verbinden. Matthäus hebt allerdings hervor, dass die Gabe den Fähigkeiten jedes einzelnen angepasst ist: der eine erhält fünf Talente, weil der Herr weiß, dass er diese Summe zu verwalten vermag; dem anderen gibt er zwei und dem letzten schließlich eines. Gott wendet – menschlich gesprochen – „mütterliche Gerechtigkeit“ an: Er gibt jedem das, was er mit den ihm von Gott selbst zugeteilten Fähigkeiten auf sich zu nehmen vermag.

In unserem Fall hat er uns neben vielen anderen Gaben vielleicht auch eine besondere Berufung anvertraut, einen bestimmten Weg, um in der Kirche zu wirken. Das ist jenes Talent, das unserem Sein am besten entspricht, denn Gott sieht und erkennt uns mit schöpferischer Liebe. Folglich darf niemand meinen, dass Gott zu viel von ihm verlangt, dass er ihn überfordert oder an einen für ihn nicht passenden Platz gestellt hat, oder dass seine Kräfte für die ihm gestellten Aufgaben nicht ausreichen. Er schenkt allen seine Gnade und gibt sie jedem im erforderlichen Ausmaß. Im Gegenzug verlangt Gott viel, nämlich alles!

Der Herr erwartet, dass wir seine Gaben mit Eifer, Ausdauer und Initiative verwalten. Die meisten der im Gleichnis genannten Diener handelten entsprechend: der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte, (ging sofort) hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu 7. Bedeutend ist hier nicht, wohin der Diener ging, sondern seine großzügige Vorgangsweise, da er sofort Investitionsmöglichkeiten für die ihm zugeteilte Summe suchte.

Ein nicht kleiner Teil eines gelungenen Lebens besteht genau darin, die empfangenen Fähigkeiten – Verstand, Sympathie, Liebenswürdigkeit, Verbindungen, Arbeit, etc. - zu entfalten und so dem Herrn zu Füßen zu legen, dass Jesus frei „einsteigen“ kann, damit sie nicht zum Idol des eigenen Egoismus werden 8.

Damit das Talent Ertrag abwirft

Talente zu entwickeln erfordert Initiative. Der Herr sagte den Dienern nicht, wo sie investieren sollen, jeder verfügte über die Mittel und Kenntnisse, um zu wissen, welche Geschäfte er durchzuziehen vermochte und dass das ihm übergebene Geld ausreichen würde, um sie zu einem guten Ende zu führen.

Wenn man der eigenen Berufung entsprechen will, ist es daher erforderlich, die Fähigkeiten zu entdecken, die einem geschenkt wurden, sie ins Spiel zu bringen und bei zahlreichen Initiativen einzusetzen. Wesentlich ist: Grabe dein Talent aus! Ziehe Gewinn daraus 9.indem du im Vertrauen auf die Worte des Herrn nach und nach durch deine Aktivitäten den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Einfluss zu verstärken trachtest: Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat 10. Dieser anscheinend so harte Satz erinnert uns daran, dass es Gott ist, der das Wachstum bewirkt 11.

Nicht nur oder ausschließlich durch unsere eigenen Anstrengungen werden unsere Talente Frucht bringen, sondern durch das Wohlwollen Gottes, der gütig auf die ihm dargebrachte Gabe blickt 12. Apostolische Früchte werden sich einstellen, wenn man für Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Mitschüler oder Studienkollegen Zeit aufwendet, sowie die kulturellen oder sportlichen Neigungen der Kinder fördert. Sie werden darüber hinaus reichlich kommen, vor allem für die eigene Seele: denn als erste Folge wird sich die Freude darüber einstellen, dass man nützlich war und anderen zu Wachstum verholfen hat.

So ähnlich ist es mit den von Gläubigen des Opus Dei sowie von vielen anderen Christen und Nichtchristen in aller Welt geförderten apostolischen Einrichtungen. Sie werden ohne Aufgabe ihrer eigenen Natur zum Ferment, das die Gesellschaft von innen heraus befruchtet, indem mit anderen ähnlichen Institutionen zur menschlichen Entwicklung zusammengearbeitet wird und indem die Projekte in den Medien bekannt gemacht werden, wobei immer eine positive Einstellung zum Tragen kommt.

Das Gleichnis wird mit der Rückkehr des Herrn fortgesetzt, der die Abrechnung verlangt. Dabei werden diejenigen, deren Talente Früchte getragen haben, gelobt: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn !13 Es fällt auf, dass der Herr die anvertraute gewaltige Summe wenig nennt, welche sein Diener verdoppelt hat. Im Vergleich zu dem Vielen – zur Teilhabe an seiner eigenen Freude- das er ihnen geben will, ist sie nichts oder gar weniger als nichts.

In der Parallelstelle im Evangelium des heiligen Lukas14, besteht der Lohn für die Diener in der Herrschaft über ganze Städte. Diese Variante verhilft uns dazu, zu bedenken, dass die Diener an der Macht ihres Herrn beteiligt werden, dass eine entsprechende Nutzung der Gaben bedeutet, an der Sorge des Königs für alle Menschen mitzuwirken.

Die den Dienern übergebenen Talente müssen für die anderen genutzt werden: sie werden eingesetzt, um die Gesellschaft besser zu machen. Jene Diener, die mit der Gnade Gottes ihre Gaben genutzt haben, haben bessere Voraussetzungen, wenn es um die Sorge für das Wohl ihrer Mitbürger geht. Sie kümmern sich um die körperliche und moralische Gesundheit, entwickeln Vorschläge, bei denen viele andere für die Evangelisierung der Gesellschaft eingebunden werden, beginnend in der näheren Umgebung, also zunächst in einem begrenzten Umfeld.

