Betrachtungstext: 9. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Der Sinn des Sabbats – Ruhen und feiern – Den Sonntag in der Familie begehen

In der ersten Lesung der heutigen Messe hören wir die Worte des Herrn: Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, geboten hat! Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun (Dtn 5, 12-14). Das Heilighalten des Sabbats war für die Juden das zentrale Gebot des Gesetzes. Wer dieses Gebot nicht beachtete, griff das Herzstück der alttestamentlichen Religion an, nämlich den Gedenktag des geheimnisvollen „Ruhens“ Gottes nach den Tagen des schöpferischen Schaffens (vgl. Ex 20,11) und der Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens (vgl. Dtn 5,12-15), vor allem aber das Zeichen des Bundes Gottes mit seinem Volk. An diesem Tag versammelten sich die Frommen im Tempel von Jerusalem, wo Opfer dargebracht wurden und ein Gottesdienst mit Toralesungen und Gebeten stattfand. Außerhalb Jerusalems wurden diese Riten in der Synagoge abgehalten.

Mit dem Sabbatgebot lud Gott sein Volk dazu ein, sich an das großartige und fundamentale Gotteswerk der Schöpfung zu erinnern. „Dieses Gedächtnis soll das gesamte religiöse Leben des Menschen beseelen, um dann einzumünden in den Tag, an dem der Mensch zum Ruhen angehalten ist“, schrieb der heilige Papst Johannes Paul II. „Die Ruhe nimmt so eine typische religiöse Wertigkeit an: Der Gläubige wird eingeladen, nicht nur zu ruhen, wie Gott geruht hat, sondern im Herrn zu ruhen, während er ihm in Lobpreis und Danksagung, in kindlicher Innigkeit und bräutlicher Freundschaft die ganze Schöpfung zurückgibt.“1

Die ehrfürchtige Sorge um die Heilighaltung des Sabbats hatte jedoch ihre Kehrseite: Mit zunehmendem Formalismus und Rigorismus geriet der eigentliche Sinn des göttlichen Gebots in den Hintergrund. In ihrem Eifer regelten die Gesetzeslehrer die Einhaltung der Sabbatruhe bis ins kleinste Detail und erklärten neununddreißig Hauptarbeiten sowie je eine Fülle von Nebenarbeiten als Bruch des Gebotes. Dies ist der Hintergrund des Streitgesprächs Jesu mit den Pharisäern und Gesetzeslehrern im heutigen Evangelium.


JESUS wollte den heiligen Tag ganz sicher nicht abschaffen. Er sucht am Sabbat selbst regelmäßig den Tempel oder die Synagoge auf. Nun klagen jedoch die jüdischen Vorsteher, seine Jünger hätten den Tag durch ihr Ährenzupfen entehrt. Diese Beschwerde bietet Jesus eine Gelegenheit, den ursprünglichen Sinn des Gebots aufzuzeigen. Er überrascht die Beschwerdeführer mit der Aussage: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat (Mk 2, 27). Der Sabbat feierte die Freude Gottes über die Krönung der Schöpfung durch den Menschen sowie die Befreiung des Volkes aus der Sklaverei. Das hatten die Rabbiner vergessen. Es ging an diesem Tag darum, des Schöpfungs- und des Heilsplans Gottes für den Menschen zu gedenken. Und wie um seine Worte zu unterstreichen, scheut sich Jesus nicht, an einem der folgenden Sabbate geradezu demonstrativ direkt im Tempel eine Heilung durchzuführen.

Es handelt sich dabei um einen Mann mit einer verdorrten Hand, den niemand beachtet – außer Jesus. Jesus ruft ihn in die Mitte, um auf ihn aufmerksam zu machen. Steh auf und stell dich in die Mitte! (Mk 3,3). Und dann klopft er an die Herzen der Umstehenden und fragt laut: Was ist am Sabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? (Mk 3,4). Waren sie nach ihrem letzten Gespräch mit ihm in sich gegangen? Hatten sie untereinander über den Sinn des Sabbatgebots diskutiert? Die Vorsteher der Juden hüllen sich in Schweigen. Voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz (Mk 3,5) vollzieht Jesus die Heilung.

