Soziologe Hans Joas in Berlin: Moral gilt für alle

Der renommierte Soziologe Hans Joas hielt im Bildungszentrum Feldmark ein klares Plädoyer für die universale Bedeutung der Moral.

Auf Einladung des Bildungszentrums Feldmark sprach Hans Joas über die universale Bedeutung von Moral. Sie sei der Garant für freie Gesellschaften, die gegen alle aktuellen nationalistischen Tendenzen die Würde des Individuums in den Vordergrund stellen.

Im Rahmen der Vortragsabende im Berliner Bildungszentrum Feldmark sprach der renommierte Soziologe Hans Joas über seine Theorie des moralischen Universalismus. Joas zählt zu den bedeutendsten Vertretern der Soziologie in Deutschland und hatte diverse Professuren im In- und Ausland inne. Zu Beginn erläuterte Joas sein Verständnis des moralischen Universalismus: Es sei „das Ethos einer Verpflichtung, die über das eigene Nahfeld hinausgeht“. Eine solche Verpflichtung gelte nicht nur gegenüber Familie, Volk oder Nation, sondern gegenüber allen Menschen. In Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer, der 1933 schrieb: „Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet“ – damals ein Bekenntnis zu allen Juden –, betonte Joas: „Heute gilt es nicht nur, die Vergangenheit nicht zu vergessen, sondern auch Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.“

Heute sehe er zwei alte Gefährdungen und drei neue Herausforderungen. Die erste alte Gefährdung sei „die Selbstsakralisierung von Institutionen“. Wer sich selbst für „die Guten“ halte, neige dazu, „die eigene Aura über die Würde einzelner Menschen zu stellen“. Auch die Kirche sei davon nicht frei gewesen, das hätten etwa die Missbrauchsskandale gezeigt. Joas erinnerte dabei an Papst Leo XIV., der betonte: Keine Institution dürfe sich über die Würde der Person erheben.

Als zweite alte Gefährdung nannte er den „Anti-Universalismus als Programm“. Rassistische und völkische Ideologien hätten bewusst erklärt, Gleichheit sei Schwäche, Humanität Dekadenz. „Diese Impulse sind keineswegs verschwunden“, so Joas.

Plädoyer für universale statt partikulare Ansätze

Die erste der drei aktuellen Herausforderungen heiße „Universalistische Pflichten versus partikulare Bindungen“. Moralische Verantwortung gelte allen, hebe jedoch die Verantwortung für die Nächsten nicht auf. In der Migrationspolitik etwa brauche es „eine Balance zwischen Humanität und den realen Belastungen für Gesellschaften“. Denn „Humanität ersetzt keine Abwägung“.

Als zweite Herausforderung bezeichnet er „den Vorwurf des Anthropozentrismus“. Joas fragte, ob die Aussage, dass Menschenrechte „nur“ für Menschen gelten, bereits „speziesistisch“ sei: Ökologische Schäden träfen besonders die Schwachen, „doch wenn die Sonderstellung des Menschen bestritten wird, löst sich auch Menschenwürde auf“. Hier verwies er auf Heiner Bielefeldt, der vom „Anthropozentrismus der Verantwortung“ spricht: Menschen tragen Verantwortung für Natur, Tiere und Ökosysteme, ohne ihre eigene Würde zu relativieren.

Die dritte Herausforderung sei „Recht als Fortschritt – und als Politikum“. Menschenrechte und Gerichte seien zweifellos Fortschritte. Doch „je mehr Gerichte politisch heikle Fragen entscheiden, desto stärker politisieren sie sich selbst – national wie global“. Eine Weltrechtsordnung wäre wünschenswert, berge aber immer auch das Risiko, selbst zum Machtinstrument zu werden.

Angesichts globaler Konflikte – Russland agiere imperial, China wachse ökonomisch, technologisch und militärisch rasant, die Erosion westlicher Demokratien – gelte für Joas: „Moralischer Universalismus bleibt unverzichtbar.“ In der Tonlage von Papst Leo XIV. heiße dies: „Nicht Herrschaft über alle, sondern Verpflichtung für alle.“

Der gebürtige Münchner Hans Joas war als Professor unter anderem an den Universitäten Tübingen, Erlangen-Nürnberg und Berlin tätig. Gastprofessuren führten ihn nach Toronto, Chicago, Wien und Göteborg. 2012 war er der erste Träger der Joseph-Ratzinger-Gastprofessur an der Universität Regensburg. In seinen Werken beschäftigte sich Joas mit den Fragen von Menschenrechten, Religionssoziologie und Gesellschaftstheorien.

Von Hans Joas zuletzt erschienen: „Universalismus. Weltherrschaft und Menschheitsethos“ (Suhrkamp, 2025, 975 Seiten).

Foto (c) Feldmark.