Auf Jesus Christus zugehen

Der Lehre des heiligen Josefmaria entsprechend betrachten wir in diesem Artikel jene Szene aus dem Evangelium, in der Jesus über das Wasser ging. Wir versetzen uns in diese Situation, so als ob wir ein weiterer Protagonist wären und lernen dabei, dass man an Seiner Seite Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Ängste zu überwinden vermag.

Tausende Menschen haben die Predigt Jesu Christi gehört und sind von den Broten und Fischen, die Er vermehrt hatte, satt geworden, und zwar in so großem Maß, dass eine beträchtliche Menge übrig blieb.1 Man kann annehmen, dass die Apostel darüber erstaunt waren.

Diese Verwunderung war auch mit Freude verbunden. Wieder einmal hatten sie die Nähe des Herrn verspürt. Mag sein, dass diese neue Erfahrung auf diejenigen, die das Zusammensein mit Jesus Christus schon gewohnt waren, keinen größeren Eindruck machte. Aber wie schnell vergessen wir doch Augenblicke, in denen wir Gottes Nähe an unserer Seite verspürt haben. Deshalb sind wir jedes Mal überrascht und froh, wenn wir sie neuerlich erfahren.

Wie oft erkennen wir ganz klar, dass Gott bei uns ist, dass Er uns in einem wichtigen Moment nicht verlassen hat, und es erfüllt uns mit Freude und Zuversicht, die nicht nur auf den guten Ausgang einer für uns wichtigen Sache zurückzuführen ist, sondern vor allem auch auf das Bewusstsein, dass wir mit dem Herrn zusammenleben.

Wie oft verlieren wir das allerdings aus den Augen und lassen uns von der Furcht ergreifen, dass es in einem weiteren wichtigen Fall etwa nicht so gut ausgehen könnte. Es ist so, als ob wir befürchteten, dass uns Gott vergessen könnte, oder so, als ob das Kreuz ein Zeichen dafür wäre, dass Er sich entfernt hat.

Schwierigkeiten

Nachdem er die vielen Menschen verabschiedet hatte, bat Jesus die Apostel, ans andere Ufer vorauszufahren, während Er sich zum Gebet zurückziehen wollte.2 Für sie, die im Bootfahren geübt waren, war die Überfahrt keine besondere Angelegenheit. Und selbst, wenn sie schwierig gewesen wäre, hätten sie nach dem gerade erlebten Wunder doch kein Hindernis für unüberwindbar gehalten.

Das Boot entfernte sich immer mehr vom Land und bald ging es nur mehr recht langsam voran. Als es Nacht wurde, war das Boot schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind3. Zurück konnten sie nicht mehr, aber voran kamen sie scheinbar auch nicht. Es schien, dass sie den Wellen und dem Wind ausgeliefert waren und nur versuchen konnten, das Boot über Wasser zu halten.

Sie erschraken. Das vor wenigen Stunden erlebte Wunder schien weit zurückzuliegen. Wenn doch wenigstens der Herr bei ihnen wäre. ... Er aber war an Land geblieben. Er war zwar zurückgeblieben, hatte sie aber weder allein gelassen noch vergessen. Sie wussten es zwar nicht, aber er sah vom Berg aus ihre Schwierigkeiten und ihre Anstrengungen und Mühen4.

Im Innenleben kann man anfangs leicht die eigenen Fortschritte sehen. In den Augen derjenigen, die aufs Meer hinausfahren, entfernt man sich auch zunächst recht schnell vom Land. Aber nach einiger Zeit des Kämpfens und Vorankommens ist der Fortschritt nicht mehr so deutlich zu erkennen. Man spürt die Wellen und den Wind stärker und das Land scheint immer gleich weit entfernt zu sein. Das ist der Augenblick des Glaubens, in dem wir das Bewusstsein stärken müssen, dass uns der Herr nicht verlässt. Das ist der Moment, in dem wir uns ins Gedächtnis rufen müssen, dass Schwierigkeiten – Wind und Wellen – im Leben unvermeidlich sind, in diesem Leben, das wir heiligen müssen, ganz im Wissen, dass Jesus Christus immer an unserer Seite ist.

Die Erfahrung der Nähe Gottes und der Macht seiner Gnade erspart uns jedoch nicht die Aufgabe, gegen Schwierigkeiten anzukämpfen. Wir können weder davon ausgehen, dass dieses Gefühl immer anhält, noch, dass uns angesichts der Nähe Gottes die Probleme nicht mehr belasten. Wir dürfen aber auch nicht in den Irrtum verfallen, in den Schwierigkeiten ein Zeichen zu sehen, dass uns der Herr allein lässt, und wäre es auch nur bisschen oder nur für kurze Zeit.

