DAS HEUTIGE Evangelium enthält zwei Gleichnisse Jesu über das Reich Gottes: wie es aussieht und wie es wächst. Jesus greift dabei erneut auf Bilder aus dem landwirtschaftlichen Alltag zurück, die seinen Zuhörern vertraut sind. Wir sollen uns das Reich Gottes so vorstellen, erklärt er, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre (Mk 4,26-29).
In diesem Gleichnis liegt der Schwerpunkt darauf, dass der Same, der auf den Acker geworfen wird, Wurzeln schlägt und von allein wächst, ob der Bauer nun schläft oder wacht. Der Bauer vertraut auf die innewohnende Kraft des Samens – im Evangelium ist der Same ein Symbol für das Wort Gottes – und auf die Fruchtbarkeit des Bodens. Wenn dieses Wort aufgenommen wird, trägt es mit Sicherheit Früchte, denn Gott selbst lässt es keimen und reifen – auf Wegen, die wir oft nicht nachvollziehen können, und auf eine Weise, die uns unbekannt bleibt (vgl. v. 27). Das zeigt uns, dass es immer Gott ist – immer Gott –, der sein Reich wachsen lässt. Deshalb beten wir: Dein Reich komme. Gott ist derjenige, der das Wachstum schenkt. Der Mensch ist ein demütiger Mitarbeiter, der das schöpferische Wirken Gottes beobachtet, sich daran erfreut und geduldig auf dessen Früchte wartet.1
Aus der Tatsache, dass Gott das Wachstum schenkt, zog der heilige Josefmaria folgenden Schluss: „Wenn du wirklich auf den Herrn vertraust, wirst du lernen, dich mit allem zufrieden zu geben, was auf dich zukommt. Du wirst die Gelassenheit nicht verlieren, selbst wenn ein Vorhaben trotz deines persönlichen Bemühens und trotz des Einsatzes aller vernünftigen Mittel nicht so gelingt, wie du es dir erhofft hattest ... Es wird eben nur soweit in Erfüllung gegangen sein, als es den Plänen Gottes entspricht.“2
IM ZWEITEN GLEICHNIS verwendet Jesus das Bild des Senfkorns, um zu veranschaulichen, wie das Reich Gottes wächst: Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können (Mk 4,31-32). Ein heiliger Kirchenlehrer kommentierte, dass das Senfkorn ein Sinnbild für Christus ist: Durch seine Menschwerdung wurde der Sohn Gottes klein und demütig, ein Diener für alle. Er nahm das Leid des Kreuzes auf sich, starb für uns und wuchs durch seine Auferstehung in die Herrlichkeit des Himmels, wie ein mächtiger Baum, der uns Schutz bietet und die Unsterblichkeit schenkt.3
Christus, der unendlich erhaben war, wurde klein und scheinbar unbedeutend. Um Teil der Dynamik des Reiches Gottes zu werden, müssen auch wir „arm im Geist“ sein, damit Christus in uns leben kann. Diese geistige Armut bedeutet, nicht danach zu streben, in den Augen der Welt bedeutend zu erscheinen, sondern in den Augen Gottes kostbar zu sein. Gott hat eine Vorliebe für die Einfachen und Demütigen. Papst Franziskus verspricht: „Wenn wir so leben, bricht durch uns die Kraft Christi hervor und verwandelt, was klein und einfach ist, in eine Wirklichkeit, die wie ein Sauerteig die ganze Welt und die Geschichte durchwirkt.“4
Die Botschaft dieses zweiten Gleichnisses bekräftigt die des ersten. Obwohl das Reich Gottes unsere Mitarbeit erfordert, bleibt es vor allem ein Geschenk des Herrn, eine Gnade, die dem Menschen und seinen Werken vorausgeht. Papst Benedikt erklärte dazu: „Wenn unsere kleine Kraft, die gegenüber den Problemen der Welt ohnmächtig zu sein scheint, in die Kraft Gottes gelegt wird, fürchtet sie keine Hindernisse, denn der Sieg des Herrn ist gewiss. (...) Der Same geht auf und wächst, da ihn die Liebe Gottes wachsen lässt.“5
DURCH VIELE solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war (Mk 4,33-34). Mit diesen Worten schließt Markus seinen Bericht ab. Wir merken, dass der Evangelist zwischen den Menschen, die Jesu Lehren vielleicht zum ersten Mal oder nur gelegentlich hörten, und den Jüngern unterscheidet. Letzteren widmete Jesus viel Zeit, um ihnen seine Botschaft eingehend zu erklären. Auch diese Jünger waren ursprünglich Teil der Volksmenge gewesen. Vielleicht hörten sie eines Tages zufällig von Jesus, kamen aus Neugier, um ihm zuzuhören, und blieben. Nach einigen Begegnungen mit ihm wurden sie schließlich zu seinen Jüngern – nicht mehr bloße Zuhörer, sondern enge Begleiter.
Ganz ähnlich ergeht es auch uns. Wenn wir Jesus auf den Seiten des Evangeliums begegnen, erwacht in uns das Verlangen, mehr über ihn zu erfahren. Wir wollen den Sinn seines Lebens und seiner Worte verstehen. Wir spüren, dass in Christus „alle verborgenen Schätze und alle Weisheit“6 zu finden sind, und wünschen uns, durch ihn bereichert zu werden.
Es ist auch heute möglich, Jesus ganz aus der Nähe zu folgen. Er hat uns den Weg gezeigt: in der Nahrung der Eucharistie, in der Begegnung mit seinem Wort und in der Erfüllung seiner Lehren. Ebenso finden wir ihn im Gebet, das uns ihm immer näher bringt.7 Diese Nähe entwickelt sich ganz natürlich, auch wenn sie manchmal Geduld und Ausdauer erfordert. Dann können wir Maria, unsere Mutter, besser verstehen, die alles in ihrem Herzen bewahrte (Lk 2,19). Bitten wir sie, uns zu helfen, das Wort Gottes anzunehmen und unser Verständnis für seine Bedeutung zu vertiefen, damit es reiche Frucht bringe.
1 Vgl. Franziskus, Angelus-Gebet, 14.6.2015.
2 Hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 860.
3 Vgl. hl. Johannes Chrysostomus, Homilie 7.
4 Franziskus, Angelus-Gebet, 14.6.2015.
5 Benedikt XVI., Angelus-Gebet,17.6.2012.
6 Hl. Johannes vom Kreuz, Geistlicher Gesang, Lied 36, 3.
7 Vgl. hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 118.