„Der Erfolg ist für uns nicht so wichtig“

Interview mit Prälat César Ortiz über sein Leben und das Opus Dei zur Franco-Zeit und heute. Als ihn Papst Johannes Paul II. 1983 in Rom zum Priester weihte, hatte Ortiz bereits eine international erfolgreiche Laufbahn als Architekt und Professor hinter sich. Danach wirkte der heute 80jährige dreizehn Jahre als Regionalvikar der Prälatur des Opus Dei in Deutschland.

Prälat César Ortiz

Als das Opus Dei vor 55 Jahren in der Erzdiözese Köln Fuß fasste, stand der heute 80-jährige Madrider César Ortiz-Echagüe gerade am Beginn einer erfolgreichen Architektenlaufbahn. Jahrelang widmete sich der Numerarier in seiner Heimat dem Bau von Industrie-, Schul- und Wohngebäuden und der Lehrtätigkeit an der Universität von Navarra in Pamplona. 1983 weihte Papst Johannes Paul II. ihn in Rom zum Priester. Dreizehn Jahre wirkte er als Regionalvikar der Prälatur des Opus Dei in Deutschland mit Sitz in Köln, seitdem gehört er der Leitung des Opus Dei in Deutschland an. Das Gespräch führte Regina Einig.

Hat das Opus Dei Ihre Laufbahn als Architekt maßgeblicher beeinflusst als Ihre Familie?

Prälat César Ortiz

Auf meine Entscheidung, Architekt zu werden, hat meine Familie stärkeren Einfluss gehabt. Mein Vater war Ingenieur und hat 1923/24 eine Firma für den Flugzeugbau in Spanien gegründet (CASA). Sie bauen heute zwanzig Prozent des Airbus. Viele Jahre hat er auch Flugzeuge mit deutscher Lizenz gebaut und hatte intensive geschäftliche Beziehungen mit Deutschland. Zwei Brüder – wir waren acht Geschwister – sind im Spanischen Bürgerkrieg gefallen. Keiner von beiden wollte Ingenieur werden, daher hoffte mein Vater, dass ich Ingenieurwissenschaften studieren und die Firma übernehmen würde. Ihm lag viel daran, dass ich Deutsch lernte und er schickte mich als einzigen der Geschwister auf die Deutsche Schule in Madrid. Dort war ich vom Kindergarten bis zum Abitur. Mein Vater hatte ein Hobby, das Fotografieren. Von 1895 bis 1970 hat er jede Ecke in Spanien fotografiert und Ausstellungen in der ganzen Welt gemacht. Bei diesen Fahrten habe ich ihn oft begleitet. Dabei habe ich in Dörfern und Kirchen angefangen zu zeichnen und mich allmählich für Architektur begeistert. So entstand in mir der Wunsch, Architekt zu werden. Mit sechzehn Jahren hatte ich mich für dieses Berufsziel entschieden und mein Vater akzeptierte meine Entscheidung, weil er selbst ein Künstler war. Mit achtzehn Jahren wurde ich Mitglied des Opus Dei: Einige Monate, nachdem ich den Gründer kennen gelernt hatte, bat ich um Aufnahme. Das Opus Dei hat meine Entscheidung. Architekt zu werden, nicht beeinflusst, aber meine Arbeitsweise. Ich habe zwar immer die Freiheit gehabt, meinen Stil zu prägen. Doch vom Gründer des Opus Dei habe ich gelernt, die Arbeit Gott aufzuopfern und als Dienst an den Menschen zu sehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Fünf Jahre, nachdem ich mein Architekturbüro eröffnet hatte, bekam ich mit zwei anderen jungen Architekten den Auftrag, die Kantine für die Arbeiter des Autoherstellers SEAT in Barcelona zu entwerfen. Wir haben die Kantine sehr hell und transparent gestaltet, damit die Arbeiter, die jeden Tag die eintönige Arbeit am Fließband machen mussten, wenigstens während ihrer Mittagspause Bäume und Blumen sehen konnten. Wir haben alles aus Aluminium gebaut, das war damals etwas ganz Neues in Spanien. Für dieses Projekt haben wir 1957 den Reynolds-Memorial-Award bekommen, damals der bedeutendste Architekturpreis in den Vereinigten Staaten. Das war sicher auch das Ergebnis dessen, was ich von Josemaría Escrivá gelernt hatte: die Arbeit gut zu machen und dafür zu sorgen, dass die Menschen Architektur genießen.