Gerade Schwierigkeiten sind eine Gelegenheit zu zeigen, wie sehr wir Gott lieben und inwieweit wir Widrigkeiten gelassen akzeptieren, die wir nicht überwinden konnten.

Beunruhigungen

Petrus und die übrigen Apostel kämpften schon eine Weile gegen Wind und Wetter und gegen ihre innere Angst, als ihnen der Herr zu Hilfe kam5. Er hätte das auf vielerlei Art tun können: Er hätte die Schwierigkeiten beseitigen oder sich unbemerkt ins Boot begeben können, aber Er wollte ihnen eine andere Lehre erteilen. Er ging über das Wasser auf sie zu.

Es war Nacht und man konnte ihn nicht gleich erkennen. Das Geschehen an sich war beängstigend, die Apostel waren erschrocken und die Angst nimmt dem, der unter ihr leidet, die Gelassenheit und das gesunde Urteilsvermögen bezüglich der ihn bedrohenden Ereignisse. Angesichts dieser Umstände ist ihre Reaktion verständlich: Sie begannen zu schreien.

Aber der Herr beruhigte sie: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!6 Wind und Wellen ließen in diesem Augenblick nicht nach, aber Er vermittelte ihnen Zuversicht, so dass sie den Mut nicht verloren: Ich weiß, dass ihr Schwierigkeiten habt, aber fürchtet euch nicht, kämpft weiter, vertraut darauf, dass ich euch nicht vergessen habe und weiterhin in eurer Nähe bleibe.

Petrus reagierte impulsiv: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!7 Es war fast immer Petrus, der unter den Aposteln vorpreschte, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Er erhält vom Herrn den schärfsten Verweis8, aber er bekennt sich auch mutig zu Ihm und reißt dadurch in schwierigen Situationen die anderen mit9. Seine jetzige Initiative ist aber selbst für impulsive Menschen überraschend: Petrus sah sich damit konfrontiert, aus dem Boot auf eine wild bewegte Wasserfläche aussteigen zu müssen, die nicht beherrschbar und auch nicht berechenbar war.

Dem Ruf des Meisters folgend, stieg er mit beiden Beinen aus dem Boot und begann auf den Herrn zuzugehen. Er wollte sich Christus nähern und war bereit alles zu wagen, um Ihn zu erreichen.

Wenn es doch bei unseren, dem Herrn in Augenblicken der Unruhe gemachten Vorsätzen zu mehr Großzügigkeit nicht bei den Worten bliebe! Wenn doch unser Gottvertrauen stärker wäre als unsere Zweifel und Ängste sie umzusetzen! Wenn wir doch imstande wären anzupacken, auch wenn es anscheinend nichts gibt, was uns auf dem Weg zu Christus stützen könnte! Denn um auf Gott zuzugehen, braucht es Risikobereitschaft, man muss ängstliche Sorgen vermeiden und bereit sein, das Leben zu riskieren.

Während er auf dem Wasser ging, spürte Petrus Wellen und Wind stärker als die anderen und sein Leben war mehr vom Glauben abhängig als das ihre, eben, weil er aus dem Boot gestiegen war, um auf Jesus Christus zuzugehen. Gleicht das nicht der kritischen Lage eines Christen? Versuchen nicht auch wir, in von uns weitgehend nicht kontrollierbaren äußeren und inneren Umständen auf den Herrn zuzugehen?

Wir sind den Wellen mehr ausgesetzt als jene, die aus Angst vor der gewaltigen Übernatur die armselige Scheinsicherheit ihres kleinen Schiffchens vorziehen. Ist es verwunderlich, dass wir da manchmal den Boden unter den Füßen verlieren und beunruhigt sind? Genau das sind die Augenblicke, in denen wir uns erneut bewusst sein müssen, dass wir aus dem Glauben leben, nicht aus einem Glauben, der Wellen glättet oder Unsicherheiten aus dem Weg räumt, sondern vielmehr aus einem Glauben, der in solchen Situationen Licht bringt und uns den Sinn dieser Probleme aufzeigt.

