Wer geistlich begleitet werden möchte, benötigt dazu eine Vertrauensperson

In den Anfängen des Opus Dei haben sich die Gläubigen zwanglos an den jungen Priester Josefmaria Escrivá gewandt und ihm erzählt, wie sie auf ihrem geistlichen Weg vorankommen. Das waren die Anfänge der geistlichen Begleitung im Werk.

Geistliche Begleitung in der Tradition der Kirche und im Opus Dei

Geistliche Begleitung gehört seit Jahrhunderten zur kirchlichen Praxis. Diese ist sehr wertvoll und geschieht in verschiedenen Formen. Bei der geistlichen Begleitung ist das persönliche Leben Gegenstand eines vertraulichen Gesprächs zwischen Begleiter und Begleitetem1. Themen sind diejenigen, die den, der das Gespräch sucht, bewegen. Sie können sich auf das geistliche Leben mit Gott, sein Wachstum und seine Reifung beziehen, aber auch darüber hinaus die Gestaltung des Lebens an sich und die Beziehungen zu anderen Menschen berühren. Geistliche Begleitung antwortet auf das universelle menschliche Grundbedürfnis nach Ratschlag und Hilfe durch einen theologisch gebildeten und spirituell erfahrenen Mitmenschen, die Kleriker und Laien – Frauen wie Männer – sein können.

In einem Dokument der deutschen Bischöfe von 2014 heißt es treffend: „Geistliche Begleitung als Begleitung einzelner Personen ist ein Dienst am geistlichen Wachstumsprozess von Menschen, die auf ihrem persönlichen Berufungsweg ihre Beziehung zu Gott bzw. Christus vertiefen und die mannigfaltigen Situationen ihres Lebens in diese Beziehung integrieren wollen. Sie ist ein Dienst der Kirche und eine spezifische Form seelsorglicher Begleitung. „Im Zentrum der Gespräche stehen die Erfahrungen, Fragen und Hoffnungen der begleiteten Person. Vorausgesetzt wird, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg mit Gott hat. Diese persönliche Berufung gilt es zu entdecken und zu beantworten. Hilfestellungen dazu bietet die geistliche Begleitung an. Folglich berühren die Themen der Gespräche das ganze Leben, das in seiner Ausrichtung auf Gott hin in den Blick genommen wird.“2

Die wachsende Identifizierung mit Christus und die Vertiefung des Gebets- und Glaubenslebens stehen dabei im Zentrum, ebenso wie das Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes, durch den Gott die begleitete Person bewegt und führt. In diesem Sinne ist die geistliche Begleitung ein gemeinsames Hinhören auf die Eingebungen des Heiligen Geistes. Die Rolle des Begleiters ist es, dem Begleiteten zu einer immer gelasseneren und sichereren geistlichen Reife und inneren Freiheit zu verhelfen.

Geistliche Begleitung im Opus Dei

Wie wird im Opus Dei geistliche Begleitung gehandhabt? In den Anfängen des Opus Dei haben sich die Gläubigen zwanglos an den jungen Priester Josefmaria Escrivá gewandt und ihm erzählt, wie sie auf ihrem geistlichen Weg vorankommen, welche Sorgen und Nöte sie haben, einfach alles, was sie bewegte. Nachdem das Opus Dei gewachsen war, konnten sich die Mitglieder nicht mehr alle an den Gründer wenden. So entstand die Gewohnheit, dass die Mitglieder regelmäßig mit jemandem – auch mit Laien – sprachen. Dies wurde „brüderliches Gespräch“ oder auch „Aussprache“ genannt und nahm für die Mitglieder zunehmend auch eine orientierend bildende Funktion im Hinblick auf die Art und Weise die Spiritualität des Werkes und die eigene Berufung inmitten der Welt zu leben an.

