Vater in der Welt

Josemaria Escriva de Balaguer, Gründer des "Opus Dei", wurde in Rom heiliggesprochen / Von Heinz-Joachim Fischer

ROM, 6. Oktober. Vor der Villa Giulia bildete sich eine lange Schlange. Doch die Menschen, ordentlich in Reih und Glied, unterschiedlich nach Alter, Sprache oder Hautfarbe, gut gekleidet mit Krawatte, lässig in Jeans, wollten nicht in das berühmte Etrusker-Museum in Rom, sondern in die nahe Kirche Sant' Eugenio. Dort war seit Donnerstag der Leichnam des Josemaria Escriva de Balaguer aufgebahrt, des spanischen Priesters, der, 1902 geboren, am 26. Juni 1975 in Rom gestorben, im Jahre 1928 das "Opus Dei" gegründet hatte. Am Sonntag sollte er von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen werden. Einen letzten Blick auf den "Vater" wollten die "Söhne und Töchter" werfen, Mitglieder und Sympathisanten dieses "Werkes Gottes", einer Organisation von engagierten katholischen Laien unter der geistlichen Führung von Priestern. Der Glaubensgemeinschaft mit jetzt 84.000 Mitgliedern in mehr als 100 Ländern wird vor allem vorgeworfen, gut katholisch zu sein. Zu gut katholisch, sagen die vornehmeren Kritiker; Sektierer, Mafiosi, gefährliche Fundamentalisten, mittelalterliche Integralisten werden ihre Anhänger von den weniger Zurückhaltenden genannt.

So furchterregend war der Ruf des Opus Die, daß vor Jahren Katholiken in Köln trotz Priestermangels einen Pfarrer aus dem "Werk" offenbar mehr fürchteten als den Teufel. Immer wieder durchziehen bange Fragen die Kirche, wieviel Macht das Opus Dei schon errungen, wie viele Bischöfe und Kardinäle es sich unterworfen habe. Bundestagsabgeordnete bangten um die Sicherheit der Republik ob der angeblichen Umtriebe dieses geheimnisvollen Laien- "Ordens" und wollten ihn wie eine zwielichtige kriminelle Sekte untersuchen und beobachten lassen. So kann man sich irren, . wenn man es will.

Solche Vorwürfe oder Zweifel bekümmern die Mädchen und Jungen, Männer und Frauen in der Schlange wenig. Und noch weniger am Sonntag, als aus den Hunderten des "letzten Grußes" Hunderttausende geworden sind, dicht gedrängt auf dem Petersplatz und in der Via della Conciliazione bis zur Engelsburg. Unter strahlend blauem Himmel, vor der unvergleichlichen Fassade und Kuppel von Sankt Peter, umfangen von den Kolonnaden des Bernini und den Pylonen der Prachtstraße, mithin der schönsten Kulisse des religiösen Welttheaters, beförderte Johannes Paul II. kraft seiner geistlichen Vollmacht Josemaria Escriva, den Seligen von 1992, zum Heiligen. Viele Heilige gibt es in der katholischen Kirche, berühmte und weniger bekannte. Nun, nach der liturgischen Formel der Kanonisation durch den Papst, ist der Spanier einer von ihnen. Damit hat ihn Johannes Paul II. nicht nur persönlich für ein tugendhaftes, christliches Leben als Priester und "Menschenfischer" - so das Evangelium der feierlichen Messe - geehrt und zur allgemeinen Verehrung durch die Gläubigen in der Weltkirche empfohlen. Der Papst hat den spanischen Priester damit auch als Vorbild allgemein anerkannt und dessen "Weg", wie wiederum der Titel des Weisungsbuches des Opus-Gründers lautet als gültige und nachahmenswerte Verwirklichung des christlichen Glaubens gutgeheißen. Gut katholisch eben.

Unter den rund 300.000 Gläubigen auf dem Petersplatz, zu Füßen des Papstes und Hunderter Kardinäle und Bischöfe sowie der Vertreter anderer Religionsgemeinschaften, waren auch deutsche Mitglieder und Anhänger des Werkes. Aus Köln, aus Berlin, aus München zum Beispiel. Von den "Schwestern und Brüdern", den Priestern, den "Eingeschriebenen", den "Numerarii" (Unverheirateten) und "Supernumerarii" (Verheirateten) unterscheiden sie sich ein wenig durch die etwas kühlere Art ihrer Begeisterung und Religiosität - was sie aber im Vergleich zu den Spaniern oder Afrikanern nicht stolz hervorheben, sondern nur beiläufig feststellen -, vor allem aber durch ein höheres Problembewußtsein. Als "Personal-Prälatur" ist das Opus Dei seit 1982 unter einer unabhängigen zentralen Führung von Rom aus gleichsam eine Weltdiözese. Der Regionalvikar des Opus Dei für Deutschland, der 48 Jahre alte Mediziner und Theologe Christoph Bockamp, und die ihm Anvertrauten Wissen natürlich, was man dem Opus Dei anlastet, und zwar innerhalb der Kirche und in der deutschen Gesellschaft. Aber sie haben sich daran gewöhnt, weil es gar nicht anders sein kann, so wie die Gesellschaft nun einmal verfaßt ist. Manchmal denken sie im stillen, ob Kritik und heftige Schmähung nicht auch Interesse wecken könnten.

Daß die. "Werk"-Leute nicht um jeden Preis die Übereinstimmung suchen, müsse in einer Konsensgesellschaft auf Vorbehalte stoßen, sagen sie. Daß sie klare Überzeugungen und persönliche Sicherheiten haben und diese nicht jedem Zweifel preisgeben, sondern auch gegen Widerstand hegen und pflegen, falle auf unter den Beliebigkeiten des öffentlichen Jahrmarkts.

Wie sie zum Opus gekommen sind? Auf verschiedenen, zuweilen auch verschlungenen Wegen. Aber allen gemeinsam ist wohl, daß sie früher oder später ein Ungenügen an den gängigen Lebensmodellen verspürten, daß ihnen das Beliebige in allen Lebenslagen von der Wiege bis zur Bahre zu beliebig für ihr Leben schien. Sie sind es Zufrieden, mit der bewährten Tradition der katholischen Kirche nicht die schlechteste menschliche Weisheit sich ausgewählt zu haben. An diesem Sonntag sind sie nur noch stolz darauf, daß ihr Gründer und Vater nicht mehr der Geächtete unter den kirchlichen Vorbildern ist, sondern als Heiliger gleichberechtigt neben anderen steht. Andere Glaubensmodelle und Vorbilder in der Kirche würden dadurch nicht angegriffen. Der neue Heilige des Opus ist für viele Katholiken eine Herausforderung, Aufforderung zu lebendigem Glauben. Die Hunderttausenden vom Sonntag haben das ganz friedlich bestätigt.

Frankfurter Allgemeine Zeitung