Die eheliche Liebe fließt mit der Liebe Jesu zusammen

Eine Predigt von Msgr. Cesar Martinez über die Unauflöslichkeit der Ehe

„Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?“ (Mk 10,2). Diese Frage wurde Jesus gestellt, um ihn in eine Falle zu locken. Die Ehescheidung mit dem Ziel einer neuen Ehe einzugehen war offenbar auch bei den Juden des Alten Testaments ein Thema. Auch bei ihnen liefen manche Ehen nicht gut, und manche Partner wollten am liebsten auseinander gehen und eine neue Ehe mit einem neuen Partner wagen. Doch das durften sie nicht, denn auf einer der Tafel des Gesetzes, die Mose von Jahwe am Sinai erhalten hatte, stand schwarz auf weiß geschrieben: „Du sollst nicht die Ehe brechen“. Was sollten sie tun in dieser unglücklichen Situation? Sie gingen zu Mose und baten ihn eindringlich, er möge ihnen doch erlauben, den Ehepartner zu entlassen. Dann wären sie frei, dürften einen anderen Partner heiraten und begingen dabei keinen Ehebruch. Und Mose erlaubte es ihnen.

Jesus erlaubt der Kirche nicht, was Mose den Juden erlaubte

Mose erlaubt den Juden die Scheidung und gestattet eine neue Verheiratung, Jesus aber nicht. Warum? „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen“, sagte er zu den Pharisäern und fügte noch hinzu: „Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet“ (Mk 10, 11 – 12). Damit stellte Jesus klar, er wolle die Ausnahmeregelung des Moses nicht in seine Kirche übernehmen.

Das hört sich ziemlich kompromisslos an; war Jesus hierzu vielleicht zu hart? Hatte er kein Mitleid mit denen, die in ihrer Ehe in Not geraten waren? Nein, so war es bestimmt nicht. Man braucht nur das Neue Testament aufzuschlagen, dann stellt man auf Anhieb fest, dass Jesus diese Menschen, deren Ehe zerrüttet war, weder verdammt, noch verabscheut hat. Er geht ihnen nicht aus dem Wege, macht sie nicht fertig, beschimpft sie nicht. Er widmet sich ihnen vielmehr so, dass sie merken, dass er sie persönlich nach wie vor mag. „Hat dich keiner verurteilt?“, fragte er die Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt worden war, ... „Keiner, Herr, antwortete sie“, woraufhin Jesus sagte: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Lk 8, 10). So verhinderte Jesus, dass sie gesteinigt wurde. Also nichts von mitleidloser Härte Jesu gegenüber Ehebrechern und Sündern, nur dass Jesus nicht „Schwamm drüber“ sagte, denn das wäre gelogen. Jesus hilft den Ehebrechern in der wirksamsten Form überhaupt, nämlich indem er ihnen die Sünde vergibt. Doch damit einem vergeben werden kann, muss man eingesehen haben, dass das, was man getan hat, nicht richtig war, dass man gesündigt hat. Eins ist auf alle Fälle klar: Den Ehebruch zu vergeben, kommt dem Ehebrecher mehr entgegen, als wenn man ihm gegenüber so täte, als hätte er gar keinen Ehebruch begangen.

Die Ehe ist von ihrer Natur her unauflöslich

Wenn die Ablehnung einer Wiederverheiratung zu Lebzeiten des ersten Partners nicht die Folge von Hartherzigkeit oder Prinzipienreiterei war, aus welchem Grund hat Jesus sie dann verboten? „Am Anfang war das nicht so“, sagte er (Mt 19, 8). Was ist das für ein Anfang? Mit dem Wort Anfang meint Jesus die Ordnung der Schöpfung und stellt gleich fest, dass die Ehe im Plan der Schöpfung, der logischerweise allein auf den Schöpfergott zurückgeht, als eine unauflösliche Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau eingerichtet worden war. Die Unauflöslichkeit dieser Verbindung sei also keine Erfindung eines Menschen, auch keine kulturbedingte Vorschrift, bzw. eine zeitbegrenzte Anweisung. Die Unauflöslichkeit werde vielmehr von der Natur der Ehe selber direkt verlangt. – Was höre ich da: Natur der Ehe? Ja, auch die Ehe hat ihre eigene Natur, ihre eigene Struktur. Sie steht fest, bevor das Individuum, das heißt der einzelne Mensch das Licht der Welt erblickt. Das Geschöpf, der Mensch, kann sich seine Natur nicht aussuchen, noch sie in ihren wesentlichen Bestandteilen verändern. Auch vermag das Geschöpf nicht, aus ihr auszusteigen. Aus der eigenen Natur aussteigen würde heißen, aufhören zu sein. Das ist der Kern der Aussage Jesu im Gespräch mit den Pharisäern: Die eheliche Verbindung ist von Natur aus, d.h. von ihrer Struktur her unauflöslich. Darum sagt Jesus: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch“ (Mk 10, 11).