In der geistlichen Theologie war es stets wichtig – wie eingangs bereits erwähnt –, deutlich zu machen, dass der Heilige Geist es ist, der führt, und der Begleiter ein „bloßes“ Werkzeug in den Händen Gottes ist (vgl. auch 1 Kor 3, 7-9)3. Sie übernehmen ihre Aufgabe in dem Wissen, dass neben menschlichen Voraussetzungen ihr Gebet für die betreffende Person sowie ihr eigenes Bemühen um eine tiefe Gottesbeziehung Voraussetzung dafür sind, ihren Dienst als Begleiter ausüben zu können.4

Beide, Begleiter und jene Person, die eine geistliche Begleitung in Anspruch nimmt, müssen Hörer des Wortes Gottes sein. In diesem Sinne rät der Gründer des Opus Dei, der heilige Josefmaria Escrivá (1902-1975), in Texten wie etwa „Der Weg“ (1934), die Ratschläge, die in der geistlichen Begleitung von Priestern, aber auch von Laien gegeben werden, in geistlichem Gehorsam anzunehmen.5 Die entsprechenden Formulierungen müssen im Kontext der damaligen Zeit gesehen werden, als die Rede vom geistlichen Gehorsam durchaus nichts Ungewöhnliches war.

Gehorsam hat heute oft einen negativen Beigeschmack. Es lässt an blinden Gehorsam, an erzwungenen Gehorsam gegenüber zweifelhaften Autoritäten denken. Der Gehorsam gegenüber Gott ist jedoch eine in Freiheit und Liebe getroffene Entscheidung. Die Begleitung gibt Orientierung und Ratschläge, nicht aber strikte Anweisungen.6 Das hatte der heilige Josefmaria immer schon vor Augen und auch unmissverständlich klargemacht. In einem Interview im Jahr 1967 führte er dies wie folgt aus: „Ohne Freiheit und Eigenverantwortung gibt es für mich keinen wahrhaft christlichen Gehorsam. Die Kinder Gottes sind keine Steine oder Kadaver, sie sind freie und vernünftige Menschen.“7

In einem anderen Interview aus dem Jahr 1968 betonte er: „Der Rat eines anderen Christen und besonders - was die Fragen der Moral und des Glaubens angeht - der Rat eines Priesters ist sicherlich eine wesentliche Hilfe, um zu erkennen, was Gott in einer bestimmten Situation von uns will. Aber ein Ratschlag schaltet niemals die persönliche Verantwortung aus; die Entscheidung liegt letztlich bei jedem einzelnen von uns, und wir selbst haben sie persönlich vor Gott zu verantworten. Eine geistliche Leitung darf nicht darauf hinauslaufen, Menschen ohne eigenes Urteilsvermögen heranzubilden, die sich darauf beschränken auszuführen, was andere ihnen sagen. Im Gegenteil: der Sinn der geistlichen Leitung besteht gerade darin, die eigene Urteilsfähigkeit zu stärken; und ein eigenes, unabhängiges Urteil setzt charakterliche Reife, ausreichende Kenntnis der christlichen Lehre, Feinfühligkeit und Willensstärke voraus.“8 Und der heilige Josefmaria betonte immer die persönliche Freiheit: „Ohne Freiheit kann man Gott nicht lieben.“9

Eine persönliche geistliche Begleitung durch Priester, aber auch durch Laien, Frauen und Männer, bietet die Prälatur Opus Dei jedem an, der dies möchte. Viele Menschen nehmen das gerne in Anspruch.

Wichtige bedenkenswerte Aspekte geistlicher Begleitung

Doch gerade das, was helfen und stärken soll, kann manchmal großen Schaden anrichten. Verhältnisse, in denen sich jemand einem anderen Menschen existentiell anvertraut und seine Intimsphäre teilt, sind durch eine Asymmetrie gekennzeichnet, so das Verhältnis zwischen Arzt und Patient, Priester und Beichtenden, Psychotherapeut und Patient, geistlichem Begleiter und Begleitetem. Hier bedarf es einer besonderen Wachsamkeit, um rechtzeitig zu erkennen, wo Vertrauensverhältnisse ausgenützt werden, Menschen in Abhängigkeiten geraten oder seelisch und psychisch verletzt werden.

