Beim zehnjährigen Bestehen des Sozialprojekts „Harambee“ hielt Bischof Javier Echevarría (1932-2016) einen Vortrag mit dem Titel „Das christliche Herz, der Motor der sozialen Entwicklung.“ Zehn Jahre später – beim 20. Jahrestag dieser Initiative und bei einem „Tag der sozialen Innovationen“ in Rom – knüpfte Fernando Ocariz, der Prälat des Opus Dei, mit seinem Vortrag unter dem Thema „Das Herz für andere öffnen!“ an die Überlegungen seines Vorgängers an. Im Lichte der Soziallehre der Kirche und der Botschaft des heiligen Josefmaria stellte er die soziale Dimension der christlichen Berufung heraus:
Vor zehn Jahren erinnerte Don Javier daran, dass aus dem Gespräch zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten hervorgeht, dass die Liebe zu Gott untrennbar mit der Liebe zum Nächsten verbunden ist: „Als der Schriftgelehrte ihn fragte, welches das erste Gebot sei, beschränkte sich der Herr nicht auf den Hinweis, dass die Liebe zu Gott das größte und erste Gebot sei, sondern er erklärte, dass die Nächstenliebe zum ersten Gebot dazugehört.“ (Mt 22,35-39)
Es ist wichtig, die Beziehungsdimension der Person im Auge zu behalten. Benedikt XVI. bekräftigte in der Enzyklika Caritas in veritate: „Der Mensch verwirklicht sich als Geschöpf von geistiger Natur in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Je echter er diese lebt, desto mehr reift auch seine eigene persönliche Identität.“ Diese Realität „verpflichtet auch zu einer kritischen und beurteilenden Vertiefung der Kategorie der Beziehung“ und trägt dazu bei, „die transzendente Würde des Menschen klar zu begreifen“. (Benedikt XVI., Caritas in veritate, 29.6.2009, Nr. 53)
Ihr widmet euch auf sehr unterschiedliche Weise und mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen beruflich der Sorge und der Würde der Menschen, insbesondere derjenigen, die am meisten der Hilfe bedürfen. Ihr wisst aus Erfahrung, dass Institutionen und Strukturen zwar erforderlich sind, dass es für eine echte ganzheitliche Entwicklung aber auch notwendig ist, Menschen zusammenzubringen, den Kontext und die Bedingungen für eine Entwicklung zu schaffen, die dem Menschen die Möglichkeit gibt, sich in all seinen Dimensionen zu entwickeln. Als Jünger Jesu Christi sind wir mit einem neuen Titel – dem des Christen – dazu berufen, uns um die Menschen in der Welt zu kümmern.
Was bemerken wir in der Welt? Neben den neuen Möglichkeiten menschlichen Fortschritts in den Bereichen Gesundheit, Technologie und Kommunikation und den vielen inspirierenden Vorbildern gibt es auch Ungerechtigkeiten und Verwundungen, an denen die Menschheit leidet. „In unserer gegenwärtigen Welt hat die Armut viele Gesichter: Die Gleichgültigkeit, mit der viele Alte und Kranke behandelt werden, die Einsamkeit der Menschen, die von allen verlassen sind, das Drama der Flüchtlinge, das Elend, in dem ein großer Teil der Menschheit lebt, vielfach wegen himmelschreiender Ungerechtigkeit.“ (Fernando Ocariz, Pastoralbrief 14.2.2017, Nr. 31)
Wie ich euch bereits in einem Brief aus dem Jahr 2017 schrieb: „Nichts von alledem darf uns gleichgültig lassen“, wir sind alle aufgerufen, „die ,Phantasie der Nächstenliebe‘ (Hl. Johannes Paul II., Novo millennio ineunte, 6.1.2001, Nr. 50) in Bewegung zu setzen, um allen unseren Brüdern und Schwestern, die in Not sind, den Balsam der Zärtlichkeit Gottes zu bringen.“
Wenn der Mensch seinen Status als Kind Gottes ignoriert oder nicht versteht, sind alle seine Beziehungen davon betroffen: die zu sich selbst, die zu anderen und auch die zur Schöpfung. Wie Papst Franziskus gesagt hat, verwandelt sich die gegenseitige Abhängigkeit dann in Abhängigkeit einiger von anderen, „wir verlieren die Harmonie der gegenseitigen Abhängigkeit in der Solidarität“ (Papst Franziskus, Generalaudienz vom 2.9.2020).
