Die Neuheit des Heiligen Geistes

Annäherung an das Pfingstgeschehen. Eine Betrachtung von Josef Arquer

Fünfzig Tage sind seit jenem Abend vergangen, da der Herr den Seinen erschienen war. Nun sind die Jünger wieder in dem Raum versammelt, in welchem Jesus die Eucharistie eingesetzt und Worte des Abschieds gesprochen hatte. Drinnen „verharrten sie alle einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.“ Draußen viel Volk: unter den Pilgern waren auch solche aus fremden Ländern, aus der jüdischen Diaspora, nach Jerusalem gekommen, um den dritten der drei großen jüdischen Feiertage zu begehen. Nach dem Pascha, dem Tag des Dankes für die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, feiert das Volk Israel den Dank für die Erstlingsfrüchte der Erde und für die Übergabe des Gesetzes am Sinai.

Zum festlichen Dank für all diese Gottesgeschenke aus der fruchtbaren Erde und aus den himmlischen Weisungen soll sich jetzt nach göttlichem Willen als unüberbietbare Danksagung das christliche Pfingstfest, die Gabe des Heiligen Geistes gesellen: „Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt.“ (Apg 2,1-3)

Da erfüllt sich das Wort des Auferstandenen, das eine Verheißung und einen Auftrag enthält: „Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. (...) Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8)

Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte wie des dritten Evangeliums, hat in beiden Werken diesen Augenblick des Abschieds karg erzählt: „Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken.“ (Apg 1,9) Beim Evangelium (Lk 24,52) fällt eine zusätzliche Anmerkung als expressiver Pinselstrich auf: „Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück“.

Papst Benedikt bemerkt dazu: „Wir würden das Gegenteil erwarten. Wir würden erwarten, dass sie ratlos und traurig zurückblieben. (...) Wie können wir das verstehen? Jedenfalls folgt daraus, dass die Jünger sich nicht verlassen fühlen... Dass sie Jesus nicht als weit von ihnen in einen unzugänglichen Himmel entschwunden ansehen. Sie sind offenbar einer neuen Gegenwart Jesu gewiss, (...) dass er gerade jetzt auf eine neue und machtvolle Weise bei ihnen gegenwärtig ist.“ (Jesus von Nazareth II, S. 306).

Betend zusammen bleiben

Wie wird das Beten der Jünger in jener Zeit nach der Himmelfahrt bis Pfingsten gewesen sein? Alles in jenem Raum – der Tisch, die Polster, die Leuchter, die Fenster – erinnerte sie an die Geste des Herrn beim Brotbrechen und an seine damals rätselhafte Verheißung: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen ... Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll ... Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe (vgl. Joh 14,16; 18;26).

Sie sind alle zusammen. Papst Benedikt hält bei diesem Wort inne: „Zusammenbleiben war die Bedingung, die Jesus für den Empfang der Gabe des Heiligen Geistes stellte; Voraussetzung für die Eintracht war ihr ständiges Gebet.“ (Pfingstansprache 4. Juni 2006) Der Papst erkennt darin „den Entwurf einer ausgezeichneten Lehre für jede christliche Gemeinschaft. Man denkt bisweilen, dass der missionarische Erfolg hauptsächlich von einer genauen Planung abhänge, auf die dann konkretes Bemühen um ihre intelligente Umsetzung folgen müsse. Sicher, der Herr verlangt unsere Mitarbeit, aber vor jeder Antwort unsererseits bedarf es seiner Initiative: Sein Geist ist der wahre Hauptakteur der Kirche. Die Wurzeln unseres Seins und unseres Handelns liegen im klugen, im weisen Schweigen Gottes.“

Feuer, Sturmwind, Sprachengabe...

„Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt.“ Das von Lukas geschilderte Ereignis ist uns auch aus der Kunst wohl vertraut: Maria im Kreis der Apostel, „vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt“, ,„Zungen wie von Feuer“ auf jeden von ihnen, Staunen und freudige Bestürzung bei der Menge, „denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden“.

