Betrachtungstext: 8. Woche im Jahreskreis – Samstag

Die Vollmacht Jesu – Ein Vertrauen, das die Ängste überwindet – Die Masken durchbrechen

ALS JESUS im Tempel umherging, näherten sich ihm die jüdischen Obrigkeiten und fragten ihn: In welcher Vollmacht tust du das? Wer hat dir diese Vollmacht gegeben, das zu tun? (Mk 11,28). In der Tat haben viele von ihnen gesehen, wie der Meister Dämonen austrieb, Brote vermehrte und allein durch sein Wort Tote auferweckte. Und nicht nur das: Sie haben auch bemerkt, dass seine Lehren Menschenmengen anzuziehen vermochten und bei den Leuten Anklang fanden. Daher wollten sie wissen, mit welcher Kraft er solche Wunder vollbrachte.

Die Vollmacht Jesu ist göttlicher, nicht menschlicher Natur: Es ist sein Vater, Gott, der ihn gesalbt hat. Aus diesem Grund weist Jesus jegliche Versuche, ihn als irdischen König auszurufen, stets zurück, auch wenn ihm alles gehört. Er strebt nicht nach Erfolg oder Anerkennung, wenn er Wunder wirkt und lehrt. Ihn bewegt einzig der Wunsch, die göttliche Freundschaft mit jedem Menschen zu teilen und so den Willen seines Vaters zu erfüllen. Dies ist gewissermaßen der Schlüssel zu seiner Vollmacht.

Der Stil Jesu ist ganz anders als der der Schriftgelehrten und Gesetzeslehrer. Sie lehrten von einem erhabenen Lehrstuhl aus, zeigten jedoch oft wenig Interesse für die Menschen. Ja, diesen legten sie erdrückende Pflichten auf, ohne selbst danach zu handeln. „Die Lehre Jesu hingegen“, sagt Papst Franziskus, „ruft Staunen hervor, die Bewegung des Herzens. Denn was Vollmacht verleiht, ist die Nähe, und Jesus war den Menschen nahe und verstand daher ihre Probleme, Schmerzen und Sünden.“1 Die Pharisäer hatten ihre Autorität verloren, weil sie sich von Gott und ihren Mitmenschen entfernt hatten. Wir bitten den Herrn, dass wir diese doppelte Nähe – zu ihm und zu unseren Mitmenschen – zu pflegen wissen, damit Gott auch uns mit seiner Vollmacht salbt, die sich in der Fähigkeit zeigt, das Kostbarste mit unserem Mitmenschen zu teilen: die göttliche Freundschaft.


DIE VOLLMACHT Jesu folgt keiner menschlichen Machtlogik. Er drängt sich nicht auf, er verschafft sich kein Ansehen durch Machtgehabe. Stattdessen erobert er die Herzen der Menschen durch die Sanftheit seiner Liebe. Besonders für diejenigen, die ihm am nächsten standen, wie vor allem die Apostel, war der Herr nicht nur jemand, der erstaunliche Wunder vollbrachte und beeindruckende Reden hielt: Er war ein Meister, der sie von ganzem Herzen liebte. Tag für Tag erwies er ihnen seine Zuneigung durch kleine Aufmerksamkeiten, verbrachte Zeit mit ihnen und nahm, wenn nötig, liebevoll Korrekturen vor. Nicht umsonst sagte er zu ihnen, bevor er in den Himmel entschwand: Ich habe euch Freunde genannt (Joh 15,15).

Jesus hatte eine Beziehung zu ihnen aufgebaut, die sich nach und nach vertiefte, bis er ihnen sein Herz vollkommen öffnete. Natürlich kannte er ihre Grenzen und Schwächen. Doch das Vertrauen, das er in sie setzte, ermöglichte es ihnen, ihre Potenziale zu entdecken, die aufgrund von Unsicherheiten oder Versagensängsten bis dahin vielleicht unbemerkt geblieben waren. Das Wissen, dass Christus sie auserwählt hatte, dass er sie besser kannte als jeder andere und ihnen trotz allem vertraute, verlieh ihnen Stärke und Mut, sich auf das Abenteuer der Verkündigung einzulassen. Jesu Vertrauen, das er durch die Aussendung des Heiligen Geistes am Pfingsttag nochmals bekräftigte, machte diese Männer zu Säulen der Kirche.

