Der Papst im Leben des Christen

Antonio Miralles. Veröffentlicht in „Romana“, Nr. 10 (1990).

Statue des ersten Papstes Petrus vor dem Petersdom in Rom

„Wir Katholiken müssen bedenken: Nach Gott und nach der heiligen Maria, unserer Mutter, folgt in der Rangordnung der Liebe und Autorität der Heilige Vater“ (1). Diese Worte des ehrwürdigen Dieners Gottes Josefmaria Escrivá umreißen ein präzises Programm der christlichen Existenz, das durch die Liebe gekennzeichnet ist, durch jenes Wandeln in der Liebe, das Losungswort der Kinder Gottes ist (2). Liebe, deren Wesen und Dynamik durch ihre Quelle, den ungeschaffenen Gott, bestimmt sind – die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist (3) – und durch ihren Gegenstand: Gott selbst steht an erster Stelle und durch ihn alle Kinder Gottes, als erstes unter ihnen Maria, die Tochter, Mutter und Braut Gottes und hier auf der Erde unmittelbar danach der Papst.

Wie viel ist ein menschliches Herz wert? Das, was seine Liebe wert ist. Und das Herz des katholischen Gläubigen wird durch den Ruf zu dieser Ordnung in der Liebe geadelt: Gott - die Muttergottes, unsere Herrin - der Papst. Die auf diese Weise geordnete Liebe wird zu einem kraftvollen Motor für das tägliche Leben, dieses Wandelns in der Liebe, wie der heilige Paulus sagt, indem er eine sehr ausdrucksstarke hebräische Sprechweise für das Alltägliche übernimmt, das heißt, für das christliche Verhalten, das weniger durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt ist als durch den Rhythmus eines gewöhnlichen und unspektakulären Tagesablaufs ohne Überraschungen.

Wie soll man dem Papst in unserem Leben eine derartig bedeutende Stellung einräumen, wenn sich Gelegenheiten der persönlichen Begegnung mit ihm, zumindest der physischen Nähe, selten, wenn überhaupt, bieten? Da wir nicht auf so seltene Momente warten können, um dem Heiligen Vater unsere persönliche Zuneigung zu zeigen, ist es notwendig, über die Gründe für seine so hohe Stellung in der Hierarchie der Liebe tiefer nachzudenken.

Der erste Grund, der uns einfällt, ist sein Titel des Stellvertreters Christi. Das Wort „Stellvertreter“, das viel zu sagen scheint, benötigt jedoch eine zusätzliche Erklärung, um seine ganz Bedeutung zu verstehen. Es genügt daran zu denken, dass das 2. Vatikanische Konzil von den Bischöfen sagt, dass „sie die ihnen zugewiesenen Teilkirchen als Stellvertreter und Gesandte Christi leiten“ (4); und von den Priestern lehrt dasselbe Konzil, dass „sie mit einem besonderen Siegel gezeichnet sind und auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig gemacht werden, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln können“ (5).

Nun gut, ich denke nicht, dass das christliche Volk mit seinem Glaubenssinn im Papst nur den Ersten in der kirchlichen Hierarchie erblickt, als denjenigen, der an der Spitze steht. Auch wenn die Priester, vor allem im Augenblick der Konsekration der Eucharistie, auf besondere Weise mit Christus sakramental identifiziert sind und „in der Person der Bischöfe (…) der Herr Jesus Christus inmitten der Gläubigen gegenwärtig ist“(6), so muss man doch das Petrusamt unter einem anderen Blickwinkel sehen: für jeden Gläubigen ist der Papst nicht wie sein Pfarrer, wenn auch höheren Ranges oder mit mehr Macht; er ist auch nicht wie sein Bischof, wenn auch mit höherer Würde ausgestattet. Die Beziehung ist anderer Art und eng verbunden mit der Beziehung zu Christus selbst. Sie müssen wir genauer untersuchen, um genauer zu erfahren, was es für den Christen bedeutet, dass der Papst Stellvertreter Christi auf der Erde ist.

Die besondere Zugehörigkeit zu Christus durch die Taufe

Durch die Taufe gehört der Christ Christus an. Dieses Ereignis setzt ihn in unmittelbare Beziehung zu Christus; seine Merkmale können wir mit fortschreitender Klarheit und Schärfe durch die Analyse einer Reihe von neutestamentarischen Texten ableiten.