Wir sind mitverantwortlich für die Welt, für die Schaffung von Beziehungen auf der Grundlage von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Respekt, vor allem durch die Überwindung der Krankheit der Gleichgültigkeit. Der heilige Johannes Paul II. schrieb: „Jawohl, jeder Mensch ist Hüter seines Bruders, weil Gott dem Menschen den Menschen anvertraut.“ (Evangelium vitae, 1995, Nr. 19)
Viele der Initiativen, die ihr vertretet, wurden vom heiligen Josefmaria angeregt oder sind von seinem Geist inspiriert. Und viele von euch arbeiten in Organisationen ganz unterschiedlicher Ausprägung und Ausrichtung in diesem Geist. Ihr habt den Drang verspürt, „etwas Gutes zu tun“, und nicht einfach nur mit verschränkten Armen dazustehen.
Es ist der Kern des Opus Dei, den gewöhnlichen Alltag in einen Ort der Begegnung mit Gott und des Dienstes am Nächsten zu verwandeln; dies ist das Bestreben reifer, sensibler und fachlich kompetenter Menschen, die sich bemühen, die Welt etwas gerechter und brüderlicher zu gestalten. „Die Welt leidenschaftlich lieben“ bedeutet, sie zu kennen, sich um sie zu kümmern und ihr zu dienen.
Die Haltung angesichts sozialer Nöte fasste der heilige Josefmaria in einem Brief zusammen, der in den 1950er Jahren erschien: „Ein Christ kann nicht individualistisch sein, er kann die anderen nicht einfach ignorieren, er kann nicht egoistisch leben, mit dem Rücken zur Welt: Er ist wesentlich sozial, ein verantwortliches Mitglied des mystischen Leibes Christi.“ (Cartas, 1, Madrid 2020, Nr. 3, 37d)
Dem Beispiel des Gründers des Opus Dei folgend, werde ich mich in dieser Sitzung mit vier Dimensionen befassen: der spirituellen, der beruflichen, der persönlichen und der kollektiven.
Die spirituelle Dimension
Es mag vielleicht utopisch klingen, anzunehmen, dass wir etwas tun könnten, um die Leiden der Menschheit zu lindern. Wir wissen jedoch, dass Jesus selbst den menschlichen Schmerz auf sich nimmt. Die Wunden an seiner Seite, an Händen und Füßen erinnern an die Wunden der Welt. Und Jesus hat uns gesagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)
Der Weg der Einswerdung mit Christus verwandelt das menschliche Herz und öffnet es für die Nächstenliebe. Die Vereinigung mit dem Herrn in den Sakramenten und im Gebet führt dazu, den Nächsten und seine Nöte zu sehen und weniger auf sich selbst zu achten. Nächstenliebe verändert die Sichtweise. „Die Liebe Christi ist nicht bloß ein Gefühl des Wohlwollens gegenüber dem Nächsten, sie ist nicht lediglich eine philanthropische Laune. Die Liebe, die Gott der Seele eingießt, verwandelt Verstand und Willen von innen her, sie gibt der Freundschaft und der Freude an guten Werken eine übernatürliche Grundlage.“ (Christus begegnen, Nr. 71d)
Vor einiger Zeit habe ich euch in einem Brief aufgefordert, den Herrn zu bitten, unser Herz zu weiten, uns ein Herz nach seinem Maß zu geben, „damit darin alle Bedürfnisse, Schmerzen und Leiden der Männer und Frauen unserer Zeit Platz finden, besonders der Schwächsten“ (Pastoralbrief 2017, Nr. 31), ein betendes Herz inmitten der Welt, das andere in ihren Nöten unterstützt und begleitet.
