Ich geissle den Körper

"Wir empfinden es als normal, uns selbst Härte abzuverlangen, um körperliche Vollkommenheit zu erlangen. Warum aber wird es als merkwürdig empfunden, den Körper abzutöten, um geistige Vollkommenheit zu erlangen?" - fragt sich Brian Pessaro. Er ist ein Familienvater aus Florida, nicht Mitglied im Opus Dei, und erklärt im US-Internetmagazin "Godspy", wieso er körperliche Buße für sinnvoll hält.

Die Beleuchtung auf meinem Wecker zeigt 5.30 Uhr an. Ich reibe mir die Augen, und kann es kaum glauben, dass ich zu einer so unchristlichen Stunde aufstehe. Vor meinem Schrank stehe ich eine Ewigkeit, während ich gegen meinen Wunsch ankämpfe, zurück ins Bett unter die Decke zu kriechen. Schließlich siege ich …einigermaßen zumindest.

Aus der Dunkelheit unseres Schlafzimmers von unter der Bettdecke her kommt die Stimme meiner noch halb schlafenden Frau. „Wage es ja nicht, den Wecker anzulassen. Geh schon.“ Ich gähne und begebe mich zum Badezimmer, um mich anzuziehen. Ich ziehe mein Sweatshirt an, dazu Schal, Handschuhe und Wollmütze. Offensichtlich nimmt Tallahassee nicht zur Kenntnis, dass es in Florida liegt. Unten im Wohnzimmer strecke ich meine schmerzenden Muskeln. Als ich jünger war, schmerzten sie nach dem Joggen. Jetzt tun sie schon weh, bevor ich anfange, so als ob sie vorausahnen würden, was für eine Bestrafung ich ihnen auferlegen werde.

Schweißgebadet

Die erste Meile meines Laufes ist immer die langsamste, aber bei der zweiten bin ich schon aufgewärmt und finde meinen Rhythmus. Die dritte Meile laufe ich am See vorbei und schüttele mich bei dem Gedanken, in seinem kalten Wasser zu sein. Für die vierte Meile habe ich meine Geschwindigkeit gesteigert, und meine Kniekehlen fühlen sich an als würden sie explodieren. Ich sehe den letzten Teil meiner Route weit vor mir, auf einem Hügel. Ich fühle mich versucht, langsamer zu gehen, aber ich widerstehe dem Drang und sprinte mit dem letzten bisschen Energie das ich habe. Auf der Höhe angekommen falle ich in einen langsamen Trott, und dann gehe ich langsam und ringe nach Atem. Trotz des frostigen Wetters ist mein Rücken in Schweiß gebadet. Während ich die Stufen zu meinem Hauseingang hinaufsteige, klopfe ich mir selbst auf die Schulter, weil ich mich durch die Schmerzen gearbeitet habe.

Ich bin sicher, sogar Nicht-Jogger können verstehen was ich gerade beschrieben habe. Was die physischen Übungen anbelangt, gibt es nichts besonders schockierendes hinsichtlich der alten Weisheit: „Ohne Fleiß kein Preis.“ Aber was ich als nächstes tue, würde die meisten Leute zumindest befremden.

Wieder im Badezimmer, stehe ich nackt vor der Duschtür. Bevor ich in die Dusche trete, mache ich ein Kreuzzeichen und flüstere ein Gebet: Herr Jesus, ich opfere dir diese kalte Dusche zur Buße für meine Sünden auf. Ich opfere sie dir auch auf für… Ich nenne den Namen der Person und das Anliegen, für das ich bete, und dann öffne ich die Duschtür und betrete die Dusche.

Ein Schock

Weil mir immer noch heiß ist, ist der erste Schauer ein Schock, aber ich bin es gewohnt. Das Wasser ist nicht sosehr kalt als vielmehr kühl. Ich habe es auf ungefähr 70% kalt eingestellt. Nachdem ich mit dem Duschen fertig bin, greife ich an den Wasserhahn, der die Temperatur regelt. Ich nehme einen tiefen Atemzug und drehe den Rest auf 100 % kalt. Es gibt ungefähr zwei Sekunden Pause nach dem letzten warmen Wasser, das aus dem Rohr fließt, und dann trifft es mich. Ich schlucke, als das Wasser mein Fleisch wie hundert eiskalte Nadeln sticht. Dieser letzte Teil meines Rituals dauert nicht lang. Ich spreche vier Gebete, ein Vater Unser, ein Gegrüßet Seist Du Maria, ein Ehre Sei Dem Vater, und schließlich ein Gebet zum Hl. Erzengel Michael.

Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe!

Obwohl ich versucht bin, durch die Worte zu hecheln um fertig zu werden, zwinge ich mich, sie in der normalen Geschwindigkeit zu sprechen. „Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe. Gegen die Bosheit und die Nachstellungen des Teufels sei unser Schutz. Gott gebiete ihm, so bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stoße den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umhergehen um die Seelen zu verderben, durch die Kraft Gottes in die Hölle.“ Am Ende des Gebetes drehe ich den Hahn zu und trockne mich ab, um mich für die Arbeit fertig zu machen.

Die körperliche Abtötung erfuhr im letzten Jahr in der Presse viel Aufmerksamkeit dank des Da Vinci Codes. Während der Wochen bis zum Start des Filmes gab es eine Fülle von Berichten über das Opus Dei, und fast jeder landete beim Thema der körperlichen Abtötung. Unvermeidlich enthielt der Bericht ein Bild des Bußbands, eine mit Spitzen versehene Metallkette, die von den zölibatär lebenden Mitgliedern des Opus Dei zwei Stunden am Tag getragen wird, und/oder der kordelähnlichen Bußgeißel, die sie einmal pro Woche auf dem Rücken benützen, während sie ein kurzes Gebet sprechen. Es wurde so alltäglich, dass ich anfing, diesen Teil des Berichts als den money shot zu bezeichnen.

Ungeachtet dessen, dass die Darstellung der körperlichen Abtötung des Da Vinci Codes so ungenau wie reißerisch ist, sagt die Tatsache, dass diese Praxis die Leute schockiert, etwas über unsere Prioritäten aus. In unserer Gesellschaft wird es als vollkommen normal erachtet, unserem Körper so lange Schmerzen zuzufügen als der Grund weltlich ist und das Ziel sich auf den Körper bezieht. Niemand zuckt mit der Wimper bei plastischer Chirurgie, Botox, Tattoos, Body Piercing usw. Sogar körperliche Fitness bis zum Extrem betrieben wird fast als de rigeur angesehen. Ich bin ganz dafür, in Form zu bleiben, aber wenn ich die Jogger hier in Florida während der Mittagspause bei 45 Grad schwitzend laufen sehe, frage ich mich: Wollen Sie einen Hitzschlag bekommen?

Erregend, aber nicht umstritten

Keines dieser Beispiele ist umstritten. Erregend vielleicht, aber nicht umstritten. Aber wenn man die körperliche Abtötung aus religiösen Gründen vollzieht, um geistliche Güter zu erreichen, ist man ein Spinner. Um eine Analogie des Boston College Professors Peter Kreeft zu verwenden und sie auf mich anzuwenden: Wenn ich auf einer Cocktailparty verkünden würde, dass ich meine Zunge gepierct hätte, würde ich von einer neugierigen Schar von Zuschauern umringt sein. Aber wenn ich verkünden würde, dass ich jeden Morgen eine kalte Dusche als religiöses Ritual nehme, würde ich bald mit mir selbst reden.

Also warum töte ich mich ab? Erstens tue ich es, um mit den Leiden Jesu Christi gleichförmig zu werden. Durch sein Leiden hat Jesus Christus die Welt für alle Ewigkeit erlöst. Aber weil er sich für alle menschlichen Leiden, meine einschließlich, öffnete, kann ich an seinem Erlösungswerk teilhaben. Deswegen kann ich mit dem hl. Paulus sagen, dass ich „für den Leib Christi, die Kirche in meinem irdischen Leben das ergänze, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1, 24).

