In Arabien lernten wir den katholischen Glauben aus Büchern kennen

Manche Geschichten erschließen sich aus E-Mails, die die Protagonisten selbst geschrieben haben. Einige davon präsentiert Manuel Cejas im Buch „Warmer Nordwind“ über Christen aus Schweden, die sich an ihren Weg in die katholische Kirche erinnern – in diesem Fall auf Umwegen über die arabische Halbinsel.

Barbara Sahlstrom und ihr Kater "Tiger"

„Du hast mich darum gebeten, dass ich dir von unserem Leben erzähle. Wie du weißt, bin ich in Norrland geboren. Als ich fünf Jahre alt war, zog meine Familie nach Svealand, ins Zentrum Schwedens.

Nur am Weihnachtstag gingen wir in die Kirche

Unser Land ist sehr säkularisiert und das ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts so. Nur am Weihnachtstag gingen wir zur Kirche. Sie war dann mit Blumen geschmückt und wir sangen alte Hymnen wie Tochter Zion[1] und immer auch Stille Nacht.

Wir hatten einen jungen Pastor, der die klassische Kirchenmusik sehr liebte und mich zu singen bat, und einen wunderbaren Organisten, der Mendelssohn, Schubert und (vor allem!) Bach spielte. Mit acht Jahren hatte ich mein Gesangsdebut in der Kirche mit dem Ave Maria von Schubert.

Mit fünfzehn Jahren studierte ich in Västeràs Gesang bei Birgitta Samuelsson, in Uppsala bei Marianne Eriksson. Dann studierte ich in Malmö bei Nils Bäckström, der in den großen Opern Europas gesungen hatte und wirklich ein Herr war. Er sang sogar die Titelrolle in Rigoletto, zusammen mit dem Tenor Jussi Björling, der in den 60iger-Jahren starb.

Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben, den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn! Deine Wangen Müssen heut viel schöner prangen, Eile, den Bräutigam sehnlichst zu lieben! J.S. Bach

In Uppsala lernte ich Arne kennen

Während meiner ersten Kurse in Uppsala fühlte ich mich sehr allein, bis ich Arne kennenlernte, als Jungen von 20 Jahren, der englische und französische Literatur studierte, bevor er dann mit Medizin begann. Er war der Älteste von vier Brüdern einer protestantischen Familie, die ebenso wenig praktizierte wie meine. Wir waren uns in vielen Dingen einig: Wir liebten beide sehr die klassische Musik und hatten oft die gleiche Meinung.

Wir waren beide gegen Abtreibung – als eine der wenigen, die so dachten
Als man zum Beispiel in der Universität Abtreibung befürwortete, waren wir beide dagegen. In Schweden gab es sehr wenige Leute, die so dachten. Unsere Weigerung kam nicht aus religiösen Gründen (wir glaubten an Gott, praktizierten aber nicht), sondern wir waren überzeugt davon, dass Abtreibung in jeder Hinsicht schlecht ist: wissenschaftlich, ethisch und menschlich gesehen.
Wir heirateten und lebten an verschiedenen Orten

Wir heirateten und lebten an verschiedenen Orten in Schweden und Dänemark. Arne spezialisierte sich zuerst in Uppsala und danach in Malmö, bis er als Chirurg Experte in neuesten Techniken war. Ich war jahrelang Professorin für Gesang in Malmö und Chormitglied des symphonischen Orchesters.

Meine Mutter hielt den Papst der Katholiken für einen besonderen Mann
Im Juni 1989 kam Johannes Paul II. drei Tage lang nach Schweden. Arne und ich kannten ihn aus der Presse, wussten aber nicht allzu viel über ihn, im Gegensatz zu meiner Mutter, die sich schon seit vielen Jahren für den katholischen Glauben interessierte und die eine besondere Gabe hatte, Menschen einzuschätzen. Sie sagte mir, er sei ein ganz außergewöhnlicher Mann und noch einiges mehr, was mich überraschte, da es sich um den Papst der Katholiken handelte, die ich zwar respektierte, auf die ich aber nie sonderlich geachtet hatte.