Das erste Merkmal der Zugehörigkeit zu Christus zeigt sich in der Antwort von Petrus auf die Frage der Bekehrten am Pfingsttag: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus antwortete ihnen: Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen (7). „Im Namen Jesu Christi“ will sagen, dass die Taufe mit der Autorität Jesu gespendet wird, und dieser sind die Wirkungen der Vergebung der Sünden und der Gabe des Heiligen Geistes zuzuschreiben (8).

Die Apostelgeschichte zeigt auf, dass die Taufe – außer, dass sie auf die Autorität Jesu gegründet ist – auch die Anrufung seines Namens einschließt (9), das heißt, dass der Getaufte Jesus als Christus anerkennt und sich seiner Macht unterordnet.

Die paulinischen Briefe lassen uns erkennen, dass die Macht Christi, die in der Taufe wirkt, eine solche Tiefe erreicht, dass der Getaufte des österlichen Ereignisses selbst, das sich in Christus verwirklicht hat – seines Todes und seiner Auferstehung -, teilhaftig wird. Sowohl der Römer- als auch der Kolosserbrief sind besonders explizit in dieser Hinsicht (10). Eine solche Teilhabe am Tod und an der Auferstehung des Herrn begründet ein neues Leben mit Christus und in Christus (11).

Damit lässt es Paulus nicht bewenden, sondern er greift auf ein sehr ausdrucksvolles Bild zurück: Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Die Adressaten des Briefes des heiligen Paulus konnten diesen Vergleich gut verstehen, weil er mehrmals im Alten Testament im Sinn der Übernahme einer moralischen – sowohl guten als auch schlechten – Verpflichtung vorkommt (13). Auch die profane Sprache kannte die bildliche Verwendung des Begriffs „sich bekleiden“ (14). Die Worte des Apostels gehen jedoch über eine rein sittliche Disposition zur Nachahmung Christi, die eine gewisse Identifikation mit ihm ermöglicht, hinaus. Es ist ganz sicher, dass wir Kinder Gottes werden und uns mit den anderen Getauften so sehr vereinen, dass wir in Jesus Christus eins werden und sowohl jede religiöse Diskriminierung (Jude oder Grieche), als auch soziale (Sklave oder Freier) und natürliche (Mann oder Frau) überwinden (15).

Das Eins-Sein in Christus erklärt der heilige Paulus mit der Lehre des Leibes, den alle Getauften bilden (16). Das Bild der Gesamtheit als Leib mochte den Empfängern der paulinischen Briefe in gewisser Weise vertraut sein, da es auch die heidnische Literatur sowohl auf den ganzen Kosmos wie auf die Stadt oder andere menschliche Gemeinschaften anwandte (17). Der heilige Paulus bleibt jedoch nicht beim Sinn des profanen Gleichnisses und, indem er es weit übersteigt, präsentiert er Christus als einigendes Prinzip dieses Leibes, den er sogar Leib Christi nennt (18). Die Briefe an die Epheser und an die Kolosser präzisieren außerdem, dass Christus das Haupt seines Leibes, der Kirche, ist (19).

Er ist also Leib Christi, weil Er sein Haupt, sein einigendes und belebendes Prinzip ist, aber auch, weil der neue Mensch, der Juden und Heiden einschließt, sich im gekreuzigten Leib Christi gebildet hat (20). Als Ziel der erlösenden Tätigkeit des Herrn gibt der Apostel die Schöpfung eines einzigen neuen Menschen in Christus an; und er erwähnt das Kreuz, um verständlich zu machen, dass es der Leib Christi am Kreuz ist, wo sie sich verwirklicht (21). Der Taufcharakter des ganzen Epheserbriefes zeigt klar, dass jeder Gläubige sich durch die Taufe in diesen Heilsvorgang eingliedert.

Gleich danach wird der in Christus neu geschaffene Mensch mit einem anderen Bild beschrieben, mit dem des Bauwerks, dessen Schlussstein Christus selbst ist; in ihm sind die Gläubigen als Tempel Gottes im Geist aufgebaut (22). Es ist notwendig, auf den Vergleich mit dem Bauwerk zu achten, denn er findet sich auch im Text der Verheißung des Primats an Petrus. Mit diesem und anderen Bildern lässt uns der Apostel tief und ausdrucksstark verschiedene Dimensionen der Zugehörigkeit zu Christus durch die Taufe erkennen.

