Betrachtungstext: 10. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Die Sünde entfernt uns von Gott und den anderen – Die billigen Glücksangebote – Die unverzeihliche Sünde

NACHDEM Adam und Eva von der Schlange verführt worden waren, erkannten sie ihre Nacktheit. Als Gott sich näherte, versteckten sie sich. Da rief Gott nach dem Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen? Der Mensch antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen (Gen 3,9-12). Adams Verhalten hat sich drastisch verändert. Als er Eva das erste Mal sah, jubelte er: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch (Gen 2,23). Doch jetzt distanziert er sich von ihr und beschwert sich beinahe beim Schöpfer: „Die Frau, die du mir zur Gefährtin gegeben hast“. Adam übernimmt keine Verantwortung, sondern schiebt die Schuld auf Eva: „Sie gab mir von dem Baum und ich aß.“

Die erste Folge der Sünde ist die Versklavung: Der Sünder ist, wie der heilige Josefmaria sagte, „ein Sklave dessen geworden, wofür er sich entschieden hat – und er hat sich für das Schlimmste entschieden, für die Abwesenheit Gottes“1. Sünde bedeutet einen Bruch mit Gott und den Mitmenschen. Genau das geschah bei Adam. Die Sünde führte dazu, dass er sich von jenen entfremdete, die er am meisten liebte. Er fürchtete sich vor Gott und versteckte sich; er entzog Eva sein Vertrauen, beschuldigte sie und distanzierte sich von ihr. Sünde entfernt uns von dem Glück, für das wir geschaffen sind, und zerstört unsere Harmonie mit Gott, uns selbst und unseren Liebsten.

Der heilige Josefmaria betrachtete die Sünde als das schlimmste aller Übel, das man „fürchten“ und „mit Gottes Gnade vermeiden“2 muss. Denn Sünde hält uns vom Glück ab, das aus der Beziehung zu Gott und unseren Mitmenschen entsteht. Er sagte: „Wir müssen ernsthaft und aufrichtig – in Herz und Verstand – einen Horror vor der schweren Sünde empfinden und die Haltung entwickeln, auch die lässliche Sünde zu verabscheuen. Denn sie schwächt die Kanäle, durch die uns die Gnade erreicht.“3


EIN WEITERER Effekt der Sünde ist, dass sie uns dazu bringt, unsere Hoffnungen auf materielle Dinge zu setzen. Wir beginnen zu glauben, dass Glück darin besteht, Reichtum anzuhäufen, Vergnügen zu erleben und intensive Erfahrungen zu machen. Doch selbst wenn diese Dinge uns kurzfristig ein Wohlgefühl verschaffen, bleibt unser Herz unzufrieden. Papst Franziskus sagte einmal an die Jugend gerichtet: „Wenn ihr das tiefste Streben eures Herzens wirklich zutage treten lasst, werdet ihr merken, dass in euch ein unstillbares Verlangen nach Glück wohnt. Das wird euch helfen, die vielen ,Billigangebote‘ um euch herum zu durchschauen und abzulehnen. Wenn wir Erfolg, Vergnügen und Besitz zu unseren Götzen machen, erleben wir vielleicht Momente des Rausches und eine trügerische Zufriedenheit, aber am Ende werden wir zu Sklaven, die nie zufrieden sind und ständig nach mehr streben. Es ist traurig, eine ‚satte‘, aber innerlich schwache Jugend zu sehen.“4

Alles, was Gott erschaffen hat, ist gut. Christliches Leben kann also nicht bedeuten, diese Dinge abzulehnen. Jesus genoss schöne Momente mit seinen Jüngern beim Essen (vgl. Luk 10,38-41) und wusste, dass Wein bei gesellschaftlichen Anlässen wichtig war (vgl. Joh 2,1-12). Das Problem liegt nicht im Essen oder im Genuss, sondern in unserer Beziehung dazu: Wenn wir diese Dinge überbewerten und wichtiger nehmen als unsere Beziehung zu Gott, die Liebe zum Partner, Freundschaften oder unsere Arbeit. Dann können wir irrtümlich denken, dass Reichtum oder Vergnügen das Glück ausgleichen können, das wir in den zentralen Aspekten unseres Lebens nicht finden.