Ich blieb bei meinem Mann, der beruflich nach Saudi-Arabien gehen konnte

Die Jahre gingen dahin. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts eröffnete ein Freund Arne die Möglichkeit, in Saudi-Arabien zu arbeiten. Ich wusste, dass ich dann sehr viel allein sein würde, aber ich war bereit dazu, weil dies beruflich ein sehr interessantes Angebot war. Außerdem konnte ich durch einen Fernseher mit Satellitenantenne mit der westlichen Welt in Verbindung bleiben

In Saudi-Arabien wurde mit zweierlei Maß gemessen

Ich möchte dir von Saudi-Arabien erzählen, wo wir im Juli 2001 gelandet sind. Wir waren sehr überrascht über die Intoleranz, die dort herrschte. Verboten war jegliches religiöse Zeichen, das nicht zum Islam gehört. Nicht einmal im Internet durfte man Programme einer anderen Religion öffnen. Während die dortigen Führer Moscheen in der ganzen Welt finanzieren und erbauen lassen, darf in ihrem Land keine einzige Synagoge oder Kirche errichtet werden, ob protestantisch, katholisch, orthodox oder anders. Zudem gibt es die ‚mutawa‘ (die Sittenpolizei), die darüber wacht, dass keine religiöse Versammlung stattfindet, die nicht islamisch ist.

Da ich vor allem daheim blieb, schaute ich mir religiöse Programme an
Die Hitze dort war unerträglich. Da ich also wenig auf die Straße ging und niemanden kannte, hatte ich viel Zeit und begann, im Internet religiöse Programme zu suchen (anfangs aus Lust am Verbotenen); und ich fand EWTN von Mutter Angelika. So sah ich jeden Tag Programme, in denen vom Katholizismus die Rede war, der meine Mutter so interessiert hatte, und ich kommentierte die Sendungen oder sah sie noch einmal zusammen mit Arne.

Die Glaubensentdeckung kam aus der Enzyklika „Spe salvi“ von Benedikt XVI.

Sie waren für uns beeindruckend. Nie zuvor hatten wir so viel von der unendlichen Barmherzigkeit Gottes gehört, von der Liebe eines Gottes, der uns ganz nahe ist, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, die Dreifaltigkeit, die in unserer Seele lebt. Bis dahin hatten wir uns Gott in weiter Ferne vorgestellt. Und wir entdeckten auch das Fegefeuer. Die Enzyklika Spe Salvi, Gerettet in der Hoffnung von Benedikt XVI. war wie Balsam für die Seele. Sie zeigte uns eine ganz andere Perspektive vom Glauben. Und wir entdeckten die katholischen Wurzeln Schwedens.

Wir wurden als Folge der Terroranschläge vom 11. September als Feinde angesehen
Als ich am 11. September 2001 mit dem Auto für Einkäufe ins Stadtzentrum fuhr, traf ich an einer Ampel einen Kollegen Arnes, der mir sagte: ‚Barbara, weißt du nicht, was passiert ist?‘ Mir war (ohne zu übertreiben) nicht klar, dass alle Welt von den Terroranschlägen in New York wusste! Als ich in die Geschäfte kam, bemerkte ich die eigenartige Atmosphäre. Alle Frauen dort – mit ihren Kopftüchern – telefonierten mit ihren Handys. Ein paar Kinder riefen: „Amerikaner raus!“ Ich fuhr sofort nach Hause. Außer dass Kinder mit Steinen nach unserem Wagen warfen, geschah mir nichts. Wir riefen den Botschafter an. Er sagte, wir sollten vorsichtig sein, besonders freitags. Es kamen Gerüchte auf und unangenehme Dinge geschahen, die im Westen nicht veröffentlicht wurden. Wir wurden als Feinde der Muslime betrachtet, obwohl wir niemandes Feinde sind, noch jemals waren.

