Betrachtungstext: 10. Woche im Jahreskreis – Donnerstag

Sich mit den anderen versöhnen – Die eigenen und die Schwächen anderer annehmen – Einen mütterlichem Blick haben

WENN DU DEINE Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lasse deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe (Mt 5,23-24). Das Altarssakrament, die Eucharistie, hat die Kraft, unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen zu verwandeln; Jesus bittet uns, zu lieben wie er, und bleibt unter den Gestalten von Brot und Wein bei uns, um diese Liebe zu ermöglichen. Der neue, mit dem Blut Christi besiegelte Bund macht uns fähig, uns mit jenen zu versöhnen, von denen wir uns entfernt haben.

Der heilige Josefmaria sagt: „Die Zuneigung, die ich zu euch habe, meine Kinder, ist keine trockene, offizielle Liebe; es ist wahre Liebe und fühlbare, menschliche Zuneigung, denn ihr seid mein Schatz.“1 Die Worte erinnern an die Aussage des heiligen Paulus: Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke (Eph 1,16). Papst Franziskus unterstreicht in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium, dass jeder Mensch unserer Hingabe würdig ist: „Nicht wegen seiner körperlichen Gestalt, seiner Fähigkeiten, seiner Sprache, seines Denkens oder der Befriedigung, die wir durch ihn erhalten, sondern weil er Werk Gottes, sein Geschöpf ist. Dieser hat ihn als sein Abbild erschaffen, und er spiegelt etwas von Gottes Herrlichkeit wider. Jeder Mensch ist Gegenstand der unendlichen zarten Liebe des Herrn, und er selbst wohnt in seinem Leben.“2

Mit anderen Menschen im Zwist zu liegen, entfernt uns auch von Gott, denn wir bieten ihm keinen Raum, damit sein Friede uns erfülle. Wir können den Herrn um die Bereitschaft der Heiligen bitten, in unseren Brüdern das Abbild Gottes zu erkennen, das Vereinigende immer über das Trennende zu stellen und die Hilfe dafür in der Kommunion und in einem klugen Berater oder Vermittler zu suchen.


JEDER DER seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein (Mt 5,22). Der Herr zeigt uns die Quelle beinahe aller Konflikte auf: unsere geringe Fähigkeit, für eigene wie für fremde Schwächen Verständnis aufzubringen. Dabei verbergen sich hinter einem allzu strengen Urteil über andere nicht selten unentdeckte eigene Fehler. Papst Franziskus weist darauf hin, dass „der ausgestreckte Zeigefinger und die Verurteilungen, die wir anderen gegenüber an den Tag legen, oft ein Zeichen unserer Unfähigkeit sind, unsere eigene Schwäche, unsere eigene Zerbrechlichkeit innerlich anzunehmen3.

Im Katechismus der Kirche finden wir einen sicheren Weg, um harten Urteilen zuvorzukommen: „Um nicht vermessen zu urteilen, soll jeder darauf bedacht sein, die Gedanken, Worte und Handlungen seines Nächsten soweit als möglich günstig zu beurteilen.“4 Jesus weist uns auf die Folgen hin, die das Unverständnis gegenüber anderen nach sich zieht: Wir verfangen uns selbst in den Urteilen, die wir fällen. Die Entfernung von Gott und unseren Mitmenschen ist die Strafe, die die Sünde in sich trägt.

Durch die Eucharistie erlangen wir Verzeihung für uns und die anderen. Jesus hat die Fehler aller auf sich genommen, unsere Mängel und Sünden – aus aufrichtiger Liebe zu uns. Wir sollten unsere Mitmenschen wie er nicht nur im Kopf haben, sondern auch ins Herz schließen.


„Auf dem Weg treffen wir unvermeidlich auf verletzte Menschen5, macht uns Papst Franziskus auf ein universales Phänomen aufmerksam. Wir sind selbst davon betroffen. Es ist unmöglich, in unserem eigenen Leben keine Verletzungen zu finden. Solche Verletzungen können jedoch Momente der Gnade sein, wenn wir die göttliche Antwort auf diesen Schmerz und dieses Leid entdecken lernen. Der heilige Josefmaria schrieb in einem Brief über den Balsam des Verständnisses: „Ich bitte euch, habt für eure Brüder, dem Beispiel des Herrn folgend, ein sehr weites Herz, das durch nichts zu erschrecken ist, versteht sie und liebt sie wahrhaftig. Ich liebe euch, wie eure Mütter euch lieben (...). Wenn ihr sehr menschlich seid, werdet ihr über kleine Fehler hinwegblicken und mit mütterlichem Verständnis stets die gute Seite der Dinge sehen.6

„Auch die Zunge muss gewandelt, muss geläutert werden. Die Zunge lässt die Musik, die im Herzen ertönt, nachklingen“7, gibt uns der Prälat des Werkes einen wichtigen Hinweis für die Praxis der Brüderlichkeit. Wenn wir es nicht erreicht haben, uns den verständnisvollen Blick Jesu zu eigen zu machen, wundert es wenig, wenn wir bis Tagesende eine Menge kritischer Urteile über andere angehäuft haben. Im Gebet und in der Gewissenserforschung können wir Gott bitten, er möge jede Kritik oder Klage von uns in Wünsche verwandeln, unsere Geschwister zu verstehen und sie so zu lieben, wie sie sind und nicht wie wir uns wünschen, dass sie sein sollten.

Eine Mutter ist nicht imstande, über eines ihrer Kinder schlecht zu denken, sie findet zu seiner Rechtfertigung immer eine Entschuldigung. Maria nimmt gegenüber einem jeden von uns genau diese Haltung ein. Wenden wir uns an sie, die liebenswürdige Mutter, damit sie uns hilft, für unsere Mitmenschen einen mütterlichen Blick zu haben.


1 Hl. Josefmaria, zitiert in Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Band III, Adamas, S. 362, Anmerkung 20.

2 Franziskus, Evangelii Gaudium, Nr. 274.

3 Ders., Patris Corde, Nr. 2.

4 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2478.

5 Franziskus, Fratelli tutti, Nr. 69.

6 Hl. Josefmaria, Brief 27, Nr. 35.

7 Mgsr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 95.