Unter der Schneedecke wachsen die Pflanzen nach innen

„Unter der Schneedecke sah man die Pflanzen nicht. Der Bauer, dem das Feld gehörte, sagte vergnügt: ‚Jetzt wachsen sie nach innen.‘ Ich musste an dich denken, an deine notgedrungene Untätigkeit. Ob du wohl auch nach innen wächst?“ (Der Weg, 294).

Der hl. Josefmaria Escrivá, gezeichnet von den Entbehrungen des Bürgerkriegs, und der selige Alvaro de Portillo.

„Es ist gut, uns daran zu erinnern, dass der Herr uns seine Gnade gibt, um uns auch in solchen Situationen der Ungewissheit heiligen zu können. Helfen wir einander, realistisch zu sein, wohl wissend, dass wir, wenn wir gezwungen sind, die Arbeit nach außen zu reduzieren, die Gelegenheit haben, nach innen zu wachsen“ , schrieb der Prälat des Opus Dei, Fernando Ocaríz in seinem pastoralen Brief anlässlich der Coronakrise am14. März.

Der hl. Josefmaria kann uns in diesen Wochen der Pandemie ein besonderer Helfer sein. Denn auch er hat Härten dieser Art erlebt. Die äußeren Umstände waren damals andere – es war die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) –, doch die Isolation, der Freiheitsentzug, die Unsicherheit bezüglich der Zukunft hat auch er durchgemacht. Dazu kamen noch Hunger und Entbehrungen und die Last der Verantwortung für jene jungen Menschen, die sich dem Opus Dei bereits angeschlossen hatten. Zudem war er als Priester aufgrund der damaligen Religionsverfolgung in ständiger Lebensgefahr und gezwungen, sich an halbwegs sicheren Orten zu verstecken. Das war nicht leicht.

Der hl. Josefmaria und seine Gefährten lebten im Bürgerkrieg monatelang zu sechst auf 10m².

So fand er mitten in diesen Wirren von April bis Ende August 1937 für fünf Monate Zuflucht im Konsulat von Honduras in Madrid, das einen gewissen Schutz vor der Verfolgung bot. Zeitweilig waren bis zu 100 Asylanten in dem zweistöckigen Konsulat auf engstem Raum untergebracht. Gemeinsam mit seinem damals 18-jährigen Bruder Santiago und vier Studenten, die bereits dem Opus Dei angehörten, durften sie im Erdgeschoß bleiben. Mehrere Wochen verbrachten sie zunächst auf der Diele. Dort hielt ihnen der hl. Josefmaria ganz in der Früh, während die anderen noch schliefen, immer wieder eine Betrachtung, um sie in ihrer Gottesbeziehung zu stärken. Nachts schliefen sie unter dem Speisezimmertisch.

Eine Skizze vom Lagerraum des Konsulats, in dem der hl. Josefmaria mit vier Mitgliedern des Opus Dei fünf Monate verbrachte. Seiner jüngerer Bruder Santiago schlief an seiner Seite.

Anfang Mai wurde ihnen ein kleiner Raum zugewiesen, der keine Möbel hatte und vermutlich normalerweise der Lagerung von Kohle diente. Sie waren dort zu sechst auf einem 9 bis 10 m² engen Raum zusammengepfercht, genossen dafür aber eine gewisse Unabhängigkeit. Der selige Alvaro del Portillo war einer von ihnen. Er hielt in einigen Skizzen das Leben dieser Wochen fest. Beim Schlafen nutzten sie die geringe Raumfläche optimal, tagsüber rollten sie ihre Schlafmatten ein, um Ordnung zu halten.