Die Identifikation mit Christus öffnet uns für die Bedürfnisse anderer. Zugleich führt uns der Kontakt mit Notleidenden zu Jesus. Deshalb schrieb der heilige Josefmaria: „Die Armen – sagte unser Freund – sind für mich das beste geistliche Buch und das Hauptthema meines Gebetes. Sie schmerzen mich, und Christus schmerzt mich mit ihnen ... Und weil er mich schmerzt, geht mir auf, dass ich Ihn liebe und dass ich sie liebe.“ (Spur des Sämanns, Nr. 827)
Jesus hatte eine Vorliebe für die Armen und Leidenden, aber er wollte auch selbst notleidend und Opfer sein. Im leidenden Menschen sehen wir Jesus, der zu uns spricht. Wissen wir von den Armen zu lernen, in ihnen das Antlitz Christi zu finden und, wie Papst Franziskus sagt, „uns von ihnen evangelisieren zu lassen“ (Franziskus, Botschaft 5. Welttag der Armen, 2021, Nr. 2)? „Sie haben uns vieles zu lehren. … Sie kennen außerdem dank ihrer eigenen Leiden den leidenden Christus.“ (Evangelii Gaudium, Nr. 198-199). Seit der frühen Kirche wird davon ausgegangen, dass die Verkündigung des Evangeliums die Sorge um die Armen einschließt und dass dies ein Erkennungszeichen der christlichen Identität und ein Element der Glaubwürdigkeit ist. (vgl. Benedikt XVI., Deus caritas est, 2005, Nr. 20)
Die berufliche Dimension
Wir wollen Christus in den Mittelpunkt aller menschlichen Tätigkeiten stellen, indem wir die berufliche Arbeit und die gewöhnlichen Pflichten des Christen heiligen. Dieser Auftrag wird auf der Straße, in der Gesellschaft und vor allem durch die Arbeit erfüllt. Der heilige Josefmaria erinnert uns daran, dass die „gewöhnliche Arbeit, sei sie menschlich gesehen bescheiden oder glanzvoll, einen großen Wert hat und ein sehr wirksames Mittel sein kann, um der Liebe zu Gott und zu den Menschen in einem beständigen Dienst Gestalt zu geben“. Und er lädt alle ein, „daran zu arbeiten – in völliger Eigenständigkeit, so wie es einem jedem am besten erscheint –, um Unverständnis und Intoleranz unter den Menschen überwinden zu helfen und sich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen“. (Kommentar der historisch-kritischen Edition zu Gespräche mit Msgr. Escrivá, Nr. 56)
Für diejenigen, die Christus nachfolgen wollen, ist jede Arbeit eine Gelegenheit, den anderen zu dienen, insbesondere den Bedürftigsten. Es gibt Berufe, in denen die soziale Rückwirkung unmittelbarer oder offensichtlicher ist, wie in eurem Fall, bei eurer Arbeit in Organisationen, die sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen von benachteiligten Menschen oder Gruppen richten. Doch ist diese Dimension des Dienstes nicht nur für einige, sie sollte in jeder ehrbaren Arbeit stecken.
Seit der heilige Josefmaria begann, seine Botschaft zu verbreiten, sagte er, dass es zur Heiligung der Welt nicht notwendig sei, den Ort, den Beruf oder die Umgebung zu wechseln. Es gehe darum, sich selbst zu verändern an dem Ort, an dem man sich befindet.
Im christlichen Ideal der Arbeit verbinden sich Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Weit entfernt von den Logiken des „Erfolgs“ ist der Dienst am Nächsten der beste Maßstab für die Arbeitsleistung eines Christen. Den Anforderungen der Gerechtigkeit im Beruf gerecht zu werden, ist ein hohes und ehrgeiziges Ziel; seinen Verpflichtungen nachzukommen, ist nicht immer leicht, und die Nächstenliebe geht immer weit darüber hinaus und fordert jeden Einzelnen auf, großzügig aus sich selbst heraus auf andere zuzugehen.
Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter tritt der Gastwirt wie in den Hintergrund: Es wird nur gesagt, dass er professionell gehandelt hat. Sein Verhalten erinnert daran, dass uns die Ausübung jeder beruflichen Tätigkeit die Möglichkeit gibt, den Notleidenden zu dienen.
Manchmal kann die Versuchung entstehen, sich „in die Arbeit zu flüchten“, in dem Sinne, dass man ihre transformierende soziale Dimension übersieht und sich mit einem falschen Spiritualismus zufriedengibt. Geheiligte Arbeit ist immer ein Hebel für die Umgestaltung der Welt und das normale Mittel, um Veränderungen herbeizuführen, die das Leben der Menschen würdig machen, sodass Nächstenliebe und Gerechtigkeit wirklich alle Beziehungen durchdringen. Die so geleistete Arbeit kann dazu beitragen, die „Strukturen der Sünde“ (vgl. Sollicitudo rei socialis, 1987, Nr. 36) zu reinigen und sie in Strukturen zu verwandeln, in denen eine ganzheitliche menschliche Entwicklung möglich ist.
Der Glaube hilft uns, das Vertrauen in die Zukunft zu bewahren. Wie der heilige Josefmaria sagte, „wird unsere apostolische Arbeit zum Frieden beitragen, zur Zusammenarbeit der Menschen untereinander, zur Gerechtigkeit, zur Vermeidung von Krieg, zur Vermeidung von Isolation, zur Vermeidung von nationalem Egoismus und persönlichem Egoismus: denn alle werden erkennen, dass sie Teil der ganzen großen Menschheitsfamilie sind, die vom Willen Gottes zur Vollkommenheit geführt wird. Auf diese Weise werden wir dazu beitragen, diese Angst und Furcht vor künftigem brudermörderischen Neid zu beseitigen und Frieden und Harmonie in den Seelen und in der Gesellschaft zu etablieren: Toleranz, Verständnis, Verständigung und Liebe.“ (Cartas, Band 1, Nr. 3, 38a und 38b)
Die persönliche Dimension
Die Botschaft des Opus Dei fordert uns auf, die Welt durch die Arbeit zu verändern. Dazu gehört auch das „Erbarmen haben“, wie der Samariter (vgl. Lk 10,33), als ein Gebot der Liebe, das das Gesetz („das, was Pflichten sind“) zu seiner Fülle bringt (vgl. Röm 13, 8-10). Die Liebe führt dazu, dass unsere Freiheit immer bereiter und vorbereiteter ist, Gutes zu tun.
Der heilige Josefmaria schrieb in einem Brief aus dem Jahr 1942: „Die Verallgemeinerung der sozialen Hilfen gegen die Geißeln des Leidens oder der Armut, die es heute ermöglichen, humanitäre Ergebnisse zu erzielen, von denen man in anderen Zeiten nicht einmal zu träumen wagte, kann niemals das menschlich und übernatürlich wirksame Feingefühl des unmittelbaren, persönlichen Kontakts mit unserem Nächsten ersetzen: mit dem Armen in einem nahe gelegenen Viertel, mit dem Kranken, der seine Schmerzen in einem großen Krankenhaus durchlebt ...“ (Brief 24.10.1942, Nr. 44)
Vor uns tut sich ein gewaltiges Panorama in der Familie und in der Gesellschaft auf, und wer ein geweitetes Herz hat, wird versuchen, sich um die alten Eltern zu kümmern, Almosen zu geben, sich für die Probleme der Nachbarn zu interessieren, für einen von Sorgen geplagten Freund zu beten, einen kranken Verwandten im Krankenhaus oder zu Hause zu besuchen, mit einer Person auf der Straße zu sprechen, die wir regelmäßig sehen, geduldig zuzuhören, und so weiter.