Ihr Start ins Berufsleben fiel in eine Zeit, in der Spanien politisch isoliert war. Hat das in Ihnen den Wunsch geweckt, ins Ausland zu gehen?

Diese Frage kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Gerade der wirtschaftliche Ruin in Spanien nach dem Krieg sowie die Blockade, die den Wiederaufbau erschwerte, waren für uns eine Herausforderung. Heute kann man architektonisch nahezu alles machen. Meine Generation hat versucht, das Beste aus der Situation zu machen und mit den wenigen Mitteln, die zur Verfügung standen, für gute Architektur zu sorgen. Wir wollten in Spanien arbeiten und nicht ins Ausland „fliehen“. Die Gebäude der fünfziger Jahre waren sehr schlicht, doch sie werden noch heute bewundert. In New York gab es kürzlich eine Ausstellung über spanische Architektur. Der Katalog lobt gerade die Bauten der fünfziger Jahre.

Viele Architekten Ihrer Generation haben zumindest einem Teil der während des Krieges zerstörten Kirchen keine Träne nachgeweint. Hat der Neubau von Sakralbauten in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus Ihrer Sicht zu verbesserten geistlichen Ausdrucksformen geführt und den Gläubigen den Zugang zum Mysterium Kirche besser erschlossen?

Die Kirche von Tajamar

In Spanien wurden im Bürgerkrieg viele Kirchen ausgeplündert, aber nicht vollständig zerstört. Das kann man nicht mit den Schäden des Bombenkriegs in Deutschland vergleichen. Wir Spanier haben die Entwicklung in Deutschland mit viel Interesse verfolgt. In einem Buch über die deutsche Sakralarchitektur nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das bald in Paderborn erscheinen wird, heißt es, dass die Umsetzung der Liturgiereform in den bildenden Künsten zu hektisch verlaufen sei. Das sehe ich auch so. Es gab viele Übertreibungen, vor allem den fürchterlichen Bildersturm, den Wunsch, keine Bilder mehr in den Kirchen zu haben, und alles ganz schlicht aus Beton zu bauen. Der Gedanke, dass die Kirche nur den Rahmen für die Liturgie bildet und man sonst nichts mehr braucht, wenn nur die Liturgie selbst schön gefeiert wird, ist zwar nicht falsch. Aber Kirchen sind nicht nur für liturgische Feiern da. Die Menschen gehen auch in die Kirche, um einfach zu beten. Architektur und Kirchenausstattung haben auch katechetische Funktion. Für das Gebet und die Katechese können Bilder hilfreich sein. Nur geniale Architekten können die Gläubigen mit einer sehr einfachen Formensprache zu Gott führen. Rudolf Schwarz ist einer von ihnen. Er hat mit sehr einfachen Mitteln beeindruckende Kirchen gebaut.

Wann trat eine Wende ein?

Die Nüchternheit war ein Trend, der etwa zwanzig Jahre gedauert hat, ungefähr bis 1985. Dann trat eine Wende ein, nachdem klar wurde, dass immer weniger Menschen in die Kirche kamen. Seitdem versucht man wieder, Gebet und Katechese mit gegenständlichen Darstellungen zu fördern. Zu den interessanten Kirchenbauten der letzten Jahren gehören die Kathedrale von Los Angeles und die Pater-Pio-Kirche von Renzo Piano in San Giovanni Rotondo.

Ist eine Kirche wie die Basilika von Torreciudad mit ihrem Kontrast aus moderner Architektur und traditionellem spanischen Altarretabel typisch für das Kirchenverständnis des Opus Dei?