Nun drängt sich die Frage auf: Warum soll die Ehe unauflöslich sein? Warum hat der Schöpfergott die Ehe in seinem Schöpfungsplan als unauflöslich vorgesehen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zu den Anfängen der Menschheit zurückgehen: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“ (Gen 1, 26), hat der Schöpfergott gesprochen. Der Mensch ist erschaffen worden, damit er die göttlichen Züge der Persönlichkeit Gottes in sich trage, natürlich nur in einem Verhältnis der Ähnlichkeit mit Gott. Anders herumgesagt, soll das Göttliche durch den Menschen hindurchschimmern. Auch die Liebe, die die grundlegendste Eigenschaft Gottes ist, soll sich im Menschen reflektieren, sich nach außen zeigen. „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4, 16), heißt es ja bei Johannes. Wie ist aber die Liebe in Gott? Wie liebt Gott eigentlich? Die Liebe in Gott ist eine Liebe zu einem Du. Im Kreise der Dreifaltigkeit ist die Liebe ein Vorgang zwischen zwei Personen, Gott Vater und Gott Sohn. Und aus dieser Liebe geht der Hl. Geist hervor.

Die Ehe ist unauflöslich, weil Gottes Liebe unauflöslich ist

Damit der Mensch Ähnliches erleben kann, wie es Gott Vater und Sohn in ihrer Liebe zueinander erleben, hat Gott den Menschen zweigeschlechtlich erschaffen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1, 27). Die Liebe von Mann und Frau in der Ehe ist vom Schöpfergott als Abbild der Liebe gedacht, mit der er in der Ewigkeit selber liebt. Und wie ist diese Liebe? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie ist eine bedingungslose und in allen Hinsichten unauflösliche Liebe, sie ist eine feurige Liebe – darum wird der Heilige Geist häufig als Feuer dargestellt – und sie ist eine Liebe, die Leben schafft, sie ist also eine fruchtbare Liebe. In Ähnlichkeit dazu ist die Liebe von Mann und Frau von Natur aus unauflöslich, soll beglücken und ist auf Nachkommenschaft ausgerichtet. Auf den Punkt gebracht: Die Ehe ist unauflöslich, weil die Liebe in Gott unauflöslich ist, von der die menschliche Liebe von Mann zu Frau und umgekehrt ein Abbild ist.

Gott liebt nicht je nach dem, bzw. nur auf Gegenseitigkeit, auch nicht bloß nach Gefühl, Lust und Laune. Nein. Gott liebt geradewegs, bedingungslos, zeitlich unbegrenzt und unabhängig von äußeren Umständen, also liebt er unauflöslich. Das wird geradezu in der Treue sichtbar, die Gott gegenüber dem Menschen zeigt, der sich durch die Sünde von ihm getrennt hat. Gott kündigt seine Liebe zum Menschen nie auf, selbst dann nicht, wenn der Mensch sich durch die Sünde von ihm trennt. Die Reaktion des Schöpfergottes auf die Sünde unserer Stammeltern ist die Probe aufs Exempel. Als der Mensch in Adam sündigte, kehrte Gott ihm nicht den Rücken, sondern beschloss im Gegenteil, eine außerordentlich große Aktion zu veranstalten, nämlich die Menschwerdung, damit die beschädigte Beziehung des Menschen zu ihm wieder aufleben könne. Gott wurde Mensch, um die Versöhnung mit dem weggegangenen Menschen zu ermöglichen.

