Wenn der Bruder Tod im Wartezimmer zu dir spricht

Zur Einstimmung auf den November ernste Gedanken von Burkhardt Gorissen

Da sitzt du in diesem Wartezimmer, Diagnose unklar, selbst die Geranien auf der Fensterbank gucken traurig. Du weißt, dass in diesem Moment alle Möglichkeiten offen stehen. Es liegt am Gemüt, wie schwer oder wie leicht du es nimmst. Du weißt, dass die menschliche Macht begrenzt ist. Und wenn du dir die Frage stellst, warum ausgerechnet du in diesem Wartezimmer sitzt, weißt du, dass diese Frage absurd ist. Es ist dein Leben, das du mehr oder weniger gut gelebt hast und auf dessen Fortsetzung du so gespannt bist, dass dir die Gebete aus der Kindheit einfallen, die du längst vergessen glaubtest. Wenn du richtig nachdenkst, fällt dir ein, dass es einen seltsamen Heiligen gab, der den Tod „Bruder“ nannte. Das ist siebenhundert Jahre her. Seit sich der Papst nach ihm benannte, kennen ihn wieder mehr Menschen, Franz von Assisi. Seinen wunderbaren Sonnengesang werden nur wenige kennen. Doch es lohnt sich, Pflichtlektüre für jeden Erkenntnissucher! Überhaupt, Erkenntnis. Wir haben Kenntnis von Vielem und Erkenntnis von Wenigem. Das liegt nicht einmal daran, dass der Tod aus unserer Gesellschaft wegrationalisiert wurde. Der Tod lässt sich eben nicht so gut verkaufen. Beim Action-Thriller ist er erwünscht. Oder als unterschwellige Drohung im Hintergrund, als Machtinstrumentarium sozusagen, um die Menschen nicht allzu übermütig werden zu lassen. Erst wenn er ein wenig näher kommt, vielleicht weil jemand aus deiner Nähe stirbt oder einfach wenn die Blätter fallen, dann fürchtest du ihn, und er macht dich nachdenklich. Wenigstens so lange, bis du ihn wieder verdrängen kannst. Aber wenn er dein eigenes Leben berührt, zu dir spricht, wenn du in einem Wartezimmer sitzt und nicht weißt, wie die Entscheidung ausfällt, Daumen hoch oder Daumen runter, dann fällt dir ein, dass das Leben sehr endlich ist. Dann spürst du, dass du es nicht alleine tragen kannst, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Dann ist es gut, wenn du versuchst loszulassen: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.