Als ein Gebet aufgeopfert

Der zweite Grund ist, dass ich dadurch Tugenden übe. Die meisten, die katholisch erzogen werden, kennen den Ausdruck: „Opfere es auf“. Als Kind wurde mir beigebracht, dass meine Schmerzen auf eine geheimnisvolle Weise Gott als ein Gebet aufgeopfert werden können und er sie gebraucht, um jemand anderem zu helfen. Was ich nicht bedachte, war, dass er auch mich selbst durch mein Leiden verwandelt.

Diese Wirklichkeit wurde mir deutlicher, als ich Vater wurde. Kürzlich zerstörte meine Tochter ein Rasenornament unserer Nachbarn. Obwohl sie erst dreieinhalb ist, gab es eine Strafe - oder Buße, wenn man so will. Sie verlor für eine Woche ihr Gute-Nacht-Geschichten- Privileg. Als ich sie in der ersten Nacht zu Bett brachte, heulte sie, denn dass man ihr Geschichten vorliest, ist ihre Lieblingsbeschäftigung. Aber am nächsten Abend sah sie mich an und sagte: „Keine Gute-Nacht-Geschichte heute, Papa. Ich werde sie das nächste Mal hören.“ Auf ihre eigene unschuldige Art akzeptierte sie ihr Leiden und bot es mir als eine Gabe an, und diese Gabe machte sie zu einem besseren Menschen.

Aus Liebe und nicht aus Furcht

Wenn ich als irdischer Vater meine Kinder zu ihrer Besserung bestrafe, wie viel mehr wird unser himmlischer Vater Strafen einsetzen, um uns als seine Söhne und Töchter zu formen, als die er uns für die ganze Ewigkeit bei sich haben möchte? Das ist es, was viele Leute an der körperlichen Abtötung nicht verstehen. Wenn ich meinen kleinen Schmerz bei einer kalten Dusche aufopfere, dann aus Liebe und nicht aus Furcht. Es ist kein Versuch, mich selbst zu bestrafen um Gottes Zorn zu beschwichtigen. Es ist meine Art, ihn zu bitten, mich in den Sohn zu verwandeln, der ich nach seinem Willen sein soll.

Der dritte Grund, warum ich die körperliche Abtötung praktiziere, ist, dass ich mich vom Bösen befreien möchte. Ja, mein Körper ist heilig, aber er ist auch ein Rebell, der einen Bürgerkrieg mit meiner Seele führt. Entweder lerne ich, meine Leidenschaften und Launen unter Kontrolle zu halten, oder sie werden mich beherrschen. Zu oft, wenn eine Versuchung auftaucht, ertappe ich mich dabei, wie ich die Worte des hl Paulus wiederhole: „Ich tue nicht das was ich will, sondern das, was ich hasse“ (Röm 7,15). Diese Konflikte durchdringen alle Aspekte meines täglichen Lebens vom wirklich wichtigen bis zum unbedeutenden.

Eine Schokoladenversion von Gollum

Zum Beispiel hat die Sekretärin meines Chefs eine Dose mit Schokolade auf ihrem Schreibtisch stehen. Bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich meinen Tag mit dem Vorsatz begonnen, für ein bestimmtes Gebetsanliegen auf Schokolade zu verzichten. Aber um drei Uhr nachmittags bin ich schon so zerstreut, dass ich eine Schokoladenversion von Gollum und Smeagol aus dem Herrn der Ringe zu werden drohe - Ich muß meinen Schatz einfach haben! Anders als der Eine Ring, ist nichts Böses an einem Stück Schokolade. Es würde mir nichts einbringen, auf eine gefahrvolle Reise nach Pennsylvania zu gehen um dort die Eine Schokolade in das Feuer des Mount Hershey zu werfen, von wo sie stammt.

Dies verdeutlicht den vierten Grund, warum ich körperliche Abtötung praktiziere – um Ausdauer zu erlernen. Wenn ich auf so etwas Unbedeutendes wie ein Stück Schokolade nicht verzichten kann, wie soll ich dann in der Lage sein, einer wirklichen Versuchung zu widerstehen, wenn sie mir auf meinem Weg begegnet? Diese kleinen Akte der Selbstverleugnung bauen die geistige Ausdauer in der gleichen Weise auf wie mein allmorgendlicher Lauf physische Ausdauer aufbaut.

