Voll und ganz Christ sein genau dort, wo man gerade steht

Die Welt, das ist der wahre Ort der Begegnung des Gläubigen mit Christus

Von Nikolaus Lobkowicz

Josemaria Escrivá hat in den 30-er Jahren Studenten und Arbeiter öfter daran erinnert, sie müssten lernen, "das geistliche Leben zu materialisieren". Er hat dabei die Versuchung vor Augen, den Umgang mit Gott von den vielen "irdischen Kleinigkeiten" zu trennen, die einem in der Familie und im Beruf täglich begegnen - eine Art Bewußtseinsspaltung oder Doppelleben.

Bei dieser Warnung vor einem Doppelleben geht es Escrivá um die Aufgaben des christlichen Laien. In manchen Texten des Neuen Testamentes wird deutlich, daß es auf dieser Welt nichts gibt, was durch die Menschwerdung des Logos und die Auferstehung Jesu nicht radikal verändert worden wäre. Wenn Paulus im Kolosserbrief (1, 19-20) schreibt, Gott habe es gefallen, durch Christus "alles mit sich zu versöhnen, was auf Erden und im Himmel ist", fügt Escrivá hinzu: "Wenn wir wirklich theologisch denken ... können wir nicht behaupten, es gäbe Wirklichkeiten ... die ausschließlich profan sind, nachdem einmal das Wort Gottes unter den Menschen geweilt, Hunger und Durst verspürt und mit seinen Händen gearbeitet hat, nachdem es Freundschaft und Gehorsam, Leiden und Tod erfuhr."

"Escrivá mobilisiert die Laien, auch sie seien zur Heiligkeit berufen."

Escrivá denkt an die Laien. Er hat die (von der Kirche freilich nie ausdrücklich bejahte) Tradition vor Augen, nach der man, wenn man Heiligkeit anstrebt Priester wird oder in einen Orden eintritt. Danach könnte der Laie, eben weil er "in der Welt" bleibt, nicht mehr erreichen, als ein "anständiger Christ" zu sein.

Wenn Escrivá immer wieder betont, jeder Beruf, jede Tätigkeit, und in ihnen auch die unbedeutendste Kleinigkeit, seien Situationen, in denen Gott auf den Menschen wartet, so deshalb, weil er die christlichen Laien durch den Zuruf mobilisieren will, auch sie seien zur Heiligkeit berufen.

Das von Escrivá gegründete Opus Dei gilt als konservativ. Sollte damit gemeint sein, Mitglieder des Werkes würden sich zu einer bedingungslosen Treue zur Kirche bekennen, so trifft diese Charakterisierung zwar zu. Es ist freilich schwer zu verstehen, warum diese Verhaltensweise als konservativ bezeichnet werden sollte. Die Treue eines Christen zum Glauben und der Lehre der Kirche ist ja weder konservativ noch progressiv, weder links- noch rechtslastig, sie ist zunächst einmal eine Treue zum menschgewordenen Logos, zu Jesus Christus. Dies als konservativ bezeichnen könnte im Grunde nur jemand, der Treue für ein rückständiges Verhalten hält.

Sollte damit freilich gemeint sein, das Opus Dei sei politisch oder auch nur gesellschaftlich konservativ, so trifft dies aus zwei Gründen nicht zu. Einerseits hat Escrivá stets die völlige Freiheit der Mitglieder des "Werkes" und überhaupt des Laien in allen beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen hervorgehoben. Schon 1932 notierte er sich, "Wir sind Bürger, gleich den anderen, die gleichen Pflichten, die gleichen Rechte. - Politische Freiheit der Mitglieder, Männer wie Frauen. Deshalb Meinungsvielfalt im Menschlichen." Später hat er oft die Wendung gebraucht: "Einheit nur, was den gemeinsamen Nenner angeht".

Damit ist gesagt, der gemeinsame Nenner der Mitglieder des Opus Dei sei allein der Glaube der katholischen Kirche und darüber hinaus die spirituelle Wesensart des Werkes und die Sorge um das Apostolat. Noch 1967 wiederholt Escrivá in einem Interview für eine spanische Zeitung: "Wir dürfen nie vergessen, dass - auch unter Katholiken - ein gesunder Pluralismus der Meinungen in allen Angelegenheiten, die Gott der freien Diskussion der Menschen überlassen hat, nicht nur mit der hierarchischen Ordnung und der notwendigen Einheit des Volkes Gottes völlig in Einklang steht, sondern sie sogar stärkt und vor Verfälschungen bewahrt". Damit ist die fundamentalistische Versuchung abgewehrt.

