Zürich: Kongress über Escrivás Botschaft mit 350 Teilnehmern

Heiligkeit: Bejahung, nicht "Überwindung" der Welt. Philosoph Martin Rhonheimer: Durch die Überwindung der Trennung Glaube-Welt hat Escrivá ökumenische Verdienste erworben.

Zürich, 15. 06. 2002 – Josefmaria Escrivá hat die Trennung zwischen christlichem Glauben und weltlicher Existenz an der Wurzel überwunden und sich dadurch auch ökumenische Verdienste erworben. Dies war die Hauptthese des Philosophieprofessors Martin Rhonheimer, die er am Samstag in Zürich anlässlich eines Kongresses zum 100. Geburtstag des seligen Josefmaria Escrivá vertrat. Die Universitätsdozentin Gabriela Eisenring setzte sich mit Escrivás Bild von der Frau auseinander und zeigte auf, dass er seit 1930 die Vision von ihrer Rechtsgleichheit und ihrer vollen Präsenz in allen Bereichen der Gesellschaft und der Kirche besass. Als dritter Hauptreferent legte Bischof Klaus Küng von Feldkirch Escrivás Überzeugung dar, dass sich das apostolische Wirken der Laien nicht von der Hierarchie der Kirche, sondern direkt von der Taufe ableitet. Die Tagung wurde von etwa 350 Personen besucht. Josefmaria Escrivá wird am kommenden 6. Oktober in Rom heilig gesprochen.

Escrivás Wiedergewinnung des gewöhnlichen Lebens für das christliche Heiligkeitsideal hat nach Rhonheimer sowohl über die katholische als auch über die protestantische (namentlich kalvinistisch-pietistische) Auffassung der Welt hinausgeführt. Der Katholizismus habe das Weltliche seit dem Mittelalter als Gegensatz zum Heiligen aufgefasst. Daher habe er die christliche Vollkommenheit dem Ordensleben vorbehalten: Heiligkeit hiess notwendig Weltentsagung, ja Weltflucht. Als sprechenden Ausdruck dieser Mentalität nannte er das Fresko vom Jüngsten Gericht in einer italienischen Wallfahrtskirche: Das Paradies ist dort ausschliesslich von Klerikern und Ordensleuten bevölkert, während sich gewöhnliche Christen verschiedenster Berufe im Fegfeuer befinden. Escrivá machte demgegenüber die Bejahung, ja die „leidenschaftliche Liebe“ der Welt geltend, denn sie sei gut, da sie aus den Händen Gottes hervorgegangen ist. Gott finde man überall, gerade auch in der täglichen Arbeit, in der scheinbaren Monotonie und dem Einerlei des „Gewöhnlichen“.

Dem Protestantismus attestierte Rhonheimer in einem gewissen Sinn eine solche Weltentdeckung. Speziell für den Puritanismus sei „auch die geringste Beschäftigung eine Berufung“ gewesen und habe, sofern er nach dem Gesetz Gottes geschehen sei, als geheiligt gegolten. Allerdings bestand dieses Arbeitsethos letztlich nicht in der Heiligung oder Erlösung der Welt: „Nicht die Welt wird erlöst, sondern nur der einzelne, indem er letztlich doch dieser Welt enthoben wird“. Es habe sich in einem gewissen Sinne um eine „säkularisierte Form des asketischen Mönchsideals“ gehandelt, wobei die Einheit von Arbeitsethos und religiöser Motivierung schliesslich zerbrochen sei. Für Escrivá dagegen nehme der Mensch durch seine Arbeit an Gottes Schöpfungswerk teil. Heil der Welt und Verherrlichung Gottes werden zusammengedacht. Ausserdem seien Heil der Welt und Heil des Menschen untrennbar verbunden. Echte Gottesliebe sei für Escrivá daher nicht „Überwindung“ oder gar „Verachtung“ der Welt, sondern eine bestimmte Art der Liebe zur Welt, das Hineintreten in sie „auf eine neue Weise, nämlich in der Weise Christi“.

In Wort und Tat für die Gleichstellung der Frau

Dr. Eisenring erinnerte an Escrivás Plädoyer, dass der Frau alle Berufe offen stehen sollten; dies zu einer Zeit, als die Gesellschaft faktisch wie mental noch weit davon entfernt war. Er habe sich dafür auf „klare theologische Gründe“ berufen. Zudem habe er es nicht bei Erklärungen bewenden lassen, sondern habe weltweit Initiativen gefördert, um die Frauen auch tatsächlich in die Lage zu versetzten, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen. Dabei verstand er die Gleichstellung nicht als „blosse Nachahmung typisch männlicher Verhaltensweisen“; vielmehr sei die Frau „dazu berufen, in Familie, Gesellschaft und Kirche etwas hineinzutragen, das nur ihr eigen ist und das nur sie zu geben vermag“. Eisenring betonte, dass dies gerade auch für die Familie gelte. Auch die der Familie gewidmete Zeit diene der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.

