Peacemakers hier und Heute - auch bei geschlechtsbezogener Gewalt
„Die Kriege finden vor unserer Haustüre statt. Etwa 58 Prozent der 87.000 Frauen, die im Jahr 2017 ermordet wurden, sind von ihren Partnern oder von Familienangehörigen getötet worden. Die Gewalttätigkeit im Umkreis der Familie nimmt zu. Geschlechtsbezogene Gewalt hat sich wie eine schwärende Wunde in unserer Gesellschaft ausgebreitet.
Vor nur wenigen Monaten musste ich vor Gericht für eine Freundin aussagen, die sich gezwungen sah, von zu Hause zu fliehen. Ihr Mann wurde gewalttätig und gefährdete ihre Gesundheit und die ihres Sohnes. Ich will hier keine Einzelheiten nennen, um ihre Privatsphäre zu schützen. Damit möchte ich nur hervorheben, wie häufig solche Situationen vorkommen können.
Liebe wächst und gedeiht nur auf dem Fundament der Achtung vor dem Anderen.
Es geht mir nicht darum, über politische oder gesetzliche Maßnahmen zu urteilen. Ich möchte lieber darüber nachdenken, wie die Beziehungen zwischen Mann und Frau aussehen könnten, wenn sie einander besser kennen und respektieren würden. In einem sensiblen Lebensbereich versucht man oft, sich selbst zu behaupten oder Grenzen zu überschreiten, um die eigenen Wunden zu heilen. Dabei kommen falsche Verhaltensweisen und Methoden zum Einsatz. Doch Liebe wächst und gedeiht nur auf dem Fundament der Achtung. Sie kann aus so einfachen Elementen gebaut werden wie die, die Papst Franziskus nennt: „Bitte, danke, verzeih!“ Nur drei Wörter. Könnte man sie nicht häufiger in unseren Familien aussprechen ?
Andererseits können bestimmte Verhaltensweisen die Spannung untereinander so erhöhen, dass am Ende – um noch einmal den Papst zu zitieren – „die Fetzen fliegen“. Das passiert, wenn einer der beiden zum Beispiel eine dominierende oder diktatorische Haltung einnimmt oder sich daran gewöhnt, wirklich alles zu kritisieren und zu kontrollieren. Dies gilt auch für die körperliche Liebe: wer direkt und brutal den Genuss sucht, ohne Zärtlichkeiten und ohne das Zeitgefühl des anderen zu respektieren, wird den anderen mit großer Wahrscheinlichkeit verletzen und demütigen.
Im Allgemeinen – so die Erklärung der Experten –, fürchtet der Mann angegriffen oder lächerlich gemacht zu werden. Die Frau kann ihre zärtliche und empfängliche Seite verlieren und in der Beziehung fordernd und kontrollierend agieren, worauf der Mann leicht arrogant und gewalttätig reagiert. So kommt es zu einem ständigen Widerstreit, der meist zu Misshandlungen führt und in schmerzhaften Brüchen endet.
Wirksame Verhaltensweisen, die in unserer Umgebung den Frieden erhalten
Wirksame Verhaltensweisen, um in unserer engsten Umgebung und auch darüber hinaus den Frieden zu erhalten, sind Freundlichkeit im Umgang, ein positiver Blick auf den anderen, das großzügige und hochherzige Bemühen, sich den Grenzen und Fehlern des anderen anzupassen und immer das gemeinsame Lebensprojekt vor Augen zu haben, das beide übersteigt und über sich hinauswachsen lässt.