In der katholischen Kirche hat ein Prozess eingesetzt, Fällen von sog. „geistlichem Missbrauch“ besondere Aufmerksamkeit zu schenken und diese aufzuarbeiten. Dabei geht es darum, im spezifischen Rahmen von geistlicher Begleitung entstandene Machtverhältnisse, Übergriffe sowie objektive und subjektiv empfundene Einengungen und Abhängigkeiten anzuerkennen und den Betroffenen, denen dadurch Leid zugefügt wurde, Wiedergutmachung zu leisten.

Das Opus Dei sieht eine große pastorale Verantwortung darin, Menschen dabei zu begleiten, ihren persönlichen Weg zu Gott in Freiheit zu finden und diesen mit Freude in allen Aufs und Abs des Lebens zu gehen. Entsprechend schmerzt es die Verantwortlichen des Opus Dei, wenn sich jemand durch ein Mitglied, ob Laie oder Priester, eingeengt oder nicht gut begleitet gefühlt hat. Keine Institution ist ja von möglichen Fehltritten ihrer Mitglieder und auch eigenen Irrtümern bzgl. der Leitung gefeit.

Im Jahr 2011 gab es eine Tagung der Prälatur Opus Dei in Rom zu Themen der Bildung, bei der auch die geistliche Begleitung zur Sprache kam. Im Anschluss daran hielt der damalige Prälat des Opus Dei, Bischof Javier Echevarría, in einem Hirtenbrief an die Gläubigen der Prälatur zentrale Merkmale und präventive Strategien fest, um den Schatz der geistlichen Begleitung, den alle Mitglieder des Opus Dei in Anspruch nehmen, abzusichern: „Es handelt sich um ein Gespräch der geistlichen Leitung, das im Kontext des brüderlichen Dienstes steht und dazu verhelfen will, die tägliche Begegnung mit Christus inmitten der Welt frei und verantwortlich in ihrer ganzen Tiefe zu leben. (…). Dabei geht es darum, Rat und Hilfe zu erhalten, um im christlichen Leben voranzukommen. Der heilige Josefmaria verglich die geistliche Leitung bisweilen mit der Aufgabe eines Bruders, der sich um das Wohl seiner jüngeren Geschwister kümmert, oder eines treuen Freundes bzw. einer Freundin, die sich vom Wunsch leiten lassen, andere einzuladen, bessere Christen zu werden. Die Aussprache ist ein Zwiegespräch von Bruder zu Bruder bzw. Schwester zu Schwester, nicht eine Unterredung des Untergebenen mit seinem Vorgesetzten. Diejenigen, die diese Aussprachen entgegennehmen, handeln mit außergewöhnlichem Takt, der die Frucht ihrer ausschließlichen Sorge um das innere Leben und um das apostolische Wirken ihrer Geschwister ist. Niemals werden sie versuchen, auf andere als geistliche Angelegenheiten – etwa solche beruflichen, sozialen, kulturellen oder politischen Charakters – Einfluss zu nehmen. Im Werk wird die Trennung zwischen Ausübung der Jurisdiktionsgewalt und geistlicher Leitung in der Praxis unter anderem dadurch sichergestellt, dass diejenigen, die Aussprachen der geistlichen Leitung entgegennehmen – die lokalen Leiter und einige andere, entsprechend vorbereitete Gläubige sowie die Priester bei der Feier des Bußsakraments – keinerlei Leitungsgewalt über die betreffenden Personen besitzen.“10