"Stets die persönliche Freiheit des Laien hervorgehoben."

Escrivá hat sich stets gegen "Klerikalismus" gewandt, also gegen die Vorstellung, die kirchliche Hierarchie dürfe oder müsse gar das "Kirchenvolk", weil es unmündig ist, auch in Angelegenheiten dieser Welt leiten. Stets hat er die "persönliche Freiheit des Laien" hervorgehoben, sein gutes Recht, Entscheidungen, die nicht unter die "Zuständigkeit des hierarchischen Amtes" fallen, und natürlich, "wie ein jeder es vor seinem Gewissen für richtig hält", zu treffen. 1968 heißt es in einem Interview: "Eine der größten Gefahren, die die Kirche heute bedrohen, könnte darin bestehen, (die) göttliche Forderung der christlichen Freiheit nicht anzuerkennen und aus Gründen einer vermeintlich größeren Wirksamkeit den Christen eine weitgehende Gleichstellung aufzwingen zu wollen."

All dies kam in den späten 20er und in den 30er Jahren einer Art innerkirchlichen Revolution gleich. Jedoch kann diese Forderung nach einem "Pluralismus" unter Christen mißverstanden werden. Heute versteht man "Pluralismus" (Escrivá brauchte das Wort des öfteren) meist als eine nahezu grenzenlose Meinungs- und Verhaltensvielfalt. Escrivás Pluralismus ist strenger gefaßt: Für gläubige Katholiken sind seine Grenzen der Glaube und die Normen der Katholischen Kirche.

Offenbar hat man in Deutschland Schwierigkeiten, zwischen dem Gehorsam gegenüber der Kirche als dem Erbe des menschgewordenen Logos und dem Gehorsam gegenüber "politischen Weisungen" konkreter Kirchenvertreter zu unterscheiden. Um so lehrreicher ist gerade für Deutsche Escrivás Predigt anläßlich des Christkönigfestes 1970. "Die Aufgabe der Christen auf der Erde sehe ich nicht darin, eine politisch-religiöse Strömung zu bilden; das wäre eine Torheit ... Es ist das Herz des Menschen, in das man den Geist Christi hineintragen muß."

Dabei nahmen die Vorstellungen Escrivás im Grunde nur vorweg, was das Zweite Vatikanum über die Aufgaben des Laien ausgeführt hat. "Sache der Laien ist es", so heißt es dort über die Kirche, "kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen", wobei dort mehrmals nachdrücklich darauf hingewiesen wird, man sollte sich dabei nicht "hinter der Kirche verstecken". Der Katholik solle in Angelegenheiten der Welt nach seinem vom Glauben geformtem Gewissen Entscheidungen treffen, ohne dabei zu behaupten, sie seien "katholisch" oder gar "die einzig richtig katholischen".

Nicht zufällig hat Escrivá immer wieder auf das "verborgene Leben" Jesu in den Jahren hingewiesen, in denen er als Sohn eines Handwerkers in dessen Werkstätte tätig war. An einer bescheidenen Stelle wirkte er, ein Mensch, der Gott war, an der Erlösung der Welt. Escrivá: "Unter den Händen Christi wird die Arbeit - eine berufliche Arbeit, wie sie Millionen von Menschen in der ganzen Welt verrichten - zu einem göttlichen Werk, zu einer Erlösungstat und zu einem Weg des Heils".

Insofern ist das Konzept Escrivás für das Wirken christlicher Laien in der Weit wegweisend - auch für Laien, die wie ich, nicht dem Opus Dei angehören. Es ist eine Einladung an alle Laien, den Lehrer, den Zahnarzt, die Filmschauspielerin, den Bäcker, die Postbotin, ihren Alltag und ihre Arbeit zu heiligen, ohne deshalb gleich als das aufzutreten, was so manchen Nicht-Katholiken (und auch Katholiken) abstößt, als "Berufskatholiken".

Das zweite Vatikanische Konzil hatte nicht beabsichtigt, die Laien dazu einzuladen, ständig um den Altar herumzuspringen und sich zudem in die Aufgaben der Bischöfe und der Priester einzumischen.Die Bitte der Konzilsväter lautete: "Seid dort, wo ihr gerade steht, und zwar nicht nur am Sonntag, Christus im Vollsinn des Wortes - nehmt euren Beruf, euer Familienleben, alles was ihr tut, als Aufgabe wahr, die der Herr euch aufgetragen hat. Und seid zugleich - in unaufdringlicher Weise - Apostel."

Regensburger Bistumsblatt