Christus und Petrus

Auch wenn wir uns der Grenzen der bisher durchgeführten Annäherung an das Geheimnis bewusst sind, so haben wir doch eine Antwort auf die Frage, in welcher Beziehung der Christ zu Christus steht, umrissen. Aber die anfängliche Frage bezog sich auf die Beziehung zum Papst. Die Antwort ergibt sich aus der Untersuchung der Beziehung zwischen Christus und Petrus.

Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen (23). Die Echtheit dieser Worte des Herrn, zusammen mit dem vorangehenden und nachfolgenden Vers, ist klar bewiesen, nicht nur, weil sie in den ältesten Kodizes dieses Evangeliums enthalten sind – was mehr als ausreichend wäre-, sondern auch durch ihren evident semitischen Charakter, wie die neuesten vergleichenden Studien mit dem Vokabular des Qumrân bestätigen (24).

Das Gespräch des Herrn mit Simon Petrus enthält so starke Hinweise auf die konkrete Person des Apostels, dass jede Interpretation, die den Sinn des Felsens (25) auf das bloße Bekenntnis des messianischen Glaubens oder auf Petrus als Repräsentant aller Gläubigen (26) reduziert, ausgeschlossen ist. Bekanntlich kommt die Metapher des Felsens, die sich auf Gott bezieht, im Alten Testament häufig vor (27). Christus wendet dieses Bild auf Petrus an und sagt, dass er auf ihn seine Kirche bauen wird, indem er ihm eine Funktion zuweist, die Christus eigen ist. So erklärt der heilige Leo der Große: „Du bist Petrus. Das bedeutet: wenn ich der unzerstörbare Fels bin,der Schlussstein, der aus den zwei Völkern ein einziges machte(Eph. 2,20.14), das Fundament, das niemand ersetzen kann, dann bist auch du Fels, denn meine Kraft macht dich stark, und so hast du, was mir in Vollmacht zukommt, mit mir zusammen durch Teilhabe“ (28).

Die Kirche Christi, die von ihm selbst wie ein Gebäude errichtet ist, ist auf Petrus wie auf einem Felsen aufgebaut. Christus hat die Kirche errichtet, nicht nur, indem er sie mit Mitteln des Heils und organisatorischen Strukturen ausstattete, sondern auch und vor allem, indem er in seinem Leib am Kreuz den neuen Menschen schuf, das neue Volk Gottes, das Erbe der Verheißungen ist (29). Dieser letzte Aspekt wird im ersten Petrusbrief, immer unter dem Bild des Bauwerks, offenbar: Kommt zu ihm (Christus), dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen. (…) Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde (30). Der heilige Petrus wendet die höchsten Ehrentitel des Volks des Alten Bundes auf die Getauften an: Sie bilden jetzt das neue messianische Volk, das von Christus als Tempel und heilige Priesterschaft errichtet ist, als Volk, das Gott für sich erworben hat. Wie wir in Apg. 20,28 lesen, wurde es mit seinem Blut erworben, das heißt, durch das erlösende Opfer des Kreuzes (31).

Die Kirche gehört Christus, weil er sie durch das erlösende Opfer erwarb und sie in seinem Leib auf dem Kreuz errichtete. Deshalb vibrieren im Adjektiv meine die Kraft und das Drama von Golgota, wenn Christus „meine Kirche“ sagt. Die Hinzufügung, auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen, bedeutet, Petrus auf einzigartige Weise mit dem bewundernswerten Werk zu verbinden, das Er am Kreuz verwirklichen sollte. In diesem Sinn ist der Ausdruck „der Christus auf der Erde“, mit dem die heilige Katharina von Siena gerne den Papst bezeichnete, besonders genau und treffend (32).

Einen klassischen Text in Bezug auf den Petrusdienst stellt der Dialog in Joh 21,15-17 dar: Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer. Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe. Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Hast du mich lieb? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich lieb habe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe. Hier repräsentiert Petrus weder alle Jünger noch die kleinere Gruppe der Apostel, auch wenn von uns allen eine Antwort der Liebe verlangt wird, und wenn später alle Apostel an der Sendung, die Gläubigen zu weiden, teilhaben werden. Dieser Dialog betrifft Petrus auf eine ganz persönliche Weise: Es wird, auch wenn sie nicht genannt wird, die dreifache Verleugnung im Palast des Hohenpriesters in Erinnerung gerufen, und Jesus verlangt von Petrus eine Antwort, die jene Verleugnungen von Grund auf korrigiert.