Im Licht von Gottes Heiligem Geist gibt es „keine Begrenzung mehr, weder in der Rasse noch in der Kultur, weder im Raum noch in der Zeit. Im Unterschied zu den Ereignissen am Turm zu Babel (vgl. Gen 11,1-9), als die Menschen ihre Fähigkeit, einander zu verstehen, zerstört hatten, als sie mit ihren eigenen Händen einen Weg zum Himmel bauen wollten, zeigt der Geist an Pfingsten, dass seine Gegenwart eint und die Konfusion in Kommunion wandelt. Der Stolz und der Egoismus des Menschen führen immer zu Spaltungen, errichten Mauern der Gleichgültigkeit, des Hasses und der Gewalt. Der Heilige Geist hingegen befähigt die Herzen, die Sprachen aller zu verstehen, weil er die Brücke einer authentischen Kommunikation zwischen Erde und Himmel wieder aufbaut. Der Heilige Geist ist die Liebe.“ (Benedikt XVI., s.o.)

Veni ... Komm...!

Die Kirche will, dass die Atmosphäre jener Zeit des Anfangs uns heute erreicht. Die liturgischen Hymnen lassen Anwesenheit und Wirken von Gottes Geist in der Kirche erbitten: Veni, Komm! Du, Creator Spiritus, Schöpfergeist! Du, Sancte Spiritus, heiliger und heiligender Geist!

Im „Veni Sancte Spiritus" (Erzbischof Stephan Langton von Canterbury +1228 zugeschrieben) heißt es, die "lux beatissima", das beseligende Licht möge "cordis intima", die Herzensmitte der Gläubigen erfüllen.

Im „Veni Creator Spiritus“, (vom heiligen Mainzer Erzbischof Rhabanus Maurus im 9. Jahrhundert verfasst), ist das strahlende österliche Licht zugleich „fons vivus, ignis, caritas et spiritalis unctio – lebendige Quelle, Feuer, Liebe und Salbung im Geiste“.

Wasser und Feuer... Hier sind sie kein Gegensatz. Beide zusammen reinigen, verlebendigen und entflammen Sinne und Gemüt: "Accende lumen sensibus, infunde amorem cordibus – zünde an ein Licht in den Sinnen, flöße Liebe in die Herzen ein!“

In einem poetisch-lyrischen Exkurs könnte man auf die Reihenfolge eingehen, wie zuerst Licht für die Sinne, dann Liebe für die Herzen erbeten wird. Dies ist ja der normale Weg der Erkenntnis: Durch Sehen, Hören, Berühren gelangt man zum Erkennen, Empfinden, Lieben... Und zur Schönheit der Schöpfung, die dann selbst den Pfad zum Übernatürlichen andeutet und Gott zu lobpreisen vermag. Auf diesem Weg erschließt uns der Geist das eigentliche Geheimnis des Menschen. Es ist das Geheimnis der Gotteskindschaft.

Auch der Wind ist Sinnbild göttlicher Gewalt. Das hebräische Wort ruah kann zugleich Atem und Geist bedeuten: das Leben, das von Gott kommt, und das Leben, das die Materie belebt. Im Alten Testament ist im Windhauch dieses göttliche Wirken versinnbildet - sanft oder stark, leise oder heftig. Der Sturmwind des Pfingsttages drückt die neue Kraft aus, mit der die göttliche Liebe in die Kirche und in die Seelen eindringt.

... aber ich spüre vom Wirken des Geistes nichts

Und wenn einer zweifelnd sich fragt, ob der Geist überhaupt bei ihm wirkt? Vielleicht empfindet er die Gaben Gottes als so selbstverständlich, dass er nicht einmal merkt, dass sie „da“ sind, bei ihm. Was tun dagegen? Er könnte versuchen sich vorzustellen wie es wäre, „Vater unser“ teilnahmslos als bloßes literarisches Zitat zu sprechen; oder den Tabernakel ungerührt als mehr oder weniger gelungenes Kunstwerk zu betrachten... Er wird merken, dass dies, Gott sei Dank, für einen Christen, der betet, nicht so leicht möglich ist.