Die Fortbildung zu guter geistlicher Begleitung ist auch im Opus Dei eine wichtige Aufgabe gemäß den Worten von Papst Franziskus: „Die Kirche wird ihre Glieder – Priester, Ordensleute und Laien – in diese ‚Kunst der Begleitung‘ einführen müssen, damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex 3,5). Wir müssen unserem Wandel den heilsamen Rhythmus der Zuwendung geben, mit einem achtungsvollen Blick voll des Mitleids, der aber zugleich heilt, befreit und zum Reifen im christlichen Leben ermuntert.“11

Die Verantwortlichen des Opus Dei tragen dafür Sorge, dass jene, die eine Aufgabe als geistliche Begleiter innerhalb des Opus Dei ausüben, entsprechende pastorale Schulungen und Fortbildungen absolvieren und einer ständigen internen Reflexion unterliegen. Bereits eingerichtet ist eine Anlaufstelle mit Ansprechpersonen für die Untersuchung von Fällen von eventuellem sexuellen Missbrauch durch Gläubige der Prälatur (siehe); diese Anlaufstelle ist sicher auch als Anlaufstelle für Fälle von Vertrauensmissbrauch geeignet, da sexueller Missbrauch immer auch etwas mit Vertrauensmissbrauch zu tun hat.

Weiterführende Literatur, in der Gedanken des heiligen Josefmaria Escrivá zur geistlichen Begleitung aufgegriffen werden:

Francisco F. Carvajal „Sicher ans Ziel – Vom Sinn der geistlichen Begleitung“, Fassbaender-Verlag Wien, 2021

Peter Blank „Nicht allein – Wege geistlicher Begleitung“, Adamas-Verlag Köln, 2018

1 Mit den Begriffen „Begleiter“ und „Begleitetem“ sind weibliche wie auch männliche Personen gemeint.

2 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz., Bonn 2014.– Die deutschen Bischöfe – Pastoralkommission; 39, S.12.

3 1 Kor 7: So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt. 8 Wer pflanzt und wer begießt: Beide sind eins, jeder aber erhält seinen eigenen Lohn entsprechend seiner Mühe. 9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau.

4 „Mehr denn je brauchen wir Männer und Frauen, die aus ihrer Erfahrung als Begleiter die Vorgehensweise kennen, die sich durch Klugheit auszeichnet sowie durch die Fähigkeit zum Verstehen, durch die Kunst des Wartens sowie durch die Fügsamkeit dem Geist gegenüber“ (Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 24.11.2013, Nr. 171).

5 Das Buch „Der Weg“ (vgl. https://de.escrivaworks.org/book/der_weg-inhalt.htm) erschien erstmals 1934 bzw. in der heutigen Form 1939; es besteht aus 999 Aphorismen, die Escrivás 1925 einsetzende Pastoralbemühungen widerspiegeln. Es richtet sich an Leser mit christlichem Grundverständnis und hat bisher eine Auflage von rund 4.500.000 Exemplaren in 43 Sprachen erreicht. Aphorismen wie etwa Nr. 177 oder 941 können, wenn sie losgelöst vom Kontext zitiert werden, was Kritiker mitunter tun, zu Missverständnissen führen.

6 Vgl. Brief des hl. Josefmaria Escrivá vom 8.8.1956, zitiert in: Ernst Burkhart, Javier López, Alltag und Heiligkeit in der Lehre des heiligen Josefmaria: Studie zur spirituellen Theologie, Band III, Adamas-Verlag, Köln, 2017, S. 581.

7 Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer, Adamas-Verlag, Köln 1991, Nr. 2 (https://de.escrivaworks.org/book/gesprache-nummern-2.htm).

8 Ibid. Nr. 93.

9 Vgl. Salvador Bernal, Msgr. Escrivá de Balaguer. Aufzeichnungen über den Gründer des Opus Dei, Adamas Verlag, Köln 1978, S. 272 f.

10 Bischof Javier Echevarría, Hirtenbrief, 2.10.2011, Nr. 14 und 15.

11 Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 24.11.2013, Nr. 169.