In Bahrain bekamen wir von Übergriffen mit, die in unserem Haus geschahen

Da wir uns nicht mehr sicher fühlten, zogen wir gen Osten nach Bahrain, als Arne dort eine Stelle angeboten bekam. In Bahrain sahen wir im Fernsehen, dass Radikale in Saudi-Arabien in das Gebäude eingedrungen waren, in dem wir gewohnt hatten, bevor wir dort ausgezogen waren. Sie hatten drei Sicherheitsleute umgebracht. Die Radikalen sind in die Häuser der Ausländer eingebrochen, haben geschrien: ‚Bist du Christ oder Moslem?‘ und haben einigen Menschen die Kehle durchgeschnitten. Wir waren wie versteinert bei dem Gedanken, dass uns dasselbe hätte passieren können, wenn wir dort geblieben wären.

In Bahrain wurde mit 3000 Christen am Freitag die Sonntagsmesse gefeiert
Von Bahrain zogen wir nach Dubai. Dort fanden wir die Kirche des heiligen Franziskus. Die Sonntagsmesse wurde freitags gefeiert, weil die anderen Tage Werktage waren[2]. Dorthin kamen ungefähr dreitausend Personen aller Rassen: Europäer, Afrikaner, Philippinen … Wir lernten einen Kapuziner kennen, den Pater Eugene Mattioli, der uns sehr geholfen hat auf unserem Weg zum Katholizismus.

Es war ein schöner Weg, denn alles zog uns an. Besonders gefiel uns die Bedeutung, die im Katholizismus der Beziehung zwischen Glauben und Vernunft gegeben wird. Arne ist Wissenschaftler und ich, als Mezzosopranistin, weiß, dass man mit Gefühl singen muss. Aber mit Gefühl allein singt man noch nicht gut, man muss studieren, überlegen, lernen, üben, nachdenken …

Wir entdeckten die Fundamente der Zivilisation im Christentum
Als wir die Geschichte der katholischen Kirche kennenlernten, war es für uns eine fantastische Entdeckung, zu sehen, wie dank des Christentums ein großer Teil der Fundamente der westlichen Zivilisation gelegt wurde. Die Kirche gründete die ersten Universitäten, die Krankenhäuser … und vor allem verbreitete sie die Nächstenliebe, nicht bloß in der eigenen Familie, wie es vor Beginn des Christentums der Fall war, sondern für alle. Dank der Kirche verbreitete sich, dass Männer und Frauen gleich sind an Würde.

Die Wertschätzung der Frau hat etwas zu tun mit der Verehrung der Muttergottes
Wir begriffen etwas, das uns vorher schon aufgefallen war, als wir in den Achtzigerjahren in Rom waren. Ich wunderte mich darüber, dass sich die Frauen den Männern gleich fühlten, aber nicht etwa, weil sie sie nachgeahmt hätten, sondern in all ihrer Weiblichkeit und Würde als Frauen, Töchter und Mütter, als geliebte Töchter Gottes. Als wir in Rom waren, wussten wir fast nichts vom Katholizismus, aber ich erinnere mich daran, dass Arne mir sagte, diese Wertschätzung der Frauen müsse mit der Liebe und Verehrung der Muttergottes in den katholischen Ländern etwas zu tun haben. Ich hörte von einem Priester: Ohne Maria fangen die Männer an, die Frauen so zu behandeln, als wären sie ihre Kumpel, denen sie auf die Schultern schlagen ‚on the way to the pub‘[3].

In Dubai kaufte ich alle denkbaren Büchern über Jesus, die Muttergottes, die Kirche

Und dann war da das Beispiel der Heiligen: Edith Stein, Maximilian Kolbe, Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz, Damian von Molokai … Es gab eine polnische Frau, die mich sehr beeindruckte, aber wirklich sehr! – die heilige Faustyna Kowalska. In Dubai kaufte ich bei Amazon A Diary: Divine Mercy in My Soul[4] und viele Bücher und DVDs über Jesus, die Muttergottes, die Kirche. Die Heiligen zogen mich auch in Richtung des Krankenhauses, in dem Arne arbeitete…!