„Gott bedient sich häufig echter Freundschaften, um sein Erlösungswerk zu vollbringen“2, kommentiert der Prälat des Opus Dei. Wenn ein Klima des Vertrauens herrscht, haben wir keine Angst davor, dass jemand unsere Schwächen und Kämpfe sieht oder unsere Hoffnungen und Projekte kennt: Wer uns liebt, wird uns dabei unterstützen, dass unsere Grenzen nicht zu Hindernissen werden. Um eine solche Beziehung aufzubauen, ist es wichtig, nicht isoliert innerhalb der eingespielten Bereiche unseres Lebens zu bleiben, sondern zu erkennen, dass es sich lohnt, jemandem zu begegnen, der uns mit seiner Freundschaft helfen kann. Vertrauen erzeugt Vertrauen, und selbst das Risiko, enttäuscht zu werden, ist nicht vergleichbar mit dem Gewinn, den es bedeutet, lieben zu lernen und sich lieben zu lassen. Denn durch die christliche Freundschaft sichert uns Gott seine Gegenwart zu.


JESUS TAT den ersten Schritt, um die Herzen der Apostel zu gewinnen. Und sie antworteten, indem sie ihre Herzen öffneten und alles, was sich darin befand, mit ihm teilten. Diese Beziehung unseres Herrn zu seinen Jüngern inspirierte den heiligen Josefmaria, folgenden Punkt in „Der Weg“ zu schreiben: „Du hast mir geschrieben: ,Beten ist Sprechen mit Gott. Aber wovon?‘ – Wovon? Von ihm und von dir, von Freude und Kummer, von Erfolgen und Misserfolgen, von hohen Zielen und alltäglichen Sorgen ... Von deinen Schwächen! Danksagungen und Bitten. Lieben und Sühnen. Kurz, ihn erkennen und dich erkennen: beisammen sein!“3

Je mehr Zeit wir mit jemandem verbringen, desto eher zeigen wir uns so, wie wir sind. Selbst wenn wir uns anfangs vielleicht hinter einer Maske verbergen, wird diese verschwinden, wenn die Freundschaft ehrlich ist und auf der Wahrheit eines jeden von uns basiert. Etwas Ähnliches geschieht mit Jesus: Er bietet uns eine einzigartige und aufrichtige Freundschaft an und erwartet zugleich, dass wir ihn in das Innerste und Kostbarste unserer Seele einlassen. Durch Gebet und den Umgang mit ihm können wir ihm nach und nach alle Bereiche unseres Lebens offenlegen, sowohl diejenigen, die unsere edelsten Wünsche enthalten, als auch diejenigen, die komplexer und undurchsichtiger sind und bisweilen unsere Hoffnung zu vernichten drohen. Jesus antwortet immer auf unser Vertrauen und erhellt diese Wirklichkeit mit einem optimistischen Blick, sodass wir uns gestärkt fühlen, unser Bestes zu geben.

Mütter kennen ihre Kinder mit bewundernswerter Sicherheit und Tiefe. Es scheint, als existierten für sie keine Masken, um zu verbergen, wie ihre Kinder sind oder es ihnen geht. In ihrer Weisheit lassen sie ihren Blick zu Worten werden, die ermutigen, die einen Weg nach vorne weisen, die Vertrauen sanft wiederherstellen. Maria, unsere himmlische Mutter, kennt unsere Ängste und unsere Hoffnungen. Wie in Kana zeigt sie uns den Weg zu ihrem Sohn, damit wir ihm unser Herz ganz öffnen.


1 Franziskus, Tagesmeditation, 9.1.2018.

2 Msgr. Fernando Ocáriz, Hirtenbrief, 1.11.2019, Nr. 5.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 91.