Normalerweise geht es nicht darum, zu den bestehenden Aufgaben noch weitere hinzuzufügen; es geht darum, aus unserer eigenen Identität heraus die Liebe Christi zu den anderen auszudrücken. Die Frage der Nächstenliebe lautet nicht nur: Was soll ich tun?, sondern vor allem: Wer bin ich für den anderen und wer ist der andere für mich?
Bei dieser täglichen Pflege der Solidarität kommen wir mit anderen zusammen, und so werden die Bedürfnisse von Dritten auch zu einem Anlass, dass Menschen guten Willens sich zusammenfinden, ob Christen oder nicht, aber vereint angesichts von Armut und Ungerechtigkeit.
Dieser Dialog mit der Not und der Verwundbarkeit wird sicherlich zu einer sensiblen Haut und einem realitätsnahen Gebetsleben führen. Wir werden bereit sein, uns für eine größere persönliche Nüchternheit zu entscheiden, und das Konsumdenken, die Anziehung des Neuen, den Luxus vermeiden ... und wir werden wissen, wie wir auf unnötige Güter verzichten können, die wir uns aufgrund unserer beruflichen Situation vielleicht leisten könnten. So werden wir für persönliche Veränderungen durchlässig, weil wir unsere Ohren für den Heiligen Geist offenhalten und hören, was er uns durch die Armut sagt.
Die Beziehung zwischen Christus und den Bedürftigen ist eine Beziehung von einem zum anderen. Gewiss sind kollektive Werke notwendig, die Nächstenliebe ist jedoch persönlich, denn unsere Beziehung zu Gott ist auch so. In einem reifen Christen entfalten sich die persönlich gelebten „Werke der Barmherzigkeit“ (KKK, Nr. 2447) organisch, wie ein Baum, der beim Wachstum auch mehr Früchte trägt und mehr Schatten spendet. Aus dieser Perspektive erkennt man auch die Komplementarität, die zwischen den verschiedenen Äußerungen des persönlichen Apostolats und der Großzügigkeit gegenüber den Bedürftigen besteht.
Der heilige Josefmaria beschrieb die soziale Transzendenz der persönlich gelebten Nächstenliebe inmitten der Welt, indem er auf das Beispiel der Gläubigen der frühen Kirche zurückgriff: „So haben die ersten Christen gehandelt. Aufgrund ihrer übernatürlichen Berufung hatten sie keine sozialen oder menschlichen Programme zu erfüllen; aber sie waren von einem Geist, einer Auffassung vom Leben und von der Welt durchdrungen, die in der Gesellschaft, in der sie sich bewegten, nicht ohne Folgen bleiben konnten.“ (Brief vom 9.1.1959, Nr. 22)
Die kollektive Dimension
Ich kann nicht umhin, für das Gute zu danken, das ihr durch die vom heiligen Josefmaria inspirierte Arbeit tut, und für diejenigen, die – ebenfalls von ihm inspiriert – in verschiedenen Organisationen arbeiten, die einen direkten Dienst an den Bedürftigsten leisten. Ich denke an den jungen Priester, der sich in den 1930er Jahren in Madrid um die Armen und Kranken kümmerte. Der „in den See gefallene Stein“ (vgl. Der Weg, Nr. 831) hat weite Wellen gezogen. Obwohl wir uns unserer Grenzen bewusst sind, danken wir Gott und bitten ihn um Hilfe, damit wir besser werden und weitermachen können.