Es ist wichtig, sich zunächst im eigenen christlichen Umfeld froh zu bewegen, denn wer wird das tun, wenn nicht wir? Der Gründer das Opus Dei fasste dies alles zusammen, indem er sagte, dass die Christen für die Welt da sind. Wenn wir dienen, dann zeigt sich der Ruf Gottes in voller Stärke.

In der Liebe bleiben

Der schlechte und faule15 Diener verachtete seine Auserwählung, indem er sein Talent vergrub, die Zeit verstreichen ließ, ohne die mit diesem Reichtum verbundenen Chancen zu entdecken. Er wollte sich das Leben nicht auf diese Weise verkomplizieren und so kam er nie darauf, was er hätte tun können, noch warum sein Herr so viel Vertrauen in ihn gesetzt hatte.

Diese Gefahr ist auf dem Weg der Berufung immer gegeben, denn „ein erster Enthusiasmus ist leicht, aber ihm folgt das Standhalten auch auf den einförmigen Wüstenwegen, die im Leben zu durchschreiten sind – in der Geduld des immer gleichen Fortgehens, in der die Romantik des ersten Aufbruchs abfällt und nur das tiefe, reine Ja des Glaubens bleibt“ 16.

Natürlich bestünde nach dem Beginn des Handeltreibens auch noch immer die Möglichkeit, das Talent zu vergraben. Der Herr aber sagt uns, was zu tun ist, damit das nicht passiert: Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben17. „Wenn die Frucht, die wir bringen sollen, die Liebe ist, so ist ihre Voraussetzung eben dieses ‚Bleiben’, das ganz tief mit dem Glauben zu tun hat, der den Herrn nicht loslässt“ 18.

Sich an den von Gott gezeigten Weg zu halten, stellt an sich bereits ein Zeichen von Liebe und Glauben dar. Und das Geheimnis der Treue wurzelt gerade in der Liebe: Was das Geheimnis der Beharrlichkeit sei? Die Liebe. – Verliebe dich, und du wirst Ihn nicht lassen 19.

Don Álvaro, der Nachfolger des heiligen Josefmaria, sagte im Rahmen eines Kommentars zu diesem Punkt aus dem Weg, dass man auch behaupten könne: Lasse Ihn nicht und du wirst dich verlieben; sei loyal und du wirst schließlich vor Liebe verrückt werden 20. Der Herr belohnt die Ausdauer im Glauben, indem Er sein Werk zu Ende führt und jeden an sich zieht 21. So wird die Loyalität zu einer Quelle des persönlichen inneren Gleichgewichts, denn wer loyal ist, baut in seinem Umfeld ein von Frieden geprägtes Klima auf, er verbreitet Sicherheit und Vertrauen, vertreibt Angst und Unsicherheiten.

Das Gleichnis von den Talenten verweist auf den Vorrang der Liebe: Der Herre belohnt seine Diener, indem er sie an seiner Freude, an seiner Person teilhaben lässt. Er gibt nicht irgendetwas von dem, was ihm gehört, er gibt sich selbst. Der von den treuen Dienern gezeigte Eifer ist auch ein Hinweis auf ihr Nahverhältnis zum Herrn. Ebenso ist die christliche Treue nicht nur Zustimmung zu einer Lehre oder einem Dogma: Der Christ verhält sich vielmehr der lebendigen Person Christi und unterhält mit Ihm eine freundschaftliche Beziehung.

Deshalb darf man die Ausdauer nicht als starr und kalt berechnend auffassen. Aus ihr ergibt sich kein unbeugsames Wollen, das Gemütsschwankungen und veränderte Umstände ignoriert. Im Gegenteil: Die Treue verleiht dem Menschen Flexibilität, um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein, denn sie ist eine Folge der Liebe und die Liebe ist so einfallsreich wie der Hl. Geist.

Wenn ich meinem Gott treu bleibe, wird die Liebe immer wieder mein Leben erneuern: Wie des Adlers Jugend wird sich auch die meine erneuern 22. Die Heiligkeit ist das Leben, zu dem wir berufen sind. Der Weg ist klar vorgegeben und mit genauen Richtlinien abgesteckt. Es ist der Weg, den wir durch die Vermittlung Mariens beschritten haben und den wir unter ihrem Schutz weitergehen. Es geht darum, Werk Gottes zu sein, uns zu bemühen, den Anregungen des Heiligen Geistes treu – mit Herz! – zu entsprechen.

M. Díez

J. Morales

J. Verdiá


1Dtn 7,7-8.

2Ex 34,6; vgl. Gen 3,21; 3,15.

3 Vgl Gen 32,9-18.

4Ex 33,15-16.

5 Mt 24,46-47.

6 Mt 25,14-15.

7 Mt 25,16-17.

8 Vgl. Freunde Gottes, Nr. 21.

9 Ebd. Nr. 47.

10 Mt 25,29.

11 Vgl. Mk 4,26-29; 1 Kor 3,7.

12 Vgl. Römisches Messbuch, Drittes Hochgebet, Respice quaesumus ...

13 Mt 25,21.23.

14 Vgl. Lk 19,17.19.

15 Mt 25,26.

16 Benedikt XVI – J. Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 306.

17 Joh 15,10.

18 Benedikt XVI – J. Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 307.

19 Der Weg, Nr. 999.

20 Don Álvaro, Brief an die Gläubigen des Opus Dei, 19-III-1992.

21 Vgl. Phil 1,6.

22 Freunde Gottes, Nr. 31.