Auf die Antwort, mit der Petrus seine Liebe bezeugt, reagiert der Herr, indem er ihm seine Lämmer, seine Schafe anvertraut. Diese Ausdrucksweise erschien sehr verständlich im Licht dessen, was er über sich selbst als guter Hirt gesagt hatte: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt das Leben für seine Schafe (33). Indem er sich des Bildes des guten Hirten bedient, tut er nichts anderes, als die Prophezeiung von Jahwe, dem Hirten seines Volkes und mit ihm seines Knechtes David (34), als erfüllt auf sich selbst anzuwenden. Er fügt jedoch jetzt ein Element, das in der Prophezeiung von Ezechiel nicht explizit aufscheint, hinzu: die Hingabe seines Lebens für seine Schafe. Und außerdem wird die anfängliche Herde durch andere Schafe, die jetzt nicht zu ihr gehören, ergänzt: Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten (35). Die Bezugnahme auf die Heiden ist klar, aber es ist darauf hinzuweisen, dass die Erweiterung der Herde mit dem Opfer Jesu, der sein eigenes Leben hingab, verbunden ist, wie sowohl der vorangehende als auch der folgende Vers zeigen (36).

So wie Jesus Petrus sagte, dass er auf ihn seine Kirche bauen werde, und das geschah am Kreuz, so vertraut er ihm jetzt auf ähnliche Weise seine Schafe an, das heißt, die mit seinem Opfer verbundene Herde. Petrus hat eine dreifache, persönliche Antwort der Liebe gegeben, und Jesus antwortet ebenfalls auf eine persönliche Weise: das, was ihm auf Golgota sogar sein Leben gekostet hat, eben das vertraut er jetzt Petrus an. Wer ist Petrus also für die Mitglieder der ihm anvertrauten Herde? Von neuem scheint uns die Bezeichnung der heiligen Katharina von Siena „der Christus auf der Erde“ die genaueste Antwort.

Petrus ist in seinen Nachfolgern gegenwärtig

Petrus ist nicht bloß das erste Glied einer historischen Kette von Bischöfen von Rom; er existiert weiter in seinen Nachfolgern (37). Als der päpstliche Legat im Jahr 431 auf dem Konzil von Ephesus verkündete, dass der Apostel Petrus „bis jetzt und immer in seinen Nachfolgern lebt und urteilt“, und Papst Coelestin feststellte, „dass er ihm nachfolgt und seine Stelle einnimmt (= sein Stellvertreter, topotêrêtês, ist)“ (38), drückt er mit synthetischer Klarheit den Sinn des Glaubens der Kirche aus (39).

Der Papst, Bischof von Rom, ist immer, unabhängig vom Namen und der Person, „der Christus auf der Erde“, denn in ihm besteht das Dienstamt des Petrus weiter, dieses Amt, das Jesus Christus auf so persönliche Weise dem Apostelfürsten anvertraut hat. Auf ihn hat der Herr seine Kirche errichtet und dieses Fundament wird niemals ersetzt und noch viel weniger abgeschafft werden. Das brachte der heilige Papst Leo der Große, Mitte des 5. Jahrhunderts, in einer seiner berühmten Predigten zum Ausdruck: „Petrus, der in der empfangenen Festigkeit ausharrt, verlässt nie das Steuer der Kirche, die ihm anvertraut wurde (…). Er verwirklicht jetzt, mit größerer Fülle und Wirksamkeit, alles, was ihm aufgetragen wurde, und erfüllt in dem und mit dem, der ihn verherrlicht hat, alle seine Aufgaben und Dienste vollkommen. Wenn wir daher etwas richtig tun und entscheiden, wenn wir etwas durch die täglichen Gebete von der Barmherzigkeit Gottes erlangen, dann ist es Werk und Verdienst dessen, in dessen Sitz seine Macht lebt und seine große Autorität besteht“ (40).

Der gläubige Christ steht durch seine Zugehörigkeit zu Christus durch die Taufe in einer besonderen Beziehung zu Petrus; mit Petrus hier auf Erden in der Sichtbarkeit der pilgernden Kirche, weil das „Christus auf der Erde“ sein in der charakteristischen und eigenen Weise, die dem Apostelfürsten entspricht, nie verlorengeht, trotz seines Martyriums und infolgedessen seines physischen Verschwindens. Das ist so, weil in den Päpsten das Petrusamt bestehen bleibt: sie bleiben weiter Petrus und daher „Christus auf der Erde“.