Kollektive Werke halten die christlich-soziale Sensibilität lebendig und sind ein ziviler und öffentlicher Ausdruck der Barmherzigkeit. Wie das Kompendium der Soziallehre der Kirche formuliert, „zeigt sich der Nächste, der geliebt werden soll, in so vielen Aspekten ,in Gesellschaft‘ (...): Ihn auf der sozialen Ebene zu lieben bedeutet, sich je nach Situation der sozialen Mittel zu bedienen, um sein Leben zu verbessern oder diejenigen sozialen Faktoren zu beseitigen, die seine Not verursacht haben. Das Werk der Barmherzigkeit, mit dem man hier und jetzt auf ein reales und drängendes Bedürfnis des Nächsten reagiert, ist zweifelsohne ein Akt der Liebe; doch ein ebenso unverzichtbarer Akt der Liebe ist das Engagement, das darauf ausgerichtet ist, die Gesellschaft so zu organisieren und zu strukturieren, dass der Nächste nicht im Elend leben muss, vor allem dann, wenn sich eine unüberschaubare Menge von Personen und sogar ganze Völker in dieser Situation befinden, die heute die Proportionen einer wahren und eigentlichen weltweiten sozialen Frage annimmt.“ (Kompendium der Soziallehre der Kirche, Nr. 208)
Der heilige Josefmaria erinnerte daran, dass „das Opus Dei dort präsent sein [muss], wo es Armut gibt, wo es Mangel an Arbeit gibt, wo es Traurigkeit gibt, wo es Schmerz gibt, damit der Schmerz mit Freude ertragen werden kann, damit die Armut verschwindet, damit es keinen Mangel an Arbeit gibt – denn wir bilden die Menschen so aus, dass sie eine haben können –, damit wir Christus in das Leben eines jeden Menschen bringen, in dem Maße, wie er es will, denn wir sind große Freunde der Freiheit.“ (Hl. Josefmaria, Una mirada hacia el futuro, Ansprache vom 1.10.1967, ed. Madrid 1998, S. 135) Mit allen den menschlichen Institutionen innewohnenden Grenzen versuchen die von den Gläubigen des Opus Dei vorangetriebenen kollektiven Einrichtungen, den Geist des Dienens auch im sozialen Bereich zu verkörpern und auszudrücken.
Bei eurer Tätigkeit kommen alle Dimensionen zusammen, die wir gerade erwägen: die geistliche Grundlage, die berufliche Arbeit und die Fürsorge für die Bedürftigen als Gruppe (soziale Nächstenliebe), bei der auch die Würde jedes Einzelnen gewahrt bleibt (persönliche Nächstenliebe). Auf diese Weise verbindet sich die nötige fachliche Kompetenz in einem Bereich, der eine immer stärkere Spezialisierung erfordert, mit dem christlichen Geist, der in Werken der Barmherzigkeit zum Ausdruck kommt. Man könnte sagen, dass diejenigen von euch, die diese Arbeit vorantreiben oder daran mitarbeiten, gleichzeitig Samariter und Gastwirte sein wollen.
Andererseits kann jedes kollektive Werk, und nicht nur solche, die direkt als „sozial“ wahrgenommen werden, eine explizite soziale Dimension haben, eine Sorge um die Umwelt, Ziele des Dienstes am Nächsten, eine Art der Verbindung mit den Armen, eine Absicht, die Welt mit Gott zu versöhnen ... Jedes kollektive Werk christlicher Inspiration (eine Schule, eine Universität, eine Handelsschule, ein Krankenhaus, ein Wohnheim usw.) muss, auch wenn seine unmittelbare Aufgabe nicht darin liegt, bedürftigen Gruppen beizustehen, in sein Ethos dieses zentrale Merkmal des Christentums, die soziale Nächstenliebe, integrieren.
In diesem Sinne ist es logisch, dass sich jedes kollektive Werk regelmäßig nach den praktischen und greifbaren Ausdrucksformen seines sozialen Beitrags und seines Dienstes an den bedürftigsten Menschen fragt. Dieser Beitrag ist eine natürliche Wirkung dieser Tätigkeit und nicht nur ein Zusatz.
Es ist angebracht, sich zu fragen: „Seitdem es diese Initiative gibt, auf welche sozialen Bedürfnisse versucht sie zu reagieren, wie hat sie die Umwelt verbessert?“ Der Herr bittet uns, dass wir aus der Phantasie der Nächstenliebe heraus bei jeder Arbeit über diesen Aspekt nachdenken.