Schließlich töte ich mich ab, um mich daran zu erinnern, dass diese Welt nicht der Himmel ist. Ich lebe ein sehr bequemes vorstädtisches Leben. Nur gelegentliche Krankheiten, eher unbedeutende Schmerzen und Leiden sind Teil meiner täglichen Erfahrung. Es steht mir fast alles, was ich will, zur Verfügung: So etwas Einfaches wie ein Glas Wasser mit Eiswürfeln oder etwas Komplexes wie heruntergeladene Musik von Napster. Das sind gute Sachen, aber die Gefahr, die darin liegt, all diese geschaffenen Bequemlichkeiten in Reichweite zu haben, ist, dass ich anfange, zu sehr an dieser Welt und ihren falschen Idolen – Geld, Macht und Lust – zu hängen. Ich würde in eine Falle tappen, wenn ich dächte, dies wäre mein permanentes Zuhause, was es eben nicht ist. Die körperliche Abtötung schärft meine Sinne und erinnert mich daran, dass ich, um mit dem hl. Augustinus zu sprechen, in dieser irdischen Stadt nur ein Gast in einem fremden Land bin.

Es sind die inneren Abtötungen

So krankhaft faszinierend Dinge wie Bußbänder, Geißeln und kalte Duschen für Uneingeweihte auch sein mögen, die Wahrheit ist, dass äußere Abtötungen verglichen mit der inneren Abtötung nur ein Kinderspiel sind. Um ehrlich zu sein, hat sich mein Körper schon an kalte Duschen gewöhnt. Es sind die inneren Abtötungen, mit denen ich am meisten zu kämpfen habe. Zum Beispiel meine Mühe, die Tugend der Geduld zu üben und auf meine selbstsüchtige Sorge um „meine Zeit“ zu verzichten, als ob es diese tatsächlich gäbe. Was diese Art der Abtötung so schwierig macht, ist, dass sie, wenn die Gelegenheit dazu kommt, für gewöhnlich Situationen beinhaltet, über die ich keine Kontrolle habe. Kalte Duschen mögen unangenehm sein, aber wenigstens kann ich die Temperatur kontrollieren. Was schlimmer ist, diese Situationen ergeben sich gewöhnlich dann, wenn ich am schwächsten bin, so wie ich nach meinem anstrengenden Arbeitstag auf meinem Weg von der Arbeit nach Hause vor jeder roten Ampel halten muss. Oder ich bekomme gerade dann einen Telefonanruf, wenn ich unbedingt mein Buch zu Ende zu lesen will. Oder ich muss meinen Sohn um drei Uhr morgens wiegen, weil er keucht und schreit und ich nichts tun kann, um ihn zu beruhigen.

Also tun Sie mir einen Gefallen, wenn sie den Da Vinci Code sehen oder lesen. Wenn Sie zu der Szene kommen, in der Silas sich nach der Todsünde des Mordes in seiner „luxuriösen Wohnung an der Rue La Bruyere“ blutig geißelt und dann plant, hinauszugehen und es noch einmal zu tun, denken sie stattdessen an diese Szenen aus dem realen Leben. Denken Sie an einen Ehemann und Vater, der sich selbst die Freude einer extra Stunde Schlaf versagt, um sich fit zu machen und für seine Frau und Kinder gesund zu bleiben. Denken Sie an denselben Mann, der sich die Freude einer warmen Dusche versagt, um in der Selbstdisziplin zu wachsen. Das kalte Wasser, das auf seinen Kopf und seine Schultern fließt, erinnert ihn daran, dass Sünde Schmerz hervorruft und er denkt an die Schmerzen, die er anderen durch seinen Mangel an Selbstdisziplin bereitet hat. Er trägt das mit sich für den Rest des Tages, so dass er sich am Abend, wenn seine Familie ihn braucht und er versucht ist, selbstsüchtig an „seiner Zeit“ zu hängen, dass er dann die Bedürfnisse der Familie vor die eigenen stellt. Wenn Sie sich das vorstellen können, dann erst fangen sie an, die körperlichen Abtötungen zu verstehen.

Brian Pessaro

aus: Godspy