Petrus im alltäglichen Leben des Christen

Die vorausgehenden Erwägungen haben uns geholfen, besser zu verstehen, warum Petrus – der Papst und Petrus zu sagen, bedeutet in der Praxis dasselbe – eine so hohe Stellung in der Hierarchie der Liebe einnimmt. Einen Platz so nahe bei Christus, der nur von dem der Muttergottes, unserer Herrin übertroffen wird, hat ihren Grund in der besonderen vikariellen Beziehung des Petrus in Bezug auf Christus. Denn wie das Christus-Sein, das das Wesen des christlichen Lebens ausmacht, vielfältige Ausdrucksformen im Alltag unserer Existenz findet, so verlangt analog unsere Beziehung zum „Christus auf der Erde“, dass sie sich auch konkret im Alltag zeigt.

Zusätzlich zu jeglicher noch so gut begründeter Argumentation wird es vielleicht nützlich sein, sich das Beispiel des Lebens des Ehrwürdigen Dieners Gottes Josefmaria Escrivá vor Augen zu führen. Schon als junger Priester hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Tag den Rosenkranz für den Papst und seine Anliegen zu beten. Er stellte sich vor, neben dem Papst zu sein, wenn dieser die Heilige Messe feierte, und am Ende verrichtete er eine geistige Kommunion mit dem Wunsch, das Heiligste Sakrament aus seinen Händen zu empfangen (41). Dieser greifbare Beweis des Glaubens lässt uns verstehen, dass sein Motto „Omnes cum Petro ad Iesum per Mariam! – Mögen wir alle, eng vereint mit dem Papst, zu Jesus gehen, durch Maria“ (42), nicht bloß ein schöner Satz war, sondern eine wirkliche Sehnsucht seines Herzens ausdrückte.

Die Einheit mit Christus, die eifrig im eigenen Leben gesucht wird, kann nicht und darf nicht ohne Bezug zum „Christus auf der Erde“ sein. Seine Beziehung zu Jesus ist als Nachfolger des Petrus aus so vielen Gründen so einzigartig, dass kein anderer sie teilen kann; aber es ist auch wahr, dass jede christliche Generation aufgerufen ist, die betende Haltung der ersten Gemeinde von Jerusalem neu zu erwecken: Die Gemeinde betete inständig für ihn zu Gott (43). Das Gebet kann unaufhörlich zu Gott emporsteigen, da abgesehen von den Zeiten des Gebets – sei es gemeinschaftlich, wie in der Liturgie der Messe, oder sei es individuell -, alle menschlichen Tätigkeiten, wenn sie mit reiner Absicht verrichtet und Gott aufgeopfert werden, sich mit dem ununterbrochenen Hymnus des Lobes und des Dankes, der Sühne und der Bitte vereinigen, der sich von Golgota zum himmlischen Vater erhebt (44).

Das auf Petrus gebaute Gebäude der Kirche kann so belastbar werden, dass es jede menschliche Macht überwindet; aber zugleich besitzt das ununterbrochene Gebet der ganzen Kirche eine Kraft, die fähig ist, jede noch so große Last zu tragen. Wenn sich das Gebet sozusagen inkarniert und im Opfer materialisiert, dann bereichert es sich noch mehr durch die Macht des Kreuzes. Diese Überzeugung drücken die Worte Johannes Pauls II. in seiner Betrachtung über das Leiden zum Ausdruck: „Die Kirche sieht in allen Brüdern und Schwestern Christi, die leiden, gleichsam ein Subjekt, das ihre übernatürliche Kraft vervielfacht. Wie häufig suchen die Hirten der Kirche gerade bei ihnen Zuflucht und suchen eben bei ihnen Hilfe und Stütze!“ (45). In dieser Anspielung auf die Hirten, die diskret durch die Verwendung des Plural verborgen ist, scheint das durch die persönliche Erfahrung bestärkte Vertrauen des Papstes auf die Unterstützung durch, die ihm die Treue im Leid unzähliger, den Menschen unbekannter Christen bietet, deren Gott gut bekannte Gebete zu ihm wie wohlriechender Weihrauch emporsteigen (46).