Bereits am Horizont erkennbar: das hundertjährige Bestehen des Opus Dei (2028-2030)
Die kommenden Jahre bieten eine besondere Gelegenheit, den Dienst an den Bedürftigen auf persönliche oder kollektive Weise neu zu beleben und sich seiner Bedeutung in der Botschaft des heiligen Josefmaria bewusst zu werden. In diesem Zusammenhang sind die Ideen und Vorschläge derjenigen von Euch, die unmittelbar in diesem Bereich tätig sind, besonders wertvoll.
Zusätzlich zu den Themen, die ihr vorschlagen werdet, rege ich zwei mögliche Reflexionslinien an.
Zusammenarbeit mit anderen. Der heilige Josefmaria hat die Gläubigen des Werkes immer ermutigt, sich wie ein Fächer zu öffnen und mit vielen anderen Menschen, auch mit Nichtkatholiken und Nichtchristen, in Projekten des Dienstes am Nächsten zusammenzuarbeiten. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass die Verteilung von Ressourcen, die Migration, mangelnder Zugang zu Bildung, Wirtschaftskrisen, Pandemien und andere Herausforderungen immer mehr Menschen betreffen. Die gegenseitige Abhängigkeit der menschlichen Familie wird deutlich erkannt, und die Welt wird als ein gemeinsames Haus gesehen. Entwicklungsinstitutionen aller Art sind immer unverzichtbarer, und der Gedanke der Zusammenarbeit und der Koordination von Wissen und Anstrengungen gewinnt an Bedeutung. In einer Zeit, in der das Leiden in gewisser Weise global ist, sollten wir mehr denn je spüren, dass wir Kinder desselben Vaters sind.
Forschung und Studium. Durch eure Arbeit befindet ihr euch in einem Observatorium, von dem aus ihr zukünftige Trends erahnen könnt. Diese Position im Verein mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Entwicklung in verschiedenen Kulturen und Ländern ermöglicht es, spezifische Forschungs- und Studienbereiche zu entwickeln. Diese könnten zu Vorschlägen für bewährte Praktiken, zu Schulungsprogrammen für Freiwillige, zu Beratungstätigkeiten, zu Aufrufen zu Kongressen und Treffen in Kooperation mit thematisch oder regional ähnlichen Einrichtungen, zu Vereinbarungen mit akademischen Zentren zur eingehenden Untersuchung sozialer Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln und zur Kombination von Feldarbeit und akademischer Forschung führen. Diese Möglichkeiten erinnern an das Bestreben des heiligen Josefmaria, der die Christen „in ipso ortu rerum novarum“, am Ursprung des sozialen Wandels sah.
Ich möchte mit einigen starken und anregenden Worten des heiligen Josefmaria schließen: „Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die auf die Not und die Ungerechtigkeit nicht reagieren und sich nicht bemühen, sie zu lindern, sind nicht Mensch und nicht Gesellschaft nach dem Maße des liebenden Herzens Christi. Bei steter Wahrung eines weiten Freiheitsraumes bei der Ausarbeitung und Anwendung konkreter Lösungen und folglich innerhalb eines selbstverständlichen Pluralismus müssen die Christen in ihrem Eifer übereinstimmen, der Menschheit zu dienen. Sonst wäre ihr Christentum nicht das Wort und das Leben Jesu, sondern eine Maske und ein Betrug.“ (Christus begegnen, Nr. 167)
Mögen die Überlegungen, die ihr heute im Hinblick auf das hundertjährige Bestehen des Werkes anstellt, dazu dienen, diesen Aufruf unseres Gründers zu vertiefen und ihn auf spiritueller und persönlicher Ebene, in der beruflichen Arbeit und in allen sozialen und erzieherischen Initiativen zu konkretisieren, die auf die eine oder andere Weise von seiner Botschaft inspiriert sind. Auch auf dieses Gebiet können wir die Worte des heiligen Josefmaria anwenden: Alles ist getan, und alles ist noch zu tun. Sicherlich würde er uns ermutigen, weiter zu träumen.
(RK, Übersetzung aus dem Spanischen)