Das Pontifikat von Benedikt XVI. war für uns ein Segen

2005, ein Jahr, bevor wir in die katholische Kirche aufgenommen wurden, wurde Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt. Für uns war das Pontifikat Benedikts XVI. ein wahrer Segen! Uns fehlen die Worte, unseren Dank auszudrücken. Seine theologischen Kenntnisse, seine Ausdrucksweise, seine enorme Demut, seine Einfachheit, seine Kenntnisse der Liturgie sowie der liturgischen Musik und der Kirchenmusik, seine wunderbaren Bücher et cetera, darin sahen wir die Hand Gottes. Ich arbeitete mich mehr in den liturgischen Gesang ein, der der Lehre des Psalms folgt: Singt mit Weisheit (auf Latein: psallite sapienter). Die Liturgie braucht den Gesang, nicht nur wegen der Ästhetik, denn die Worte haben eine starke Ausdruckskraft, aber wenn sie gesungen werden, noch mehr; denn man versucht, das Unsagbare auszudrücken.

Ich wartete auf Arnes Wunsch, katholisch werden zu wollen

Eines Tages sagte Arne mit lauter Stimme das, was ich seit einiger Zeit schon hören wollte: ‚Ich möchte katholisch werden!‘ Im Endeffekt waren es viele Menschen, die uns auf unserem Weg geholfen haben wie Anders Arborelius, unser schwedischer Bischof, und die Priester des Opus Dei. Es gefällt uns, wie sich diese Leute vom Opus Dei verhalten, die niemanden ausschließen, ob er katholisch ist oder nicht. Wir verehren sehr den heiligen Josefmaria und den seligen Alvaro. Immer, wenn wir können, gehen Arne und ich zu den Einkehrtagen, die es dort für Männer und Frauen gibt; denn sie tun uns gut.

Auch die lutherische Kirche öffnet sich für die Muttergottes

Heute Nachmittag habe ich beim Rosenkranzbeten auf der Terrasse darüber nachgedacht, wie wichtig die Muttergottes in unserem Leben gewesen ist. Und ich habe an ihre Demut gedacht. Sie stand nie in der ersten Reihe. Und ich dachte auch an ihre Treue, die ein Vorbild für uns Christen alle ist. Jetzt öffnet sich die lutherische Kirche (die ich sehr liebe, denn in ihr wurde ich getauft) mehr und mehr für die Muttergottes. Aber zur Zeit unserer Kindheit und als wir Studenten waren, verschwand sie völlig nach dem Fest der Geburt Jesu. Es war wunderschön, als wir ihre Bedeutung entdeckten; denn niemand kannte Jesus besser als sie!

Arne und ich lieben auch den heiligen Josef sehr, den Pflegevater Jesu. In unserer heutigen Gesellschaft, in der es so viel Verwirrung gibt und Probleme in den Familien, ist er als ‚role model‘[5] für alle ganz wichtig, besonders für junge Menschen.“

Die E-Mail endet mit: „Kind regards from lovely Denmark[6], Barbara und Arne.“

Auszüge aus Mails, die Arne Sahlstrom und seine Frau Barbara nach einem persönlichen Treffen dem Autor schickten.

[1] Tochter Zion, freue dich, denn der Herr ist mit dir.2] Wegen der besonderen Umstände in diesem Land mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung kann das Sonntagsgebot freitags, samstags und sonntags erfüllt werden.[3] „auf dem Weg zur Kneipe“, könnte man übersetzen.[4] Tagebuch, „Die göttliche Barmherzigkeit in meiner Seele“.[5] In diesem Zusammenhang: “nachahmenswertes Vorbild".6] Herzliche Grüße aus dem schönen Dänemark.

Warmer Nordwind: Lebenszeugnisse von Christen in den nordischen Ländern / José Miguel Cejas ; aus dem Spanischen von Helga Kegel und Janni Büsse, fe-Medienverlag, Kisslegg 2018 (mit freundlicher Genehmigung)