Es war ein angespanntes, schwieriges Leben für all die Männer, Frauen und Kinder, die im Konsulat als Asylanten Zuflucht gefunden hatten. Es gab kaum Essen, keine Betten, nur dünne Schlafmatten und ein einziges Badezimmer für alle. Die einzigen „Ausgänge“, die es in den fünf Monaten gab, bestanden darin, in die Halle des Hauses oder den Flur entlang zu gehen und sich mit anderen Gestrandeten zu unterhalten. Eine prekäre Situation, anfällig für Angst, Apathie, Streit und Missgunst. „Letztendlich kannten fast alle Flüchtlinge nur noch zwei zwanghafte Empfindungen: Hunger und Angst“ 1.

Die Unterhaltungen mit dem hl. Josefmaria waren tröstlich und glaubenserfüllt, Balsam für das Herz all jener, die mit ihm waren.

Nichts von alledem im Raum, in dem der 35-jährige Escrivá und seine Gefährten lebten. Man nannte sie „die Flüsterer“: Denn aus diesem Raum war weder Streit, noch ein lautes Wort zu hören, sondern eine ruhige, gelassene, ja geradezu friedvolle-heitere Stimmung. Die Kammer war beseelt von der menschlichen und übernatürlichen Größe des hl. Josefmaria. 2 Die Anwesenheit des Priesters war wohltuend und verbreitete Gelassenheit. Die Unterhaltung mit ihm war tröstlich und glaubenserfüllt, Balsam für das Herz jener, die mit ihm waren. Menschlich gesehen waren sie hier als verheerende Folge des Krieges gestrandet, sie betrachteten es jedoch als ein Geschenk des Himmels. Einer der Zimmergefährten des Gründers drückte es so aus: „Manchmal sehnten wir uns danach, jene Situation möge nie enden! War uns je etwas Besseres als das Licht und die Wärme jenes Winkels zuteilgeworden? Diese Reaktion, abwegig unter den äußeren Umständen, war aus unserer Sicht nur logisch, weil Folge des inneren Friedens und Glücks, die wir Tag für Tag spürten."

Das Titelbild zeigt den hl. Josefmaria Escrivá, gezeichnet von den Entbehrungen des Bürgerkriegs, und den seligen Alvaro de Portillo.

Der Gründer achtete bei seinen Schützlingen von Anfang an auf einen geordneten Tagesplan und eine sinnvolle Zeitausnützung. Dies stand im krassen Gegensatz zum sonstigen Leben im Konsulat: Die Niedergeschlagenheit versetzte die Menschen in einen Zustand tiefer Apathie, in einer solchen Situation fehlte es ihnen sogar an der Kraft, die Zeit totzuschlagen. Die Stunden des Tages vergingen unerträglich langsam und überzogen die Betroffenen mit Überdruss und Leere … es kam immer wieder zu Zwistigkeiten und Klagen oder Beschuldigungen (…). Ihr Bewusstsein war wie eingetrübt, sie kreisten nur um ihre eigenen Sorgen (…) und einige verloren dabei regelrecht den Verstand 3.

Das zentrale Thema seiner Betrachtungen war immer Jesus Christus: Wie kann ich mich inniger mit Ihm verbinden?

Das Leben in dem kleinen Zimmer jedoch verlief friedlich. Der Tagesablauf war gut geregelt: Sie standen früh auf und hatten einen Turnus für die Nutzung des Bades festgelegt. Anschließend hielt der hl. Josefmaria eine Betrachtung und feierte trotz der Umstände die heilige Messe. „Das zentrale Thema der Betrachtungen war immer Jesus Christus: Wie kann ich mich inniger mit Ihm verbinden, wie kann ich die Liebe zu Ihm besser leben, Ihm mehr Freude machen. Escrivá erklärte ihnen mit Nachdruck, dass sie mit großem Vertrauen und mit Beharrlichkeit beten müssten, wissend, dass Gott das Gebet immer erhört“. 4

