Weihbischof Renz: Zur Heiligkeit berufen

Weihbischof Thomas Maria Renz vom Bistum Rottenburg-Stuttgart hat am vergangenen 26. Juni, dem Gedenktag des hl. Josefmaria, in Stuttgart-Hofen einen Festgottesdienst zu Ehren des Opus Dei-Gründers gefeiert. Wir dokumentieren die Predigt des Weihbischofs.

Weihbischof Thomas Maria Renz

Knapp fünf Jahre nach der Heiligsprechung von Josefmaria Escrivá durch Papst Johannes Paul II. vor fast einer halben Million Gläubigen in Rom feiern wir heute mit dieser Heiligen Messe sein Gedächtnis, das die Kirche auf den 26. Juni eines jeden Jahres festgelegt hat. Und ich freue mich sehr darüber, dass ich heute zum ersten Mal mit Ihnen, die Sie sich mit unserem neuen Heiligen und seinem Opus Dei besonders verbunden fühlen, zu diesem Fest zusammenkommen kann. Ganz herzlich danke ich denjenigen unter Ihnen, die sich schon seit dreißig Jahren, also seit 1977, hier in Stuttgart um ein apostolisches Wirken im Geiste des heiligen Josefmaria bemühen. Gerne feiere ich diese Heilige Messe heute besonders für Sie und Ihre ganz persönlichen Anliegen. Von Herzen danke ich auch Ihnen, verehrter Herr Prälat Dr. Rolf Thomas aus Augsburg, der Sie sich mit so viel Liebe und Hingabe, mit so großem apostolischen Eifer und seelsorgerlichem Geschick um die Mitglieder des Opus Dei in unserer Diözese sorgen.

Ich lade Sie ein, dass wir miteinander noch einmal auf das eben gehörte Evangelium des heutigen Festes schauen, das ja im Hinblick auf das Besondere der Heiligkeit von Josefmaria Escrivá ausgewählt worden ist. Was zeichnet dieses Besondere seiner Heiligkeit aus? Ich möchte drei Dimensionen dieser Heiligkeit von Josefmaria Escrivá benennen.

1. Sich in seinem Tun ganz und gar vom Willen Gottes leiten lassen

Simon Petrus musste am See Gennesaret vor Jesus eingestehen, dass er und die anderen Jünger sich die ganze Nacht vergeblich beim Fischfang abgemüht hatten. Am frühen Morgen kehrten sie todmüde und mit leeren Netzen ans Ufer zurück: Erfolglosigkeit und Enttäuschung prägten ihren Alltag – eine Situation, die auch vielen von uns nicht ganz unbekannt sein wird. Aber auf das Wort Jesu "duc in altum!" – fahr hinaus auf den See!" – lässt Petrus seine Enttäuschung über die eigene Erfolglosigkeit los und wagt gewissermaßen mit einem beinahe unverschämten Gottvertrauen den Sprung ins Wasser: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen." Und dieses sich gänzlich auf das Wort Jesu Verlassen hat sich gelohnt: "Sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten." Sie machten die Erfahrung: Wer auf Gott baut und Ihm ganz vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut!

Der heilige Josefmaria hat sich zeitlebens mehr auf den Willen Gottes verlassen als auf den eigenen. Er hat sich viel mehr von Gott führen lassen, als dass er selber Entscheidungen für sich getroffen hätte. Das hat Papst Benedikt XVI. als Kardinal Ratzinger einmal sehr schön formuliert, indem er über den neuen Heiligen sagte: "Josefmaria Escrivá hat sich nicht als Gründer von irgend etwas verstanden, sondern bloß als jemand, der den Willen Gottes erfüllen und Gottes Handeln, eben Gottes Werk ("Opus Dei") sekundieren will. Der Gründer des Werkes sagte also: Nicht ich habe etwas erfunden; ein Anderer ist es, der handelt, ich selbst bin nur bereit, als Werkzeug zu dienen." Diese Grundhaltung ist im Grunde bei allen Heiligen mehr oder weniger deutlich zu erkennen: dass sie sich als "Sekundanten Gottes" verstehen, als seine Werkzeuge, mit denen Er bewirken kann, was Er bewirken will. Heilige sind keine willenlose Marionetten in der Hand Gottes, sondern dienende, kooperationsbereite Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen am Aufbau des Reiches Gottes, die nach der Prioritätensetzung Jesu handeln: "Euch muss es zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben" (Mt 6,33). Mit anderen Worten: Nicht mein Wille geschehe, sondern Deiner, o Herr!