Der Prälat des Opus Dei, Fernando Ocáriz, hat für mich sehr Erhellendes gesagt: „Der Weltfrieden hängt vermutlich mehr von unserer persönlichen gewohnheitsmäßigen Bereitschaft ab, zu lächeln, zu verzeihen und uns selbst nicht so wichtig zu nehmen, als von den Verhandlungen zwischen den Staaten, so bedeutend diese auch sein mögen.“
Ohne Gerechtigkeit blüht kein Frieden auf
Ich werde im nächsten Kapitel über die Arbeit auf die Konflikte zu sprechen kommen, die entstehen, wenn das Projekt „Familie“ nicht ganz oben steht und die beruflichen und persönlichen Pläne der Familienmitglieder davon losgelöst werden. Jetzt gehe ich kurz auf die tieferliegende Frage der Gerechtigkeit ein, ohne die kein Frieden aufblühen kann. Es geht darum, die Beziehungen auf meiner Wahrheit und der des anderen aufzubauen. Im Eingangskapitel habe ich dargelegt, dass jede menschliche Beziehung so gestaltet werden muss, dass der andere nicht zum Objekt wird. Wenn der Mitmensch nicht mehr Person ist, sondern eine Sache, ist er für mich nur noch ein Konsumartikel, eine Beute des Hedonismus und des Utilitarismus. Und er kann – als letzte Konsequenz – entsorgt werden, sobald er mir nicht das Gut verschafft, das ich erwarte: Genuss, Gemeinschaft, Beziehungen, Prestige…
Wenn der Mitmensch nicht mehr Person ist, sondern eine Sache, wird er zum Konsumartikel
Eine andere Seite derselben Medaille besteht darin, sich dem anderen so zu zeigen, wie man wirklich ist, ohne Maske. Das klingt einfach, aber die Medienkultur und digitale Globalisierung erleichtern nicht, dass wir unsere Grenzen und Fehler annehmen. Wir entwerfen vielmehr in den sozialen Medien ein Pseudo-Image von uns, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Wie viele Enttäuschungen und gescheiterte Beziehungen gibt es, weil wir Menschen begegnen, die anders sind, als wir denken. Sie verbergen ihre Fehler, Suchtverhalten, Sehnsüchte oder Charakterzüge, die sie unfähig machen, eine gesunde widerstandsfähige Beziehung zu pflegen, neues Leben zu zeugen und zu behüten.
Mit mehreren Freundinnen habe ich geweint, als sie nach der Hochzeit mit dem Mann ihrer Träume immer deutlicher erkannten, dass sie im Grunde mit einem Fremden zusammenlebten. Amalia, zum Beispiel, brauchte lange, bis ihr klar wurde, was los war. Sie ärgerte sich über kleine Lügen, seltsame Ausflüchte, mangelnde Klarheit. Aber sie hatte nicht im Geringsten mit dem Fass ohne Boden gerechnet, das sich plötzlich auftat. Ihr Mann war dabei, das gesamte Familienvermögen zu verspielen. Als sie vom Gericht verwarnt wurde, hatte sie nichts mehr, womit sie die Schulden hätte bezahlen können. Es ging dann ans Verkaufen: das Haus, das Auto, ihre Kleidung… Amalia war nach wie vor eine elegante und attraktive Frau, aber dieselben Kleider und Schuhe waren jetzt abgenutzt, und vor allem war sie todtraurig. Das Schlimmste war, dass ihr Mann nichts zugab, dass er sich nicht hatte helfen lassen und so hinter ihrem Rücken gehandelt hatte.
Es kann auch Licht in den Beziehungen und Biographien aufstrahlen
Die Geschichten enden nicht immer schlecht, so zum Beispiel die meiner Freundin Victoria aus Hongkong. Ich habe mit großem Interesse verfolgt, wie nach und nach Licht in ihrer Biographie aufstrahlen konnte. Als ihre Eltern sich scheiden ließen, war sie gerade vier Jahre alt und ihr kleiner Bruder zwei. Um den Kindern Leid zu ersparen, kamen die Eltern überein, dass der Vater jeden Dienstag und Donnerstag zum Abendessen nach Hause kommen sollte. Und den Sonntag würden alle vier gemeinsam verbringen. So wuchs sie in einer relativ stabilen und glücklichen Umgebung auf.