Zum Frühstück gab es eine Tasse Tee. Den Vormittag über hatte jeder einen konkreten Arbeitsplan. „Am Vormittag verwandelte sich das Zimmer in einen Studierraum, wo Fremdsprachen erlernt und geübt wurden“. Der selige Alvaro beispielsweise begann in dieser Zeit Japanisch und Deutsch zu lernen 5. Immer wieder ließ Bischof Alvaro bis ins hohe Alter bei seinen Pastoralbesuchen als Prälat des Opus Dei in Österreich und Deutschland deutsche Vokabel einfließen, die er wohl damals gelernt hatte. Der Gründer selbst erledigte in der erzwungenen Zeit des Stillstands seine umfangreiche Korrespondenz. Er schickte täglich den Seinen Briefe mit humorvollen situativen Schilderungen, mit Nachrichten, Aufträgen, geistlichen Anregungen und praktischen Ratschlägen für das tägliche Leben“ 6.

Sein Humor steckte die anderen an. Er nannte das kleine Zimmer scherzhaft „Hundehütte“.

Zu Mittag gab es etwas Brot und eine Reissuppe, manchmal mit etwas Linsen angereichert. Am Nachmittag saßen sie eine Weile zusammen und unterhielten sich, erzählten launige Geschichten, machten Scherze… Die innere Energie, und der Humor des Gründers steckte alle an, sodass in seiner Nähe weder Platz für Unruhe noch Pessimismus war. Er nannte das kleine Zimmer scherzhaft „Hundehütte“, den Flur auf dem es während des Tages sehr geschäftig zuging, „Grillenkäfig“ … „Seine Gesellschaft war so beglückend, selbst unter solch extrem widrigen Umständen, so dass ein Mitglied des Werkes es einmal spontan auf den Punkt brachte, was alle dachten: „Das kann nicht lange so weitergehen, es ist einfach zu schön!“ 7

„Seine tiefe Verbundenheit mit Christus, ließen durch manche seiner Betrachtungen auch auf mystische Erfahrungen schließen: So hielt der hl. Josefmaria die Betrachtungen oft in der Ich-Form und riet uns: Sprechen wir mit ihm, wie wir mit unserem besten Freund sprechen würden, voller Vertrauen, Herzlichkeit, wie Brüder, wie Kinder: Jesus, Dich sehen! Mit Dir sprechen! In Deiner Anschauung verharren, eingetaucht in deine unfassbare Schönheit, und nie, nie aufhören, Dich zu betrachten! O Christus, wer könnte dich sehen und nicht verwundet werden von deiner Liebe, nicht berauscht werden von ihr und getragen von dieser Liebe …“ 8

Trotz der Entbehrungen unterließ er seine gewohnten Bußübungen nicht, gab bei den kargen Mahlzeiten diskret seinen Teil an die jungen Burschen, verzieh und lehrte zu verzeihen: Der Schwiegersohn des Konsuls beschreibt es aus seiner Sicht „Er war natürlich sehr besorgt, aber gleichzeitig stand er über der Situation. Nie sind über seine Lippen Hass oder Groll gegenüber den Verantwortlichen gekommen. Ihn schmerzte, was geschah, aber nicht nur aus menschlichen Beweggründen. Wenn wir einen militärischen Sieg feierten, dann schwieg Don Josemaria“ 9. Diese Berichte zeugen von der menschlichen und übernatürlichen Reife des hl. Josefmaria, der jedem von uns, wenn wir ihn darum bitten, auch die Hilfe geben wird: dass auch wir unsere derzeitige Situation nützen, um nach innen zu wachsen.


1 Vazquez de Prada, A., Eine Biographie: Die frühen Jahre, Köln, Adamas, 2001, Band 2, S.81

2 Ebd. S.87

3 Ebd. S.81

4 Gónzalez Gullón, J. L., Escondidos. El Opus Dei en la zona republicana durante la Guerra Civil española (1936-1939), Ediciones Rialp 2018, S.6

5 Vazquez de Prada, S.96

6 Ebd. S.88

7 Ebd. S.99

8 Gónzalez Gullón, S.6

9 Vazquez de Prada, S.88