Vielmehr wird er sich freuen, dass er wirklich „Vater unser“ zu beten vermag. Und er wird sich an die Worte des Apostels erinnern, dass der Heilige Geist jener ist, der uns sagen lässt: "Abba, Vater", jener, der „sich unserer Schwachheit annimmt (Rom 8,26), jener, der hilft, wenn wir „nicht wissen, worum wir in rechter Weise beten sollen“. (vgl. Röm 8,26)

In diesem Bewusstsein wird es ihm eher gelingen, ein mündliches Gebet nicht nur herzusagen, und ein Stoßgebet von Herzen kommend zu sprechen. Dann lässt sich entdecken, wie das äußerlich gesprochene Wort nur das Kleid für Glauben, Hoffen und Lieben ist.

Der heilige Josefmaria deutet dies an: „Der Heilige Geist will mit seinen Eingebungen unseren Gedanken, Werken und Wünschen einen übernatürlichen Ton verleihen. Er treibt uns dazu an, die Lehre Christi zu bejahen und uns zutiefst anzueignen, Er erleuchtet uns, damit wir uns unserer persönlichen Berufung bewusst werden, und stärkt uns, damit wir tun, was Gott von uns erwartet. (...) Wenn wir uns von dem in uns wohnenden Lebenshauch, dem Heiligen Geist, leiten lassen, wird unser geistliches Leben immer weiter wachsen; wir werden uns dann der Hand Gottes, unseres Vaters, mit der Spontaneität und dem Vertrauen eines Kindes überlassen, das sich in die Arme seines Vaters wirft.“ (Christus begegnen, 135)

Maria im Kreis der Jünger

In der Mitte des am Pfingsttag versammelten Kreises von ungeduldigen, unerfahrenen Beter steht eine, die sich gut auskennt. Sie weiß seit langem, was Umgang mit dem Heiligen Geist ist, und was Beharrlichkeit heißt. Die Erfahrung mit dem Geist stand am Anfang ihrer Berufung zur Gottesmutterschaft. Sie weiß, dass der Augenblick einer neuen Geburt bevorsteht. Damals in Bethlehem wurde Er geboren, jetzt soll hier, im Abendmahlssaal, seine Kirche ans Licht treten.

Im Abendmahlsaal wird sich der Blick der Mutter ganz konkret auf die betenden Menschen um sie gerichtet haben. Sie ist nach dem Wort Jesu am Kreuz auch die Mutter dieser Zeugen der Auferstehung, die zu Säulen des neuen Volkes Gottes werden sollen. Maria lehrt sie Beten und ist ihnen, den gelegentlich Ungeduldigen, Vorbild der Beharrlichkeit. Wahrscheinlich gab es Augenblicke, in denen das "Wie lange noch?" eine gefährliche Versuchung war. Ein Blick auf Maria, die Erfahrene, wird dann gereicht haben. Hier werden sie angefangen haben zu ahnen, dass die liebende Verehrung der Mutter kein Hindernis für die Nachfolge des Sohnes ist, eher die Voraussetzung.

In dem Augenblick, in dem die Verheißung des Herrn sich erfüllt, zieht sich Maria zurück. Von diesem Augenblick an hören wir nichts mehr von ihr. Sie bleibt ständig gegenwärtig, aber im Schatten, in der Verborgenheit des Inneren – wie das Herz, wie die Lungen, wie das Blut. Nun ist Petrus die sichtbare Mitte jener Gemeinde. Er und alle anderen haben von Maria gelernt. Und der Geist beginnt, das Angesicht der Erde zu erneuern.