Das Altarbild von Torreciudad

Ein eigenes Kirchenverständnis des Opus Dei gibt es nicht. Wir halten uns an die Lehre der katholischen Kirche. Die Mitglieder des Opus Dei haben dieselbe Freiheit wie jeder Katholik. Das gilt natürlich auch für die Architekten. Der Architekt von Torreciudad hat die Kirche mit aller künstlerischen Freiheit entworfen. Der Gründer des Opus Dei hatte ihm allerdings seine Wünsche genannt: einen Ort für die Feier und die Anbetung der Eucharistie, an dem die Muttergottes verehrt wird und der eine Katechese über das Leben Christi ist. Das hohe Altarretabel ist aus meiner Sicht eine treffende Lösung, auch wenn sich darüber streiten lässt, ob man die einzelnen Szenen nicht moderner hätte gestalten können. Aber als Torreciudad 1970 gebaut wurde, hatte der Durchschnittskatholik in Spanien wenig Zugang zur modernen Kunst. Eine modernere, abstraktere Kunst hätte dort nicht gewirkt. Torreciudad ist eine Wallfahrtskirche, die von sehr unterschiedlichen Gläubigen besucht wird. Der Baustil ist aber nicht „typisch Opus Dei“. Ein anderer Architekt des Opus Dei hätte wahrscheinlich eine andere Lösung gefunden.

Das Opus Dei wird heute im Allgemeinen zu den so genannten „neuen geistlichen Bewegungen“ gezählt. Das war früher nicht unbedingt der Fall. Hat der Gründer des Opus Dei es angestrebt, sein Werk in den Reigen der geistlichen Bewegungen einzuordnen?

Die geistlichen Bewegungen werden oft auch als geistliche Gemeinschaften bezeichnet. In den Gesprächen, die ich mit dem heiligen Josemaría geführt habe, ist immer deutlich geworden, dass er mit dem Opus keine neue Gemeinschaft in der Kirche gründen wollte. Er meinte, es gebe genügend Gemeinschaften – die Familie, die Pfarrei, Vereine, den Staat. Er wollte durch das Opus Dei vielen Christen eine gründliche geistliche Ausbildung vermitteln. Ziel ist es, dass sie als Christen die Gemeinschaften, in denen sie leben, lebendiger gestalten. Der Gründer wollte auch nicht, dass das Opus Dei als Gruppe oder als Block handelt. Aus diesem Grund hat er als endgültigen rechtlichen Rahmen für uns eine einer Diözese vergleichbare Rechtsform gewollt. Dass das Opus Dei sieben Jahre nach seinem Tod eine Personalprälatur geworden ist, entsprach seinen Vorstellungen. Eine Personalprälatur ist etwas relativ Neues, auch wenn uns mit den geistlichen Gemeinschaften die Treue zum Papst und der missionarische Elan verbindet. Vielen Menschen fällt es vermutlich leichter, uns als geistliche Gemeinschaft einzuordnen. Damit können wir leben, auch wenn wir etwas anders – nicht besser – als die geistlichen Gemeinschaften sind.

Der Gründer des Opus Dei hat Ihnen gegenüber einmal sein Missfallen über den Mangel an politischer Freiheit unter Franco geäußert und sich bei Minister José Solís Ruiz, dem Generalsekretär der Einheitspartei Falange schriftlich darüber beschwert, dass Zeitungen das Werk kritisierten. Wie erklären Sie den Unterschied in der Binnensicht des Opus Dei und dem landläufigen Image des Werkes als ehemals francokompatibler Vereinigung?

Diesen Brief habe ich Minister Solís persönlich überreicht. Er war eigentlich ein netter Kerl und reagierte sehr betroffen auf den Brief. Damals waren eine Reihe Katholiken, nicht nur Mitglieder des Opus Dei, sondern vor allem junge Professoren, die im Ausland studiert hatten, von Franco in hohe Regierungsämter berufen worden. Die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in Spanien war Ende der fünfziger Jahre katastrophal. Franco sah ein, dass sich etwas ändern musste. Und die spanischen Bischöfe hatten nie auch nur angedeutet, dass Katholiken keine Aufgaben in der Francoregierung übernehmen sollten. Junge Akademiker fühlten sich also frei, ein Regierungsamt zu übernehmen. Einige Professoren hatten Francos Wirtschaftspolitik scharf kritisiert und damit den Ärger der Einheitspartei Falange erregt. Sie fürchteten neue Freiheiten, die irgendwann das Aus für die Einheitspartei bedeuten könnten. Das brachte einige auf den Gedanken, der jungen Intelligenz zu schaden, indem sie das Opus Dei über die Medien angriffen. So kam es zu einer richtigen Kampagne und darauf hat der Gründer mit einem harten Brief reagiert. Einige Mitglieder des Opus Dei haben damals versucht, von innen her etwas im Staat zu verändern und die Demokratisierung anzupeilen. Andere Mitglieder zogen es vor, in die Opposition zu gehen. Einige haben darunter sehr gelitten. Zwei haben „Madrid“, die einzige ernst zu nehmende Oppositionszeitung gegründet. Die Zeitung wurde beschlagnahmt und das Redaktionsgebäude in die Luft gesprengt. Der Herausgeber musste erst ins Exil, und als er zurückkehrte, ins Gefängnis gehen. Es gab also innerhalb des Opus Dei unterschiedliche Meinungen.