Aufgrund des Glaubens zogen sie [die Israeliten] durch das Rote Meer wie über trockenes Land; als die Ägypter das Gleiche versuchten, wurden sie vom Meer verschlungen10. Ohne Glauben verschlingen uns die Schwierigkeiten des Lebens, sie erdrücken uns und wir versinken in ihnen. Mit dem Glauben können wir sie nicht vermeiden, aber wir haben mehr Rückhalt, im Wissen, dass Gott sie zum Guten wenden kann. Für das auserwählte Volk war es sicher belastend und schrecklich am Meeresgrund dahinzugehen, dazu kam noch die Gefahr, dass die Feinde sie einholen könnten. Aber diese Schwierigkeit und Unsicherheit brachte ihnen die Rettung. Schlussendlich erweist sich die Unsicherheit auf dem Weg zu Gott als sicheres Fundament zur Gestaltung unseres Lebens, das verlässlicher ist als die vom Boot gegebene Sicherheit.

Unsicherheiten

Petrus hatte schon einige Schritte gemacht, als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Er begann zu versinken und rief den Herrn um Hilfe. Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?11

Kleingläubiger. Bei der Lektüre des Evangeliums überrascht dieses Wort. Man mag sich sogar bedrückt fühlen und sich fragen: Wenn der Herr schon jemanden wegen mangelnden Glaubens rügt, der gerade seine Furcht überwunden hat und aus dem Boot gestiegen ist, um auf Ihn zuzugehen, was würde Er wohl zu mir sagen? Habe ich irgendeine Chance, dass Christus in mir eines Tages einen gläubigen Menschen sieht? Aber bei weiterer Betrachtung werden noch andere Fragen aufkommen: Erwartete denn Jesus von Petrus, dass er völlig gelassen über das Wasser gehen würde, so wie man an einem ruhigen sonnigen Tag am Festland dahingehen kann? Oder bedeuten die Worte des Herrn, dass uns Probleme nicht berühren oder gleichgültig sein sollen? Wohl nicht, da Jesus Christus selbst angesichts des auf Ihn zukommenden, objektiv furchtbaren Geschehens Beklemmung verspürte.

Das Ziel des Kampfes um ein Leben aus dem Glauben besteht nicht darin, angesichts auftretender Schwierigkeiten ein Gefühl der Sicherheit zu haben. Es geht nicht darum, dass uns die Ereignisse nicht berühren, dass wir Wichtiges nicht ernst nehmen, dass uns Schmerzliches nicht weh tut oder dass uns Besorgniserregendes nicht beschäftigt. Es geht vielmehr um das Bestreben, nicht zu vergessen, dass Gott uns nie im Stich lässt und schwierige Situationen dazu nützt, dass wir uns mehr an Ihn halten. Es ist wahr: Das an sich schon ziemlich beengte und unsichere Leben kann manchmal recht schwierig werden. - Aber das wird dir zu einer mehr übernatürlichen Sicht verhelfen, die dich in allem die Hand Gottes erkennen lässt. Und so wirst du menschlicher und verständnisvoller mit deiner Umgebung sein12.

Natürlich empfand Petrus Unbehagen und es ist logisch, dass er das schon bei den ersten Schritten hatte, weil das, was er tat, seine menschlichen Fähigkeiten überstieg, mit oder ohne Wellen. Über das Wasser zu gehen ist unmöglich, egal ob mit oder ohne Wind und Wellen. Worin bestand also der Glaubensmangel des Petrus? Wohl nicht so sehr in dem Gefühl der Unsicherheit, als vielmehr in einem Zweifel an Christus. Bis zu diesem Augenblick war sein Blick auf Christus gerichtet. Er fühlte sich natürlich unsicher, aber das machte ihm nichts aus, denn, was seine Aufmerksamkeit ganz in Anspruch nahm, war sein Zugehen auf den Meister. Aber plötzlich wurde er sich seiner unsicheren Lage bewusst und sein Vertrauen zu Jesus schwand. Die natürliche und berechtigte Unsicherheit verwandelte sich in Furcht.

Quälende Furcht verursacht wirkliche Probleme, die anfangs nur in der Einbildung existieren. Es gibt Dinge, die uns zustoßen, weil wir Angst haben, dass sie uns widerfahren könnten: Angst vor einer Versuchung, Furcht in Nervosität zu verfallen, Sorge schlecht dazustehen, Angst, dass wir etwas nicht mit ausreichender Festigkeit erklären können oder dass wir nicht in der Lage wären. ein Problem deutlich genug darzustellen...

