Betrachtungstext: 5. Woche im Jahreskreis – Freitag

Wir können Menschen zu Jesus bringen – Gott handelt auf verschiedene Weisen – Die Zeiten von Gottes Wirken sind nicht immer unsere Zeiten

IN SEINEM EIFER, das Evangelium zu verkünden, predigte der Herr vor einer großen Menschenmenge, wie ein Sämann, der den Samen in weitem Bogen ausstreut. Daneben trat Christus oft wie ein Arzt auf, der kommt, um die Kranken zu heilen, einen nach dem anderen: Er hörte zu, machte sich ein Bild, untersuchte, heilte. In manchen Passagen der Heiligen Schrift hören wir, dass einzelne Jesus nicht aus eigener Kraft, sondern mithilfe anderer aufsuchten. So etwa der Taube, der kaum sprechen und seine Not nicht ausdrücken konnte. Laut dem Evangelium dürften es seine Verwandten oder Freunde gewesen sein, die ihn „brachten und Jesus „baten (vgl. Mk 8,22), ihm die Hände aufzulegen.

Die Szene kann unsere Rolle als Apostel veranschaulichen: Auch wir sind aufgerufen, die heilende Kraft Christi, die wir in unserem eigenen Leben erfahren haben, mit unseren Freunden zu teilen. Oft fällt es einem Menschen, der nicht hören kann, schwer, sich mitzuteilen; und es ist wahr, dass viele unserer Mitmenschen in der Tiefe ihrer Seele eine engere Beziehung zu Gott haben wollen, aber vielleicht nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Papst Franziskus betont: „Viele von ihnen suchen Gott insgeheim, bewegt von der Sehnsucht nach seinem Angesicht.“1

Der Evangelist verwendet zwei Verben, die uns bei dieser Aufgabe helfen können: die Menschen „zu Jesus bringen“ und ihn um ihre Heilung „bitten. Der zweite Teil scheint leichter machbar, doch wie soll der erste Teil gelingen? Der heilige Josefmaria gibt uns einige Hinweise, indem er uns daran erinnert, dass dieses jemanden zu Jesu zu bringen, nicht darin besteht, ihm einen „physischen Stoß zu verpassen, sondern „im Überfluss des Lichts, der Lehre“ geschieht; „im geistlichen Ansporn eures Gebets und eurer Arbeit, die ein glaubwürdiges Zeugnis für die Lehre darstellen; im Berg von Opfern, die ihr bringt; im Lächeln auf euren Lippen, weil ihr Kinder Gottes seid: eine Kindschaft, die euch mit einer gelassenen Freude erfüllt – auch wenn es in eurem Leben nicht an Schwierigkeiten fehlt –, eine Freude, die die anderen spüren und euch darum beneiden. Fügt all dem noch euren feinfühligen Umgang und eure menschliche Sympathie hinzu.2


DIE FREUNDE des Taubstummen baten Jesus voller Glauben, dem Kranken die Hände aufzulegen. Doch der Herr entscheidet sich für eine andere Vorgangsweise: Er beschließt, die Heilung schrittweise zu vollziehen: Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Effata!, das heißt: Öffne dich! (Mk 7,33-34). Ähnlich war er vorgegangen, als er einem Blinden das Augenlicht wiedergab, indem er ihm den Teig, den er mit seinem Speichel hergestellt hatte, auf die Augen strich (vgl. Joh 9,6). Andere Male hatte er sofortige Wunder gewirkt, sogar bei Menschen, die örtlich weit entfernt waren.