2. Gott und dem Gebet die erste Priorität im Leben geben

Nach dem Wunder des reichen Fischfangs erkennt Petrus seine eigene Unzulänglichkeit und fühlt sich des großen Geschenkes der Gegenwart Jesu restlos unwürdig: "Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder." Erst in dieser demütigen, bittenden, betenden Haltung Gott gegenüber kann sich der Mensch vor Gott zu seiner wahren Größe entfalten und aufrichten. Diese Haltung des Petrus, die sich auch in der Demut des Heiligen Josefmaria zeigt, ist keine falsch verstandene Unterwürfigkeit des Menschen Gott gegenüber, sondern ein Eingestehen der Realitäten, wie sie sind: Er ist der Große, ich bin der Kleine ‑ Er ist der Sündenlose, ich bin der Sünder ‑ Er ist der Barmherzige, ich bin der Unbarmherzige. Erst wenn der Mensch diese Realität sieht, anerkennt und annimmt, kann Gott sein Werk der Verwandlung beginnen und aus mir Kleinem einen Großen machen, aus mir Sünder einen erlösten Menschen, aus mir Unbarmherzigem einen Barmherzigen. Dieser Verwandlungsprozess muss vom Menschen her vor allem durch das Gebet begleitet werden, durch das deutlich wird, dass ich Gott die erste Priorität in meinem Leben einräume, dass Er bei mir an erster Stelle steht.

In der Predigt anlässlich der Heiligsprechung von Josefmaria Escrivá sagte Papst Johannes Paul II. am.6. Oktober 2002: "Immer wieder riet der Heilige Josefmaria: 'Zuerst Gebet, dann Buße, an dritter Stelle, weit an dritter Stelle, das Tun.' Dies ist kein Paradox, sondern eine beständige Wahrheit: die Fruchtbarkeit des Apostolats beruht in erster Linie auf dem Gebet und auf einem intensiven und beständigen sakramentalen Leben. Das ist im Grunde das Geheimnis der Heiligkeit, das wahre Erfolgsgeheimnis der Heiligen." Und damit sind wir bei einer dritten Dimension der Heiligkeit von Josefmaria Escrivá angekommen:

3. Die Berufung zur Heiligkeit als den Normalfall des Christseins leben

Jesus sagte zu Simon: "Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach." Das ist im Grunde genommen schon der Vollzug der Heiligkeit: das Alte lassen und Neues beginnen ‑ allein auf Gottes Geheiß hin, auf Seinen Ruf, auf Seine Führung. Und dann im Alltag, dort wo Gott mich hingestellt hat, Seinen Willen erfüllen und Seine Gegenwart verkörpern. Heiligsein heißt in diesem Sinne nicht, etwas Außergewöhnliches tun, sondern das Gewöhnliche außergewöhnlichgut tun. Nicht, etwas Spektakuläres vollbringen, sondern das Alltägliche unspektakulär, aber in großer Treue vollbringen. Nicht, vergeistigt und weltfremd leben, sondern geistreich als Fremder in der Wett leben, der seine eigentliche Heimat im Himmel weiß.

St. Barbara in Stuttgart-Hofen

Vor diesem Hintergrund wird es dringend notwendig und höchste Zeit, dass wir in unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart unser "Jahr der Berufung", das wir 2007 begehen, um eine wesentliche Dimension erweitern, um die Dimension der Berufung zur Heiligkeit! Mir scheint, dass wir dies bisher noch kaum im Blick gehabt haben: die Berufung zur Heiligkeit, die das Ziel aller Getauften und Gefirmten sein müsste. Heiligkeit ist kein Privileg weniger Auserwählter in der Kirche, sondern der Normalfall des Christseins. So wie Gott im Buch Levitikus spricht: "Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" (Lev 19,2). Papst Johannes Paul II. sagte bei der Heiligsprechung: "Die Welt zu Gott emporheben und sie von innen her verwandeln: das ist das Ideal, das euch, liebe Brüder und Schwestern, der heilige Gründer vor Augen führt. ... Folgt seinen Spuren und verbreitet in der Gesellschaft das Bewusstsein, dass wir alle, unabhängig von Rasse, Klasse, Kultur oder Alter zur Heiligkeit berufen sind. Bemüht euch vor allem selbst darum, heilig zu sein, indem ihr euch im Sinne des Evangeliums in Demut und Hingabe übt, auf die göttliche Vorsehung vertraut und beständig auf die Stimme des Geistes hört." Der heilige Josefmaria hat diese Heiligkeit vor allem in den konkreten Alltag hinein verortet und diese Alltagsheiligkeit auf den Punkt gebracht mit dem Wort "die Arbeit heiligen, sich in der Arbeit heiligen, die anderen durch die Arbeit heiligen".

Lassen wir uns heute von Gott durch das Beispiel des heiligen Josefmaria neu zur Heiligkeit berufen unter diesen drei Aspekten: sich in seinem Tun ganz und gar vom Willen Gottes leiten lassen, Gott und dem Gebet die erste Priorität im Leben geben und die Berufung zur Heiligkeit als den Normalfall des Christseins leben.