Die eheliche Liebe fließt mit der Liebe Jesu zusammen

Wenn Gott den Menschen nicht aus seinem Liebesbund entlässt, nachdem er gesündigt hat, dann liegt es in der Natur der Ähnlichkeit der Ehe mit dem Liebesbund Gottes mit dem Menschen, dass der Ehepartner den anderen nicht aus der Ehe entlässt, wenn Schwierigkeiten in der Beziehung entstanden sind. Ähnlich wie Gott soll er versuchen, daran zu arbeiten, dass das zerrüttete Verhältnis wieder in Ordnung kommt. Gott ist in seiner Treue zum Menschen so weit gegangen, dass er, um den Liebesbund mit den Menschen wieder aufblühen zu lassen, sich erniedrigte und sogar kreuzigen ließ. Darum ist die Ehe von Mann und Frau ein Bund, bis der Tod sie scheidet. In der Person Jesu, in seiner Hingabe für die Menschen bis zum Tod, zeigt uns Gott noch stärker als in der Schöpfungsordnung die Merkmale der Liebesbindung Gottes zu einem jeden Menschen. Das nennen wir das Sakrament der Ehe.

Das Ehesakrament besagt, dass Jesus die Liebe eines Mannes zu einer Frau und umgekehrt in das Fahrwasser seiner eigenen Liebe zu den Menschen aufnimmt und von da an zusammen mit der Liebe von Mann und Frau weiter auf dem Lebensfluss fährt. Ab dem Augenblick der kirchlichen Eheschließung zweier Getaufter fahren beide Lieben – die Liebe Jesu zu den Menschen einerseits und die Liebe zwischen einer Frau und einem Manne andererseits – gemeinsam durch die Lebens-Landschaft eines jeden Paares, ja sie vermischen sich geradezu, wie sich zwei Nebenflüsse im Hauptfluss vereinigen. Und darum ist die so begonnene sakramentale Ehe unumkehrbar unauflöslich. Die sakramentale Ehe ist wie das Flussbett, in dem sich die eheliche Liebe und die göttliche Liebe vereinigen.

In einem Christen, der das Sakrament der Ehe empfangen hat, pulst die Treue Gottes zu den Menschen. Und die Treue der Ehepartner zueinander macht die unauflösliche Liebe Gottes zu den Menschen nach außen sichtbar. Wenn ein Christ zu Lebzeiten des Ehepartners wieder heiratet, dann ist das, als würde Jesus sein Treueversprechen brechen. Das tut er aber nicht. Darum wäre eine neue Heirat eines Geschiedenen Getauften an sich ein Bruch in der Ähnlichkeit, in der der Getaufte mit Jesus lebt. Und darum kann die Ehe der Getauften nicht einmal durch den Papst aufgelöst werden.

Gott ist barmherzig und geradlinig

Und was ist nun mit denen, die wegen Eheschwierigkeiten in innere Not geraten sind? Jesus hat diesen Menschen niemals den Rücken gekehrt. Erinnern wir uns an das befreiende Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen, die fünf Männer gehabt hatte, und daran, dass der, mit dem sie nun zusammen lebte, auch nicht ihr Mann war (vgl. Joh 4, 18). So war Jesus: Wahrheitsliebend und zuvorkommend zugleich. Daraus lernt die Kirche, mit den Menschen mit einer Eheproblematik liebevoll du geduldig im Gespräch zu bleiben, ohne ihnen jedoch die Wahrheit ihrer Situation zu verschweigen. Und das ist zweifellos eine größere Hilfe als „Schwamm drüber“ zu sagen, denn wer der Wahrheit mutig ins Gesicht schaut und sich der Barmherzigkeit Gottes bewusst ist, der hat gute Chancen, dass sich seine Probleme irgendwann lösen werden. Vielleicht sofort oder bald oder kurz vor zwölf. Hauptsache, man lügt sich nicht in die Tasche und man hofft auf Gott. Die Zeit heilt nicht nur viele Wunden, sondern löst auch viele Probleme.

Msgr. Dr. Cesar Martinez war Leiter des Opus Dei in Deutschland, Gerichtsvikar des Bistums Osnabrück und wirkt heute als Subsidiar an der Pfarrkirche St. Pantaleon in Köln.