Victoria verstand nicht, warum ihr Vater nicht bei ihnen lebte, aber sie fragte niemals nach, denn in der chinesischen Kultur wird die Autorität nicht infrage gestellt. Mit zunehmendem Alter fing sie an, sich über die Abwesenheit ihres Vaters zu beklagen. Worauf die Mutter ihr erklärte, dass der Vater weiter weg arbeitete und es für ihn besser war, näher an seiner Arbeitsstelle zu wohnen. Sie erfand diese Geschichte, um ihre Kinder zu schützen. Erst mit dreizehn Jahren erfuhr Victoria, dass sich ihre Eltern hatten scheiden lassen und dass ihr Vater mit einer anderen Frau zusammenlebte. Sie nahm das ohne großen Widerwillen hin, weil sie genügend Fernsehdramen gesehen hatte, um zu wissen, dass so etwas auch im realen Leben geschieht.
Victoria studierte an der Universität Oxford und stieg in London ins Berufsleben ein. Dort erhielt sie einen Anruf ihrer Mutter mit der Nachricht, dass ihr Vater schwer erkrankt war. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zwei weitere Male geheiratet und sich wieder scheiden lassen. In all dieser Zeit hatte Victoria ihre Mutter niemals schlecht über ihren Ex-Mann sprechen hören, und kein Mann, der nicht ihr Vater war, hatte das Haus der Mutter betreten.
Im September 2014 kehrte sie für zwei Wochen nach Hongkong zurück, um ihren Vater bei den Arztbesuchen zu begleiten. Jeden Tag musste er mindestens zwei Stunden lang mit drei Bussen fahren. Das waren Sternstunden, die Victoria nutzte, um mit ihm über alles zu reden: Sport, Politik, Wirtschaft, Frieden, Gott… Sie war katholisch, er nicht. Eines Nachmittags lud er sie zu einem Tee in einem Café ein, damit sie dort in Ruhe reden konnten. Nach einigen Minuten wurde ihr Vater ernst und fragte sie unter Tränen:
- Hast du mich jemals für schuldig erklärt?
Sie sagte nein, denn nur Gott kennt unser Inneres und nur er kann uns richten. Sie versicherte ihm, dass sie ihm sehr dankbar sei, denn immer hatte sie sich an ihn wenden können und es hatte ihr an nichts im Leben gefehlt. Sie sagte ihm auch, dass sie ihn wohl sehr vermisst hatte, aber trotzdem glücklich aufgewachsen war. Und dass es ihr am meisten geholfen hatte zu sehen, dass ihre Mutter keinerlei Groll gegen ihn hegte.
Und in der Tat blieb Victorias Mutter bis zum Ende bei ihrem Vater und kümmerte sich liebevoll und umsichtig um ihn. Ihr Vater starb im November 2014, nachdem er katholisch geworden und seinen Frieden mit Gott gefunden hatte.
(Isabel Sánchez, Mujeres Brújula en un bosque de retos. Ideas para superar la adversidad. Editorial Planeta-Espasa, S.A., 2020, Kapitel „ Peacemakers en nuestro entorno“, S.81-84, übersetzt von Angelika Strüder und Brigitte Weber)
Veröffentlichung der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Planeta-Espasa.
Über die Autorin:
Isabel Sanchez ist seit 2010 Zentralsekretärin des Assessorates in Rom. Dieses Gremium von Frauen berät den Prälaten des Opus Dei bei der pastoralen Leitung der Prälatur. Sie ist Juristin und hat 2020 das Buch „Mujeres Brújula“ herausgegeben, nachdem sie in vielen Ländern Frauen begegnen durfte, die in schwierigen Zeiten für ihre Umgebung - oft vom Küchentisch aus - vieles bewegt haben und für Menschen in ihrer Umgebung Horizonte der Hoffnung eröffnen haben.