Die effektive und affektive Einheit mit dem Papst bewirkt auf diese Weise, dass das Gebet vom Gehorsam begleitet wird. „Bedenkt, meine geliebten Brüder und Schwestern, dass dieses riesige Erbe, das Jesus dem Papst hinterlassen hat, die ganze Herde zu weiden, auch jene verstreute und jene, die ihn nicht als Hirten anerkennen, erleichtert, getragen und sogar geteilt werden kann durch den Gehorsam und die Fügsamkeit von uns, die wir die Ehre, den Stolz und das Glück haben, uns Katholiken zu nennen“ (47).

Die Lehren und die Anordnungen des Nachfolgers des Petrus aufrichtig anzunehmen, ist voller und wahrhaftiger Ausdruck des Wunsches nach Vereinigung mit Christus und der Annahme seines Wortes. Das wird sich gewiss im persönlichen Verhalten äußern und sich durch das Beispiel und ein klärendes Wort in ein äußerst wirksames Apostolat verwandeln, das sehr zur Einheit der Kirche beiträgt, da es die Einheit der Gläubigen mit dem sichtbaren Haupt der Kirche stärkt. Im Falle, dass es nötig ist, sogar tief verwurzelte Handlungs- und Auffassungskriterien zu berichtigen, wird eine solche Treue, die nicht selten im Gegensatz zu allgemein verbreiteten Denkweisen und Werten steht, ein wirklicher Beweis sein, dass man sich auf das Fundament des Felsens der Kirche stützt: und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen (48).

Antonio Miralles

Päpstliche Universität vom Heiligen Kreuz


(1) Josefmaria Escrivá de Balaguer, Im Feuer der Schmiede, Nr. 135.

(2) Vgl. Eph 5,1-2.

(3) Röm 5,5.

(4) Dogm. Konst. Lumen gentium, 27a.

(5) Dekret Presbyterorum Ordinis, 2c.

(6) Dogm. Konst. Lumen gentium, 21a.

(7) Apg 2,37-38.

(8) Vgl. C. Spicq, Teología Moral del Nuevo Testamento, I, Ed. Universidad de Navarra, Pamplona 1970, S. 61.

(9) Siehe die Aufforderung von Hananias an Saulus: Steh auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen, und rufe seinen Namen an!(Apg 22,16).

(10) Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein (Röm 6,4-5).Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat (Kol 2,12).

(11) Wir werden auch mit ihm leben (Röm 6,8); die für Gott leben in Christus Jesus (Röm 6,11).

(12) Gal 3,27.

(13) Bekleide dich mit Macht (Jes 51,9). Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit; der Herr hat sich bekleidet und mit Macht umgürtet (Ps 93,1). In Schmach und Schande sollen alle sich kleiden, die mich beleidigen (vgl. Ps 35,26). Ich bekleidete mich mit Gerechtigkeit (Ijob 29,14).

(14) Vgl. F. Messner, La lettera ai Galati („Commentario teologico del Nuovo Testamento“, IX), Paideia, Brescia 1987, S. 408-409.

(15) Vgl. Gal 3,26-29.

(16) Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen; und alle wurden wir mit dem einen Geist ge-tränkt (1 Kor 12,12-13).

(17) Vgl. H. Schlier, La lettera agli Efesini (“Commentario teologico del Nuevo Testamento“, X/2), Paideia, Brescia 1973, S. 132-134.

(18) Ihr seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm (1 Kor 12,27).

(19) Vgl. Eph 1,22-23; 4,15-16; 5,23; Kol 1,18; 2,19.

(20) Er ist unser Friede: Er vereinigte die beiden Teile (…); er machte sie in seiner Person zu einem neuen Menschen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet (Eph 2,14-16).

(21) Schlier, o.c., S. 207-209.

(22) Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut, der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut (Eph 2,19-22).

(23) Mt 16,18.

(24) Vgl. J.M. Casciaro Ramírez, Qumrân y el Nuevo Testamento (Aspectos eclesiológicos y soterio-lógicos), EUNSA, Pamplona 1982, S. 64-66, 70-73, 135-139.

(25) Auf diesen Felsen (pétra) werde ich meine Kirche bauen. Pétra ist das natürliche Fundament, auf das sich das künstliche (themélion) stützt; der Unterschied zwischen diesen beiden Fundamenten er-scheint klar im Gleichnis vom klugen Mann, der sein Haus auf den Felsen baut: Er ist wie ein Mann, der ein Haus baute und dabei die Erde tief aushob und das Fundament (themélion)auf einen Felsen(epì tên pétran)stellte (Lk 6,48).