Papst Benedikt XVI. sagte einmal: „Gott möchte, dass wir immer glücklich sind. Er kennt uns und er liebt uns. Wenn wir zulassen, dass die Liebe Christi unser Herz verwandelt, dann werden wir die Welt verwandeln können. Das ist das Geheimnis des echten Glücks.“5 Gott lädt uns ein, unseren Blick nicht auf das Oberflächliche und Vergängliche zu richten, sondern auf das, was uns wirklich erfüllt: die Gewissheit, dass wir von ihm bedingungslos geliebt werden. Der heilige Paulus schrieb: Wir blicken nicht auf das Sichtbare,sondern auf das Unsichtbare; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig (2 Kor 4,18). Christus zeigt uns, dass es möglich ist, von den materiellen Dingen nicht in Besitz genommen zu sein. Er kann uns helfen, das Unsichtbare in diesen Realitäten zu sehen und darin Gelegenheiten zu finden, an andere zu denken und Gott zu ehren.


WÄHREND seiner Zeit auf Erden zeigte sich Jesus barmherzig gegenüber allen Menschen. Er zögerte nicht, jedem die Sünden zu vergeben, der zu ihm kam und sich seiner Schwäche bewusst war. Selbst wenn die Menschen nicht ausdrücklich um Vergebung baten, erkannte Jesus in ihren Herzen die Reue und den Wunsch nach Veränderung. So machte Gott klar, dass unsere Fehler kein Hindernis für seine Nähe sind. Sie können vielmehr eine Chance sein, den Glauben neu zu entfachen, wenn wir sie demütig anerkennen und auf seine Barmherzigkeit vertrauen. Jedes Mal, wenn wir zur Beichte gehen, reinigt Jesus unsere Seelen und gibt uns die Gnade für einen Neubeginn.

Doch es gibt eine Sünde, die nicht vergeben wird: Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften (Mk 3,28-29). Einige Schriftgelehrte fielen in diese Haltung, weil sie die guten Werke Jesu dem Teufel zuschrieben. Diese Sünde blieb unvergeben, nicht weil Gott nicht alle Sünden vergeben könnte, sondern weil die Schriftgelehrten die Gnaden des Heiligen Geistes ablehnten und die Barmherzigkeit Gottes verachteten. Sie beanspruchten ein „Recht, im Bösen zu verharren“6.

Eine ähnliche Haltung kann auch entstehen, wenn wir unsere Sünden betrachten. Nach Jahren des Bemühens um Heiligkeit können wir das Gefühl haben, eher rückwärts als vorwärts zu gehen. Trotz unseres guten Willens spüren wir, wie unsere Kraft nachlässt, und glauben, dass Gott irgendwann müde wird, uns zu vergeben. Das ist das Wesen der Verzweiflung: aufzugeben, weil wir denken, dass Gottes Barmherzigkeit erschöpft ist. Doch Gottes Liebe hängt nicht davon ab, ob wir sie verdient haben oder nicht. Sein Wunsch, uns an sich zu ziehen, nimmt nicht ab; seine unendliche Liebe kennt keine Grenzen. Papst Franziskus predigte in diesem Sinn: „Das ist das unzerstörbare Innerste unserer Hoffnung, der glühende Kern, der das Leben aufrechterhält: Tiefer als unsere Begabungen und unsere Mängel und stärker als die Wunden und Misserfolge der Vergangenheit, stärker als die Ängste und Sorgen um die Zukunft, ist diese Wahrheit: Wir sind geliebte Kinder.“7 Durch die Jungfrau Maria, unsere Hoffnung, erreicht uns die bedingungslose Liebe, die ihr Sohn Jesus für uns hat.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 37.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 386.

3 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 243.

4 Franziskus, Botschaft, 21.1.2014.

5 Benedikt XVI., Ansprache, 24.3.2012.

6 Hl. Johannes Paul II., Dominum et Vivificantem, Nr. 46

7 Franziskus, Predigt, 24.12.2020.