Lieber Thomas, du bist mit 22 der jüngste Numerarier aus der Region Mitteleuropa, hast Dich also für den Zölibat entschieden und bist erst seit einigen Monaten Mitglied des Opus Dei. Wie erlebst du dein Leben seither in München?
Es hat sich nicht so dramatisch viel verändert. Das ist ja einerseits das Tolle im Opus Dei, dass sich die eigene Stellung mit dem Eintritt gar nicht verändert. Andererseits wohne ich seitdem hier in München im Haus MaxTor 95, wo weitere Mitglieder des Opus Dei und Studenten zusammenleben. Diese Entwicklung des Wohnortwechsels erlebt jeder Student, der für die Universität in eine andere Stadt zieht, seine Eltern verlässt und sich in einer WG eingliedern muss.
Du studierst seit diesem Wintersemester Biologie. Was sagen deine Kommilitonen, wenn sie hören, dass du im Opus Dei bist und nicht heiraten wirst?
Bis zum Januar 2024 habe ich an einem Studienkolleg in München teilgenommen, damit ich mit einem ausländischen Abitur trotzdem in Deutschland studieren kann. Schon dort haben meine Kommilitonen schnell festgestellt, dass ich nicht in einer gewöhnlichen WG lebe. Es gibt bei uns eine Kapelle, zudem gibt es auch berufstätige Numerarier bei uns. Das Wissen ist aber so gering ausgeprägt, dass ihnen der Begriff Opus Dei praktisch nichts sagt. Ohne Vorurteile konnte ich sehr leicht zeigen, was mich antreibt und wer mein Leben trägt und hält. Die Reaktionen erlebe ich als ausschließlich positiv.
Wo hast du gelebt, dass dein Schulabschluss aus dem Ausland kommt?
Mein Vater ist Deutscher und meine Mutter kommt aus Ecuador. Ich bin schon in München geboren, meine Eltern leben aber jetzt bei Stuttgart mit meinem kleinen Bruder. Wir sind aufgrund der Berufstätigkeit meines Vaters häufiger umgezogen. Wir waren fünf Jahre in Abu Dhabi, fünf Jahre in Chile, drei Jahre in Ecuador. 2021 habe ich dort auch die Schule beendet. Diese Ortswechsel haben uns als Familie eng zusammengeschweißt. Mein älterer Bruder lebt jetzt in Madrid und wir haben trotzdem weiterhin ein sehr enges Verhältnis. Wenn man als Kind so oft umzieht, bleibt die leibliche Familie ein starker Anker für die Entwicklung.
Wie erlebten deine Eltern deine Berufung zum Opus Dei und als Numerarier?
Wir haben als Familie in Lateinamerika das Opus Dei kennengelernt. Ich war dort schnell mit meinen Brüdern in den Jugendclubs verankert und unsere Eltern haben den positiven Einfluss auf uns Jungs sehr geschätzt. In Chile ist das Opus Dei sehr groß und wir haben dadurch schnell viele Freundschaften auch als Familie geschlossen. Schlussendlich haben meine Eltern ihre Berufung zum Opus Dei sogar noch früher erkannt als ich. Trotzdem ist es natürlich keine Selbstverständlichkeit, wenn ein Sohn plötzlich verkündet, dass er den Familiennamen nicht weitergeben und keine Kinder haben wird. Meine Eltern haben mir da aber eine sehr große Freiheit gelassen. Dass die Berufung in mir gereift ist, haben sie natürlich gemerkt. Sie betrachten das mit einer großen Gelassenheit, weil sie sehen, dass ich eine innere Ruhe ausstrahle und dass es mir gut geht.
Du sprichst davon, dass deine Berufung gereift ist. Also hat es dich nicht wie ein Blitz getroffen?
Nein, das war ein Prozess. Wie gesagt, in Chile ist das Werk sehr groß. Da fühlte ich mich wie einer unter 1.000 und habe vor allem an den Veranstaltungen teilgenommen. Ich bin auf eine gewisse Art mitgeschwommen. In Ecuador dann war es anders. Dort ist das Werk noch ziemlich klein und man hat mir schnell Verantwortung übertragen, ich habe Ausflüge organisiert und mit anderen Jugendlichen katechetisch gearbeitet. Dabei habe ich gemerkt, wie meine Liebe zu Gott und auch zur Kirche immer weiter gewachsen ist. Ich hatte ein sehr großes Heimatgefühl. Ganz besonders die gemeinsamen Ausflüge und die dortigen Gespräche haben den menschlichen Ausschlag gegeben, dass ich diese Berufung für mein Leben erkannt habe. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Daran erkennt man auch sehr schön, dass wir eine globale Familie sind. Die Berufung ist überall dieselbe.
Hattest du auch mal Zweifel in Bezug auf deine Berufung?
Ich hatte vor allem einen Gedanken: Wird es mir gelingen, mich so sehr in jemanden zu verlieben, den ich noch nie gesehen habe, dass es für mein ganzes Leben trägt?
Diese Frage konnte ich aber im Gebet und auch im Blick auf die lange Geschichte der Kirche und die Heiligen beantworten: Ja, es ist möglich. Ich bete sehr, dass es auch mir gelingen wird und ich weiß mich auch von meiner Familie im Gebet sehr getragen. Zweifel hatte ich also nie; es hat sich eher wie ein Abenteuer angefühlt, wie eine Wanderung mit Kompass, aber ohne Karte – also einem klaren Ziel, aber einem unbekannten Weg.
Nun lebst du in München in einem modernen Haus mit schönen Zimmern direkt an der Uni und studierst Biologie. Das klingt nicht so sehr nach einem unbekannten Weg.
Für den Anfang stimmt das sicherlich. Ich freue mich schon darauf, wenn es mich irgendwann woanders hin verschlägt, entweder beruflich oder weil dort eine Aufgabe für das Opus Dei auf mich wartet. So wie die Berufung auch ein Sprung ins kalte Wasser war, würde ich gerne noch einige Abenteuer erleben. Dazu gehört auch, sich aus der eigenen Komfortzone zu verabschieden und sich von Gott führen zu lassen. Ich lasse mich gerne auch von ihm an die Ränder führen, wie es Papst Franziskus sagt.
In Deutschland genießt das Opus Dei in einigen Medien und Kreisen einen schwierigen Ruf. Du hast dich trotzdem direkt entschieden, dieses Interview zu geben und deine Mitgliedschaft öffentlich zu machen. Was hat dich bewegt?
Wenn die eigene Familie angegriffen wird, dann produziert das normalerweise Gegenwehr. Die christliche Gegenwehr ist die Evangelisierung. Das geht nur in großer Offenheit. Dazu muss ich eine große Offenheit an den Tag legen und kann mich nicht hinter möglicherweise eintretenden Nachteilen verstecken. Das Opus Dei ist Avantgarde. Wir haben ein großartiges Bild des Laien mit hoher Eigenverantwortung und Entscheidungsbefugnis. Dafür müssen wir uns nicht verstecken. Konsequentes Christsein war in der Geschichte immer die Ausnahme und hat immer auch Kopfschütteln, Unverständnis und Ablehnung hervorgerufen. Das zieht sich durch die ganze Geschichte. Wir können uns aber deswegen nicht auf das Sofa zurückziehen und es uns bequem machen. Ich möchte, dass die Menschen wissen, wer ich bin und meine Berufung zum Opus Dei ist ein Teil meiner Persönlichkeit.
Lieber Thomas, vielen Dank für deine Einblicke und das Gespräch.