(26) Die Interpretation dieser Stelle als Versprechen des Jurisdiktionprimats über die ganze Kirche ist vom I. Vatikanischen Konzil, Dogm. Konst. Pastor Aeternus, 18.7.1870, 1. Kap. (DS 3053f) feierlich definiert worden.

(27) Vgl. Ps 31,4; 2 Sam 23,3; Jes 17,10.

(28) Tractatus IV in Natale eiusdem, 2: CCL 138, S. 19.

(29) Das haben wir oben bei der Behandlung de Texte Eph 2,16, 19-22 gesehen.

(30) 1 Petr 2,4-.9.

(31) Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat (Apg 20,28).

(32) „Ihr wisst gut, dass Christus seinen Stellvertreter hinterlassen hat, und das zum Wohl eurer Seelen tat; denn wir können keine Gesundheit haben außer im mystischen Leib der heiligen Kirche, deren Haupt Christus ist, und wir sind die Glieder. Und wer dem Christus auf der Erde nicht gehorsam ist, der Stellvertreter Christi im Himmel ist, hat nicht teil an der Frucht des Sohnes Gottes“ (hl. Katharina von Siena, Le lettere, III, Hsg. P. Misciatelli, COE Giunti – G. Barberà, Firenze 1970, S. 207-208.

(33) Joh 10,11.

(34) Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern (…). Die verloren gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist (…). Ich setze für sie einen einzigen Hirten ein, der sie auf die Weide führt, meinen Knecht David. Er wird sie weiden, und er wird ihr Hirt sein. Ich, der Herr, habe gesprochen (Ez 34,11.16.23-24).

(35) Joh 10,16.

(36) Ich gebe mein Leben hin für die Schafe (v. 15). Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen (v. 17).

(37) Vgl. M. Guerra, Los nombres del Papa. Estudio filológico-teológico de varios nombres del Papa en los primeros siglos del cristianismo, (“Teología del sacerdocio”, 15), Aldecoa, Burgos 1982, S. 484-488.

(38) Acta Conciliorum Oecumenicorum, t. I: Concilium Universale Ephesum, vol. I: Acta, Graeca, pars III:Collectio Vaticana, ed. E. Schwartz, Walter de Gruyter, Berolini-Lipsiae 1927, S. 60, Z. 32-34.

(39) Ein Teil dieser Worte des päpstlichen Legaten, des Priesters Philipp, ist vom I. Vatikanischen Konzil, in der dogmatischen Konstitution, Pastor aeternus de Ecclesia Christi, 2. Kap.: DS 3056, übernommen worden,

(40) Tractatus III in Natale eiusdem, 3: CCL 138, S. 12-13.

(41) „Während Jahren habe ich, auf der Straße, einen Teil des Rosenkranzes für die erhabene Person und die Anliegen des Papstes gebetet. Ich versetzte mich mit der Vorstellung neben den Heiligen Vater, wenn der Papst die Messe feierte; ich wusste nicht, noch weiß ich, wie die Kapelle des Papstes aussieht, und wenn ich meinen Rosenkranz beendet hatte, verrichtete ich eine geistige Kommunion, mit dem Wunsch Jesus im Sakrament aus seinen Händen zu empfangen“ (Brief, 9.1.1932, Nr. 20: zitiert von Ana Sastre, Tiempo de caminar. Semblanza de Monseñor Josemaría Escrivá de Balaguer, Rialp, Madrid 1989, S. 331-332).

(42) Josefmaria Escrivá, Im Feuer de Schmiede, Nr. 647.

(43) Apg 12,5.

(44) „Es sind nämlich alle ihre Werke, Gebete und apostolischen Unternehmungen, ihr Ehe- und Familienleben, die tägliche Arbeit, die geistige und körperliche Erholung, wenn sie im Geist getan werden, aber auch die Lasten des Lebens, wenn sie geduldig ertragen werden, ’geistige Opfer, wohlgefällig vor Gott durch Jesus Christus’ (1 Petr 2,5). Bei der Feier der Eucharistie werden sie mit der Darbringung des Herrenleibes dem Vater in Ehrfurcht dargeboten“ (II. Vatik. Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium, 34b).

(45) Johannes Paul II., Apost. Schreiben Salvifici doloris,11.2.1984, Nr. 27.

(46) Vgl. Offb 8,3-4.

(47) Àlvaro del Portillo, Homilie vom 27 Juni 1988, ’Romana’ 6 (1988/1) 108.

(48) Mt 16,18.

Antonio Miralles

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