„Sie sind uns um den Hals gefallen“, erzählt Blanca Vives von der Ankunft der Flüchtlingsfamilien im Tagungshaus Hohewand am Freitagabend. „Alle sind erschöpft, sehr, sehr müde. Und zugleich sind so erleichtert und unendlich dankbar.“
Die beiden befreundeten Mütter – beide heißen Olga – und ihre Kinder Timeo (11) sowie Anja (16) und Sascha (11) haben eine abenteuerliche Flucht hinter sich. Ihr Zuhause liegt in der 760.000 Einwohnerstadt Saporischja, rund 200 Kilometer von der umkämpften Hafenstadt Mariupol und 1.800 Kilometer von Wien entfernt. Vor einer Woche brannte das Atomkraftwerk Saporischja. Ihre Männer sind im Krieg zurückgeblieben, während sie sich durch Polen und die Slowakei bis nach Österreich durchgeschlagen haben. Sie erzählen noch wenig, alles muss sehr schlimm gewesen sein. „Trotzdem haben sie uns schon am ersten Tag gefragt, worin sie uns helfen können“, zeigt sich Vives beeindruckt. „Unser erstes Wort auf Ukrainisch haben wir auch schon gelernt. ‚Simyie‘, das heißt ‚Familie‘.“
Der Bürgermeister hatte im Ort gefragt, wer bereit wäre, Familien aufzunehmen. „Wir haben sofort ja gesagt. Dann ging es sehr schnell: Innerhalb von 24 Stunden waren Olga, ihre Freundin Olga und die drei Kinder bei uns. Jeder hatte einen kleinen Rucksack, mehr durften sie nicht mitnehmen. Je weniger Gepäck im Zug, desto mehr Menschen können transportiert werden, hieß es. Das Leben ist noch wichtiger als das Gepäck“, erzählt Silvia Pichler vom Tagungshaus Hohewand.
Die Hilfsbereitschaft im Dorf war gleich zu spüren. Sandra, selbst Mutter von drei Buben, meldete sie sich sofort: „Wir gehen jetzt mit den zwei 11-jährigen ukrainischen Buben spielen. Ich kann vielleicht beitragen, dass die Kinder für eine Zeit ein Stück Normalität erleben dürfen – einfach wieder Kinder sein dürfen“, sagt Sandra. Eine andere Bekannte aus dem Dorf bringt spontan Kleider für die 16-jährige Anja: „Das ist doch selbstverständlich, dass wir helfen“, sagt Adelheid.
Das Tagungshaus Hohewand in Dreistetten wird vom Opus Dei betreut. „Schon in der Flüchtlingskrise 2015 haben wir uns um syrische Familien gekümmert“, erzählt Vives. Der Kontakt kam durch den Verein AMAL in Wien zustande. Dessen Obmann, Gordian Gudenus, selbst Familienvater, gehört dem Opus Dei an. Auch jetzt ist Gudenus im Einsatz. Er sorgt sich gerade um eine ukrainisch-syrische Familie, die in einem niederösterreichischen Flüchtlingslager gelandet ist und noch bürokratische Hürden überwinden muss. „Der Vater ist Syrer, die Mutter ist Ukrainerin. Man kann sich kaum vorstellen, was es heißt, zweimal aus einem Kriegsgebiet fliehen zu müssen“, erzählt Gudenus betroffen. Der Verein AMAL hat mit Ehrenamtlichen seit 2016 700 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten im Raum Wien und Niederösterreich betreut. „Wir werden versuchen unser Know-How auch jetzt in dieser neuen Krise einzubringen“, versichert Gudenus.
Und wie geht es nun für die beiden ukrainischen Familien in Dreistetten weiter? „Die Kinder können hoffentlich bald in die Schule. Anja hat schon gesagt, dass sie so gerne in eine Musikschule gehen möchte“, sagt Vives. Olga hat gefragt, wie lange sie hierbleiben dürfen. „Sie machen sich Sorgen. Ich habe gesagt: ein Tag, ein Monat, ein Jahr – solange wie ihr es braucht, denn das Wichtigste ist, dass es euch gut geht.“