Schliesslich habe Escrivá die Gleichheit der Frauen auch in der Kirche vertreten. Im Opus Dei gab er ihnen auf allen Ebenen dieselbe Stellung wie den Männern, nicht nur im Organisatorischen, sondern auch im Geistlichen und in der theologisch-philosophischen Bildung. Er akzeptierte die vom Konzil bestätigte Lehre, wonach das Weihepriestertum Männern vorbehalten ist; zugleich aber führte er die Priester entschieden zurück zu ihrer dienenden Funktion als Verkünder des Wortes Gottes und Spender der Sakramente. Im Opus Dei unterstehen die Priester den leitenden Gremien, also auch den von Frauen gebildeten. „Das erklärt auch“, merkte Eisenring an, „weshalb die Frauen im Opus Dei nie ein Problem mit den kirchlichen Normen zum Weihepriestertum hatten. Im Opus Dei folgen alle ihrer Berufung, und die Berufung der Frauen steht derjenigen der Männer, inklusive der Priester, in nichts nach.“

Neuartiges Zusammenwirken von Priestern und Laien

Bischof Küng, früherer Regionalvikar des Opus Dei in Österreich, hatte Escrivá persönlich gekannt. Er bedauerte, dass der allgemeine Ruf zur christlichen Vollkommenheit – eine Kernaussage des Zweiten Vatikanischen Konzils – bisher zu wenig beachtet worden sei. Das Opus Dei besitze in dieser Hinsicht grosse Erfahrung und könne sie für die ganze Kirche fruchtbar machen. In der Tat sei namentlich die Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien im Opus Dei geradezu revolutionär: „Priester und Laien stehen auf der gleichen Ebene, die Priester werden – so wie die anderen – gewöhnlich von Laien geleitet, haben keine Privilegien und normalerweise (abgesehen von wenigen Ausnahmen) keine Leitungsaufgaben.“ Nach Escrivá sollten sich die Priester genauso wie die anderen helfen lassen, müssten aber „mehr als die anderen zum Dienen bereit sein“.

Beruf und Familie als Orte der Heiligung

Der im Finanzwesen tätige Laszlo Gömöri berichtete von den Schlüsselerlebnissen, die ihn in seinem Berufsleben zum Glauben geführt haben. Als 16-jähriger wurde er vom unsäglichen Elend der Armen von Kalkutta erschüttert, was ihn im Gegensatz zu vielen Kollegen dazu brachte, weiterhin am Sonntag zur Messe zu gehen. Später traf er in Boston zu seiner grossen Überraschung viele normale Berufsleute an, die auch unter der Woche vor ihrer Arbeit den Gottesdienst besuchten. Zurück in der Schweiz, kam er schliesslich in Kontakt mit dem Opus Dei, das ihm die lange gesuchte religiöse Perspektive für sein Leben vermitteln konnte. Weder die Welt im Allgemeinen noch seinen Beruf in der Finanzwelt im Besonderen musste er verlassen, um ein echtes christliches Leben zu führen. Denn – wie Escrivá sagte – Tag für Tag wartet Gott auf uns im „ganzen, unendlichen Feld der menschlichen Arbeit“. Diese Entdeckung habe auch seinen beruflichen Beziehungen und seinem Familienleben eine ganze neue Dimension verliehen.

Franziska Voirol schliesslich berichtete von ihrem Leben als Mutter einer grossen Familie. Ihr Familienglück habe sich mit jedem Kind vervielfacht, und das alles habe sie und ihr Mann der Begegnung mit dem Geist des Opus-Dei-Gründers zu verdanken: „Ohne ihn hätten wir keinen Glauben, keine Liebe, keine Ehe und keine Kinder“. Ein Schlüsselerlebnis war für sie die Erkenntnis, dass die Familie der Ort ihrer Heiligung ist. Sehr leicht beginne man, sich überall unersetzlich zu fühlen, nur nicht dort, wo man es tatsächlich ist: in der Familie. Sie illustrierte weiter, wie in einer grösseren Familie eine solidarische Einstellung und ein unkonsumistischer Geist der Genügsamkeit gedeiht: Man zieht sich für das Rollschuhlaufen die alten Hosen an, kann auch einmal auf den letzten Schrei in der Mode verzichten, fährt nur einen Vierteltag lang Ski und gibt die Tageskarte einem anderen weiter, usw. Sie schloss mit einem Ausdruck der Dankbarkeit für die Bildung, die ihr das Opus Dei vermittelt und die es ihr erlaubt, „die Batterien wieder aufzuladen“.

Sozialinitiativen in aller Welt

Abgerundet wurde das Kongress-Programm durch die Vorführung des Filmes „Semeurs de paix, semeurs de joie“ des französischen Filmemachers Philippe Riberre. Darin werden drei vom Geist des seligen Josefmaria inspirierte Sozialwerke vorgestellt: die Frauenförderungsinstitute CADI im Quartier Santa María von Montevideo und Rosedale Achievment Center im New Yorker Bronx-Quartier sowie Monkolé, ein Notfall-Spital in Kinshasa.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Festgottesdienst in der Kirche St. Peter und Paul. In der Predigt bezog sich Dr. Peter Rutz auf Escrivás von Paulus übernommene Devise „Alles trägt zum Guten bei“. Bei allen Schwierigkeiten und Widerständen habe Escrivá aber schliesslich die Erfahrung des Petrus nach dem überwältigenden Fischzug gemacht: Er habe sich angesichts der ungeahnten Ausbreitung des Opus Dei sehr klein gefühlt, als „untaugliches und taubes Werkzeug“, als „Sünder, der Gott über alles liebt“.

Informationsbüro der Prälatur Opus Dei in der Schweiz