Israel: Kluft zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Eine erste Bilanz seiner Amtzeit als israelischer Botschafter, die im Sommer zu Ende geht, zog Shimon Stein am 7. März in Mülheim an der Ruhr: Traurig mache ihn die Kluft zwischen der Wahrnehmung seines Landes durch die Medien und der Wirklichkeit Israels.

Botschafter Shimon Stein auf Schloß Broich vor dem Rüttenscheid Forum

Im Laufe des Diskussionsabends, zu dem das Essener Rüttenscheid Forum (www.ruettenscheid-forum.de) und die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nach Schloss Broich in Mülheim an der Ruhr eingeladen hatte, verdeutlichte Stein seine Enttäuschung an zwei Beispielen: dem Krieg 2006 gegen die Hizbollah-Milizen im Libanon und den neuen Trennanlagen aus Zäunen und Mauern.

Der „asymmetrische“ Krieg (der Kampf Staat gegen kriegerische Organisation statt Staat gegen Staat) habe auch eine schiefe Wahrnehmung erfahren: Während die Hizbollah jede Berichterstattung westlicher Medien über ihre Operationen unterband, habe sie die Zivilbevölkerung entsprechend instrumentalisiert. Hingegen hätten die Medien auf der israelischen Seite sämtliche Militäraktionen frei beobachten können. Nach Botschafter Stein ergab sich daraus das Trugbild: Panzer der Israelis gegen leidende libanesische Zivilisten. Es gelte jedoch, Ursache und Wirkung auseinander zu halten: Über sechstausend Raketen auf Israel im Jahre 2006 gehörten zur Ursache und die israelische Militäroperation im Südlibanon wie die Leiden der Zivilbevölkerung zur Wirkung.

Die Medien hätten diese Verkehrung, so der Botschafter in wechselnden Formulierungen, kaum begriffen und durch oberflächliche wenn nicht voreingenommene Berichte auch in Deutschland einen Prestigeverlust Israels verursacht. „Diese Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Realität macht mich sehr traurig. Das ist eine schlechte Bilanz“, sagte Shimon Stein. An die Mülheimer Oberbürgermeisterin Mühlenfeld gewandt meinte Stein, als Abhilfe falle ihm nur ein, was die Stadt Mülheim seit langem praktiziert: Städtepartnerschaften und Jugendaustausch.

Zäune und Mauern

Ähnlich wertete Stein die Sperranlagen, mit denen Israel seine Bevölkerung seit einigen Jahren vor Terrorangriffen schützt. Diese Zäune und Mauern zerschnitten nicht ein Volk wie die Berliner Mauer, sondern hielten Feinde auseinander. Von der Staatsgründung 1948 bis zum Jahr 2000 habe Israel im Grunde gehofft, die Bedrohung seiner Existenz durch die Nachbarn friedlich überwinden zu können. Das sei bis zu den gescheiterten Verhandlungen von Camp David im September 2000 gegangen. Dort hatte der damalige Ministerpräsident Barak noch einen weitreichenden Rückzug Israels angeboten. Danach nahmen die Selbstmordattentate von palästinensischem Gebiet mit Hunderten jüdischen Opfern massiv zu. Als Folge habe in der israelischen Gesellschaft die Überzeugung Oberhand gewonnen, dass eine Trennung der beiden Völker notwendig ist. Inzwischen sei der Terror dramatisch zurückgegangen. Der scheidende Botschafter prophezeit: Sobald die Trennanlagen nicht mehr notwendig seien, werde sie verschwinden – darin mit der Berliner Mauer vergleichbar.

Shimon Stein fasste zusammen, dass der Paradigmenwechsel nach Camp David 2000 eine Grundkonstante israelischer Politik spiegelt: Nie wieder Opfer sein! Israel wolle keinen Krieg, werde aber immer wieder gezwungen, Kriege zu führen und zu gewinnen, um nicht doch wieder Opfer zu werden. Einmal verlieren wäre fatal. Hingegen führe sein Land keinen Stellvertreterkrieg für den Westen gegen den Islamisierungsdruck von Iran, Syrien, der Hamas und der Hizbollah. Das sei eine Nummer zu groß für sein Land. Vielmehr gehe es unverändert um die Legitimität des jüdischen Staates in schwieriger Nachbarschaft. In diesem Sinne scherzte Botschafter Shimon Stein zum Abschluss:

Als Moses vor Gott stand, fragte ihn der Herr: Wohin willst du gehen? Nach Kanada, wollte Moses antworten. Doch weil er stotterte, sagte er: Nach Kanaan.

Zur Person

Shimon Stein wurde 1948 in Israel geboren. Sein Vater war 1945 aus Prag, seine Mutter 1947 aus Ungarn nach Palästina emigriert, das damals noch britisches Mandatsgebiet war.

Stein studierte Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und war Fallschirmjäger in zwei Kriegen (1967 und 1973), ehe er 1974 in den diplomatischen Dienst Israels eintrat. Von 1980 bis 1985 arbeitete er als Botschaftsrat an der israelischen Botschaft in Bonn, von 1988 bis 1993 als Gesandter für politische Angelegenheiten an der Botschaft in Washington. Anschließend leitete er im israelischen Außenministerium die Abteilung für Waffenkontrolle und Abrüstung, später die Abteilung für die GUS sowie die mittel- und osteuropäischen Länder.

Seit 2001 ist Stein Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Ablösung ist für den Sommer 2007 angekündigt.

Shimon Stein ist verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter. Hobby ist Musik (Konzert, Oper), Sportarten Fußball (aktiv wie passiv), Leichtathletik, Basketball.

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