Aber wie können wir dagegen ankämpfen? Wir sollten danach trachten, diese Unsicherheit zu akzeptieren, denn nur so vermeiden wir, dass sie unsere Aufmerksamkeit ganz in Anspruch nimmt. Wie wir uns bei unserem Tun fühlen, darf uns nicht wichtig werden, dann können wir auch bei Wind und Wellen ohne Angst vor der damit verbundenen Schwierigkeit auf Jesus zugehen.

In einem seiner Briefe schreibt der heilige Johannes: Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. (...), wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe13. Der heilige Josefmaria fasste es gern so zusammen: Wer Angst hat, ist unfähig zu lieben14Liebe und Furcht gehören zu sich ausschließenden unterschiedlichen Kategorien. Gemeinsam können sie nur auftreten, wenn die Liebe nicht vollkommen ist.

Furcht ist ein Unsicherheitsgefühl angesichts der Möglichkeit, etwas zu verlieren, das man besitzt oder anstrebt. Unsicherheit ist aber Teil unserer menschlichen Existenz, da wir ja nicht alles im Griff haben und nicht einmal unsere Selbstbeherrschung vollkommen ist. Darum können wir Unsicherheiten in diesem Leben nicht vermeiden. Andernfalls wäre die Hoffnung keine Tugend, denn bei absoluter Sicherheit ist kein Platz für Hoffnung15.

Die Ordnung der Liebe muss demnach die Furcht ausschließen, aber nicht unbedingt die Unsicherheit. Die Ordnung der Liebe zu leben, setzt also voraus, dass die Unsicherheit nicht zu Furcht degeneriert, sondern dass man sie annimmt und sie mit Gottvertrauen in eine erweiterte Sichtweise integriert, ohne sie beseitigen zu wollen, was unmöglich wäre. Absolute Sicherheit können wir nicht erwarten. Die Unsicherheit, die wir angesichts unserer bescheidenen Kräfte empfinden, uns Anlass zur Stärkung des Gottvertrauens.

Auf diese Weise sieht man im Glauben keine Last, sondern Licht auf unserem Weg, das uns lehrt, das eigene Elend zur Öffnung der Seele auf Gott hin zu nützen. Der Christ erwartet von Gott nicht, dass Er ihm Selbstvertrauen schenkt, sondern er hofft, dass das Vertrauen auf Gottes Hilfe ihn über seine Unsicherheit hinwegsehen lässt. Wir können die Furcht wirklich vermeiden und in der Ordnung der Liebe leben, wenn wir über unsere eigene Begrenztheit hinausschauen, ohne sie abzulehnen.

Gläubige Männer und Frauen machen die Erfahrung von Unruhe, Zweifel, Nervosität, Schande; sie fürchten schlecht dazustehen oder sie fühlen sich überfordert, etc. ... Aber sie akzeptieren solche Gefühle, ohne ihnen mehr als die ihnen gebührende Bedeutung zuzumessen, so dass sie dadurch nicht blockiert oder paralysiert werden. Sie bäumen sich nicht gegen die Gefühle auf, noch sehen sie in ihnen einen Beweis ihres schwachen Glaubens und sie lassen auch nicht zu, dass sie dadurch den Mut verlieren. Sie setzen ihren Weg fort, auch wenn sie feststellen, dass sie einige Punkte der Lehre besser verstehen sollten oder wenn sie sich überfordert oder am falschen Platz fühlen, ja selbst, wenn ihnen die Stimme versagt. Sie haben gelernt, zwischen den Wellen auf Christus zuzugehen. Und wenn Wind und Wetter den Blick auf Ihn verdecken, wissen sie, dass sie Kinder Gottes sind. Hast du eine Mutter beobachtet, wie sie mit ausgebreiteten Armen ihrem Kleinen folgt, wenn es unsicher die ersten Schritte ohne fremde Hilfe wagt? – Du bist nicht allein: Maria ist dicht bei dir16.

Mit ihr hat die Seele Gottvertrauen gelernt.

1 Vgl. Mt 14,20-21.

2 Vgl. Mt 14,22-23.

3 Mt 14,24.

4 Vgl. Mk 6,48.

5 Vgl. Mt 14,25.

6 Mt 14,27.

7 Mt 14,28.

8 Vgl. Mt 16,23; Mk 8,33.

9 Vgl. Mt 16,15-16; Joh 6,67-68.

10 Hebr 11,29.

11 Mt 14, 29-31.

12 Die Spur des Sämanns, Nr. 762.

13 1 Joh 4,18.

14 Im Feuer der Schmiede, Nr. 260.

15 Vgl. Röm 8,24.

16 Der Weg, Nr. 900.

J. Diéguez