Mit dem Opus Dei assoziieren die meisten Katholiken heute das Apostolat beruflich erfolgreicher Laien. Sind Sie als Spätberufener mit Ihrer Entscheidung, eine erfolgreiche Architektenlaufbahn zu beenden, um Priester zu werden, gewissermaßen gegen den Strom des Werkes geschwommen?

Der Erfolg ist für uns nicht so wichtig. Wer seine Arbeit gut macht, kann Erfolg haben, aber nicht immer. Ein Misserfolg, den man Gott aufopfert, kann vor Gott wertvoller sein als ein Erfolg. Die Numerarier im Opus Dei, das heißt, die Mitglieder, die sich zur Ehelosigkeit verpflichtet haben, sehen sich als Diener der anderen Mitglieder. Unser Wunsch ist es, zu dienen. Deswegen wird ein Numerarier auch darauf vorbereitet, Priester zu werden, wenn die Leiter ihn für den priesterlichen Dienst brauchen. Normalerweise arbeitet ein Numerarier erst einmal sechs oder sieben Jahre im Beruf, ehe er zum Priester berufen wird. Mein Fall war eine Ausnahme, denn ich war fast dreißig Jahre im Beruf, ehe ich Priester wurde. Aber im Grunde habe ich nur getan, was viele Mitglieder des Opus Dei tun.

Das Opus Dei hat in Deutschland in einer Zeit Fuß gefasst, in der sich kein Student den Kopf um Studiengebühren zerbrechen musste und erfolgreichen Hochschulabsolventen eine viel versprechende Position sicher war. Diese „fetten Jahre“ sind vorbei. Haben die schwierigeren Rahmenbedingungen für Akademiker Auswirkungen auf die Expansionsmöglichkeiten des Opus Dei?

Wir haben in der Tat Schwierigkeiten, uns auszubreiten. Das liegt aber nicht an den veränderten äußeren Rahmenbedingungen für Akademiker. Am schwierigsten zu erreichen sind junge Menschen, die Angst haben, sich für immer zu binden. Bei uns wird im Prinzip eine Bindung für das ganze Leben angestrebt. Dieses Problem betrifft nicht nur das Opus Dei, sondern die ganze Kirche. Der Heilige Vater hat in einem Interview erklärt, dass junge Menschen keine Angst haben sollen, sich zu binden. Junge Ehepaare zwischen dreißig und vierzig Jahren, die schon eine Bindung eingegangen sind, sind leichter ansprechbar. Sie sehen, dass das Leben und die Kindererziehung schwierig geworden sind und sie mehr geistliche Hilfe brauchen, um das Familienleben christlich zu gestalten. Darauf beruht jetzt vor allem unsere Ausbreitung.

Das Opus Dei ist in jüngster Zeit wieder durch den Film „Sakrileg“ in die Schlagzeilen gekommen. Welche Bilanz ziehen Sie aus der öffentlichen Debatte?

Uns verletzt die Verleumdung Christi und der Kirche viel tiefer als das, was über das Opus Dei gesagt wird. Wer uns kennt, wird von Filmen wie „Sakrileg“ nicht beeinflusst. Andere Leute sind neugierig geworden und haben sich vor allem im Internet erkundigt. Das Interesse am Opus Dei ist merklich gestiegen. Es haben mehr Menschen als sonst mit uns Kontakt aufgenommen und einige haben sich sogar dafür entschieden, sich dem Werk anzuschließen. Aber zweifellos sind auch einige durch diese Lügen verwirrt worden. Aber das können wir nicht messen.

Die Tagespost, Würzburg