IM VERLAUF des Kirchenjahrs haben wir das Geheimnis Christi erlebt und sein Leben von Bethlehem bis zu seinem Leiden und seiner Verherrlichung in Jerusalem begleitet. Am vorletzten Sonntag der Zeit des Jahreskreises lädt uns die Kirche ein, über den jüngsten Tag nachzudenken – das Ende von Zeit, Welt und Geschichte. Aber in jenen Tagen, sagt Jesus, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit (Mk 13,24-26).
Die Apostel haben drei intensive Jahre das Leben mit Christus verbracht und seine Barmherzigkeit hautnah erlebt. Am Ende seines irdischen Lebens kündigte er ihnen an, dass er selbst wiederkommen werde, um die Geschichte der Menschheit zu vollenden. Diese Verheißung ist für uns Christen eine Quelle ständiger und süßer Hoffnung. Denn an diesem Tag „wird Gott in seinem Sohn das Urteil über die Angelegenheiten der Menschen sprechen“1. Christus ist das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende aller Dinge, der Richter der Geschichte (vgl. Offb 21,6). Alles – die gesamte Schöpfung und die menschliche Geschichte – läuft auf ihn zu.
Diese Perspektive trennt uns nicht von unseren täglichen Aufgaben, sondern gibt ihnen vielmehr einen tieferen Sinn. Papst Franziskus sagte dazu: „Für einen Christen ist das Allerwichtigste die kontinuierliche Begegnung mit dem Herrn. Durch diese tägliche Gewohnheit, mit dem Herrn des Lebens zusammen zu sein, bereiten wir uns auf die Ewigkeit vor, auf die endgültige Begegnung mit ihm. Diese wird am Ende der Welt stattfinden. Doch der Herr kommt auch jeden Tag, damit wir mit seiner Gnade in unserem Leben und im Leben anderer Gutes tun können. Unser Gott ist ein Gott-der-kommt, er enttäuscht unsere Erwartung nicht!“2
HIMMEL UND Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen (Mk 13,31). Alles in diesem Universum ist vergänglich, die gesamte Schöpfung ist von Endlichkeit geprägt. Doch inmitten dieser Vergänglichkeit sind die Worte Jesu unvergängliche Samen der Ewigkeit. Gott vergeht nicht, und alles, was von ihm kommt, bleibt bestehen. Der heilige Josefmaria betonte: „Im geistlichen Leben gibt es keine neue, künftige Epoche mehr. Alles ist schon in Christus gegeben, der starb und auferstand und lebt und für immer bleibt. Doch sollen wir uns mit ihm durch den Glauben vereinen und sein Leben in uns offenbar werden lassen.“3
Damit diese Einheit mit Christus Wirklichkeit wird und sein Wort in uns Früchte trägt, müssen wir die Stille pflegen – sowohl innerlich als auch äußerlich. Nur in der Stille kann unser Herz die Stimme Gottes hören. Papst Benedikt XVI. erklärte dazu: „Die Stille ist in der Lage, einen inneren Raum tief in uns selbst zu schaffen, um Gott dort wohnen zu lassen, damit sein Wort in uns bleibt, die Liebe zu ihm in unserem Geist und in unserem Herzen verwurzelt wird und unser Leben beseelt.“4
Alle Worte des Menschen, auch die wichtigsten, sind flüchtig. Die Worte Gottes hingegen nutzen sich nie ab, sie sind lebendig und schenken Leben in Fülle. Dies erfahren wir immer wieder, wenn uns eine Schriftstelle im Gebet oder bei der Lektüre auf neue Weise berührt oder eine vertraute Passage plötzlich in einem anderen Licht erstrahlt. Diese Begegnung mit dem Wort Gottes braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Papst Franziskus erinnerte: „Es genügt nicht, die Heilige Schrift zu lesen, man muss auch auf Jesus hören, der in ihr spricht.“5
Die göttlichen Worte werden durch das Wirken des Heiligen Geistes Teil unseres Seins, wenn wir uns auf sie einlassen. Auch Jesus selbst gibt uns ein Beispiel: Immer wieder sehen wir, wie er sich Zeit nimmt, um zu beten, innezuhalten und mit dem Vater zu sprechen – ein tiefes Lauschen, das uns zur Nachahmung einlädt.
JESUS spricht vom Ende der Geschichte, um uns, seine Jünger, zu Wachsamkeit und Aufmerksamkeit zu ermutigen. Er will, dass wir uns nicht von dem ablenken lassen, was wirklich wichtig ist. Obwohl er das Ende ankündigt, bleibt der genaue Zeitpunkt ein Geheimnis: Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater (Mk 13,32). esus lädt uns ein, in Erwartung seines Kommens zu leben, weil er weiß, dass eine solche Haltung unser Herz mit Freude und Hoffnung erfüllt. Das Warten stärkt unsere Sehnsucht, öffnet unser Herz und macht es bereit für eine wachsame, liebende Hingabe.
Papst Benedikt XVI. schreibt in der Enzyklika Spe Salvi: *„Der Ausblick auf das Gericht hat die Christenheit von frühesten Zeiten an bis in ihr tägliches Leben hinein bestimmt: als Maßstab des gegenwärtigen Lebens, als Forderung an ihr Gewissen und zugleich als Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit. Der Glaube an Christus hat nie nur nach rückwärts und nie nur nach oben, sondern immer auch nach vorn geblickt: auf die Stunde der Gerechtigkeit, die der Herr wiederholt angekündigt hatte. Dieser Blick nach vorn hat dem Christentum seine Gegenwartskraft gegeben.“6
Maria, Königin des Himmels, hilf uns, Jesus stets in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen. Lass uns mit festen Schritten in der Gegenwart leben und gleichzeitig den Blick hoffnungsvoll in die Zukunft richten. Gemeinsam beten wir mit den Worten des heutigen Tagesgebets: „Lass uns begreifen, dass wir frei werden, wenn wir uns deinem Willen unterwerfen, und dass wir die vollkommene Freude finden, wenn wir in deinem Dienst treu bleiben.“7
1 Hl. Johannes Paul II., Predigt, 19.11.2000.
2 Franziskus, Angelus-Gebet, 29.11.2020.
3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 104.
4 Benedikt XVI., Audienz, 7.3.2012.
5 Franziskus, Ansprache, 4.10.2013.
6 Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, Nr. 41.
7 Tagesgebet der Messe vom 33. Sonntag im Jahreskreis.