Wir wissen, dass ein Wort Jesu genügt, um jegliche Krankheit zu heilen – wir sagen dies jeden Tag in der Heiligen Messe. Das könnte uns jedoch zu der Annahme verleiten, dass Gott immer und überall auf diese Weise wirken „muss. Der Verlauf unseres eigenen Lebens lehrt uns, dass dies nicht der Fall ist. Oft haben wir erlebt, dass Jesus uns über Wege führt, die keine Abkürzungen zu sein schienen, und wir scheinbar unnötige Momente und Phasen durchlebten, ähnlich wie jene Gesten des Herrn, die Zunge oder die Ohren der Kranken zu berühren. Möglicherweise haben wir uns daran gewöhnt, dass alles um uns herum scheinbar effizient und schnell funktioniert, ohne dass wir warten müssen ... und wir wollen, dass alle anderen Bereiche des Lebens auch so funktionieren.

„Der Herr ist seinem Volk nah, sehr nahe. Er sagt das selbst: Welches Volk auf Erden hat einen Gott, der ihm so nahe ist, wie ihr? (...) Das Leben ist ein Weg, den er gemeinsam mit uns gehen wollte. Aber wenn der Herr kommt“, so fährt der Papst in einer seiner Tagesmeditationen fort, „dann tut er das nicht immer auf dieselbe Art. Es gibt kein Protokoll über das Handeln Gottes in unserem Leben. Einmal macht er es auf diese, ein andermal auf jene Weise, aber er tut es immer. (...) Der Herr nimmt sich Zeit, (...) hat aber auch viel Geduld. (...) Es gibt sehr viel Dunkelheit. Und wenn wir uns in Schwierigkeiten befinden, würden wir gerne vom Kreuz heruntersteigen. Und das ist genau der Moment: Die Nacht ist dann am dunkelsten, wenn die Morgenröte unmittelbar bevorsteht.“3


AM ENDE seiner Aufenthalts auf Erden, während des letzten Abendmahls, sagt Jesus zu seinen Aposteln, dass sie gut daran getan haben, ihn Meister zu nennen (vgl. Joh 13,13). Wir haben überlegt, dass der Herr auf sich selbst auch das Bild des Arztes (vgl. Mt 9,12) und des Sämanns (vgl. Mt 13,37) anwandte. Diese drei Arten, wie Jesus sich selbst charakterisiert, können uns verstehen helfen, wie er in unserem Leben handelt, besonders wenn wir denken, dass Gott schneller handeln sollte, wenn wir sozusagen wollen, dass er gemäß unserem Zeitverständnis handelt und nicht gemäß dem seinem.

Wenn wir an einen Lehrer denken, wird uns bewusst, dass seine Arbeit, andere zu führen, immer eine mehr oder weniger lange Zeit erfordert. Auch der Arzt überstürzt nichts: Selbst die kleinste Verletzung kann manchmal mehrere Sitzungen erfordern. Wenn wir schließlich an den Sämann denken, können wir feststellen, dass es keinen Samen gibt, der einfach von selbst aufgeht und wächst, ohne die geduldige Arbeit, immer wieder zu gießen, den Bodenzustand zu verbessern und aufzulockern, Unkraut zu jäten und so weiter.

Der heilige Paulus schrieb an die Galater: Meine Kinder, für die ich von Neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt (Gal 4,19). Genau das strebt die Heilige Dreifaltigkeit an: Christus in uns zu heranzubilden. Daher „das Verlangen, uns als Miterlöser Christi zu betrachten“, sagt der heilige Josefmaria, „und mit ihm alle Menschen zu retten, da wir ja ipse Christus sind und sein wollen, Christus selbst, und er hat sich zum Lösegeld für alle hingegeben (vgl. 1 Tim 2,6).4 Und in diesem Warten, um immer „mehr Christus zu sein, haben wir keine bessere Unterstützung als die von Maria: Sie wartete neun Monate, bis Jesus in ihrem Schoß heranwuchs, obwohl sie eine heilige Ungeduld hatte, ihren Sohn zu sehen, und weitere dreißig Jahre, um seine Wunder zu sehen.


1 Franziskus, Evangelii gaudium, Nr. 14.

2 Hl. Josefmaria, Brief 9, 24.10.1942.

3 Franziskus, Tagesmeditation, 28.6.2013.

4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 121.