Der heilige Johannes Paul II. kommentierte diese Evangelienstelle einmal und wies auf ein wichtiges Detail hin. Denn zum Einen stand der Mann mit der verdorrten Hand tatsächlich auf und kam in die Mitte, zum Anderen streckte er – wie der Herr ihn anwies – die Hand aus (vgl. Mk 3,5). Der Papst betonte, dass uns der Evangelist damit sagt, „dass der Kranke nicht einfach Objekt der Heilkraft des Herrn ist, sondern dass die Heilung sich in der persönlichen Begegnung und durch die Mitwirkung des Kranken ereignet. Jesus begegnet dem Kranken als einem vollwertigen, Hilfe bedürftigen Menschen, und der Kranke begegnet in Jesus dem verheißenen Messias, dem menschgewordenen Gottessohn; er erfährt Heilung aus dem glaubenden Ja zu Christus.“2 Christus heilt nie, um bloß seine Macht zu demonstrieren. Jeder Heilung geht eine persönliche Begegnung und eine Berührung von Liebe und Glauben voraus. So ist es bis zum heutigen Tag. Der heilige Josefmaria schrieb: „Gott ist immer derselbe. – Was nottut, sind glaubende Menschen: Dann werden sich diese Wunder wieder ereignen, von denen wir in der Heiligen Schrift lesen. Ecce non est abbreviata manus Domini. Der Arm Gottes, seine Macht, ist nicht kleiner geworden!“3


DER Befreiungscharakter des Sabbats erklärt, so schrieb Johannes Paul II., „warum sich die Christen als Verkünder der im Blut Christi erfüllten Befreiung ermächtigt fühlten, den Sinn des Sabbats auf den Tag der Auferstehung zu übertragen.“ Und er fährt fort: „Das Pascha Christi hat den Menschen von einer viel radikaleren Versklavung befreit als jener, die auf einem unterdrückten Volk lastet: Die Sklaverei der Sünde, die den Menschen von Gott entfernt, entfernt ihn auch von sich selbst und von den anderen und hinterlässt in der Geschichte immer neue Keime der Bosheit und Gewalt.“4

Jahrhunderte lang erlebten die Christen den Sonntag nur als Tag des Kultes, erklärt der Papst, ohne dass sie zugleich die Sabbatruhe genießen konnten. Erst im 4. Jahrhundert verfügte die staatliche Gesetzgebung des Römischen Reiches, dass am „Tag der Sonne“ die Richter, die Bevölkerung der Städte und die verschiedenen Handwerkszünfte die Arbeit ruhen lassen konnten. Die Christen freuten sich. Damit waren die Hindernisse beseitigt, die die Einhaltung des Tages des Herrn manchmal zu einer heroischen Tat gemacht hatten. Nun konnten sie den Sonntag ungehindert gemeinsam feiern.

Die Hochschätzung des Sonntags im eigenen Lebensrhythmus ist heute wieder besonders wichtig, da sich vielerorts das Gespür für seine Bedeutung und seinen Sinn verflüchtigt hat. „Tun wir alles, um den Sonntag und die Feiertage in unseren Familien gut zu leben und so die Gemeinschaft unter uns und mit dem Herrn zu vertiefen!“, ermunterte Papst Franziskus einmal die nach Rom gekommenen Pilger. „Die sonntägliche Eucharistie bringt dem Festtag die ganze Gnade Jesu Christi: seine Gegenwart, seine Liebe, sein Opfer, seine Weise, uns Gemeinschaft werden zu lassen, sein Mit-uns-Sein … Und so bekommt jede Wirklichkeit ihren vollen Sinn: die Arbeit, die Familie, die Freuden und Mühen eines jeden Tages, auch das Leiden und der Tod; alles wird von der Gnade Christi verwandelt. Die Familie besitzt eine außerordentliche Kompetenz, den echten Wert der Zeit des Festes zu verstehen, ihr Orientierung zu geben und sie aufrechtzuerhalten. Wie schön sind doch die Feste in der Familie, sie sind wunderschön! Und insbesondere die Sonntage. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Feste, in denen Platz für die ganze Familie ist, am besten gelingen!“5 Maria, die Königin der Familien, möge uns helfen, in unseren Familien gerade an den Sonntagen Wege und Möglichkeiten zu finden, die die Erholung von Leib und Seele aller begünstigen.


1 Johannes Paul II., Dies Domini, Nr. 16.

2 Johannes Paul II., Predigt, 26.6.1988.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 586.

4 Johannes Paul II., Dies Domini, Nr. 63.

5 Franziskus, Audienz, 12.8.2015.

Foto: Nathan Dumlao (unsplash)