LUKAS berichtet, dass Jesus das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner einigen Leuten erzählte, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten (Lk 18,9). Der Herr will uns die richtige Haltung für unser Gespräch mit Gott aufzeigen. Und diese gründet in der Anerkennung dessen, was wir sind – also in der Demut, uns als Sünder zu wissen, die Gottes Barmherzigkeit benötigen. „Die Demut ist die Grundlage des Betens,“1 bekräftigt der Katechismus der Katholischen Kirche.
Der heilige Josefmaria definierte sich selbst als „Sünder, der Jesus Christus liebt“2. Dieses Muster zieht sich durch das Leben jedes Heiligen: Sie lassen in ihrem Leben das Licht Gottes aufleuchten, deshalb fällt es ihnen leicht, das eigene Dunkel anzunehmen. Mit dieser Haltung wendet sich auch der Priester im Namen der ganzen Kirche an den Herrn, wenn er den ersten Messkanon liest: „Auch uns, deinen sündigen Dienern, die auf deine reiche Barmherzigkeit hoffen, gib Anteil und Gemeinschaft mit deinen heiligen Aposteln und Märtyrern.“3
Die Anerkennung unserer Schwäche führt uns dazu, uns von Gott getragen zu fühlen. Seine Barmherzigkeit ist größer als unsere Fehler. Daher geht der Christ sein Leben nicht kleinmütig an, denn das Bewusstsein, Sünder zu sein, hindert ihn nicht daran, sich einer großen Wirklichkeit bewusst zu sein: auch geliebtes Kind Gottes zu sein. Der heilige Josefmaria betonte: „Birg dich in der Gotteskindschaft: Gott ist dein Vater, der dich unendlich liebt. Dies ist dein Halt, dein Hafen, wo du vor Anker gehen kannst, wie sehr das Meer des Lebens auch zu tosen vermag. So werden dir Freude, Starkmut, Optimismus geschenkt werden. Und der Sieg!“4 Der Herr möchte, dass wir uns ihm genau in dieser Haltung nähern, die er im Gleichnis beschreibt: Wir sind keine selbstgenügsamen „Gerechten“, sondern Kinder, die ihren Vater brauchen.
IM GLEICHNIS tritt als erstes ein Pharisäer auf, der in den Tempel ging, um zu beten. Sein Gebet nimmt scheinbar einen idealen Anfang, denn er beginnt mit einem Dank an Gott. Es zeigt sich jedoch sogleich, dass etwas nicht stimmt: Seine Dankbarkeit kommt nicht aus der Anerkennung des Handelns Gottes an ihm, sondern bezieht sich auf seine eigenen Vorzüge und Verdienste: Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Und mitten in seinem Gebet äußert er einen Satz, der uns tiefer blicken lässt: Ich bin nicht wie die anderen Menschen, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort (Lk 18,11-12).
Der Pharisäer fällt genau in die Haltung, vor der Lukas vor der Nacherzählung des Gleichnisses gewarnt hatte: Er verachtet andere und hält sich selbst für gerecht. Er verglich sich mit dem Zöllner und meinte, besser abzuschneiden. In den Augen des Volkes hatte er vielleicht sogar Recht, denn die Zöllner galten als öffentliche Sünder, weil sie das Volk Israel verraten hatten. Er bedachte jedoch nicht, dass Gott in die Tiefen der Herzen sieht.
Dies war für viele das Haupthindernis, um den Messias anzuerkennen: Sie flüchteten in ihre eigenen Sicherheiten und menschlichen Sichtweisen. Wohin das führt, erklärt der heilige Josefmaria: „Dieses Sich-Verschließen hat unmittelbare Auswirkungen auf unsere Beziehungen zu den Mitmenschen. Der Pharisäer, der meint, selbst Licht zu sein, und nicht zulässt, dass Gott ihm die Augen öffnet, wird seinem Nächsten voller Hochmut und Ungerechtigkeit begegnen.“5 Der Herr wird später auch sagen, dass jener Pharisäer, der im Tempel betete, nicht gerechtfertigt nach Hause ging: Da er bereits alles hatte, was er zu benötigen glaubte, war er unfähig, die Erlösung anzunehmen, die Gott ihm anbot.
DIE ZWEITE Gestalt im Gleichnis ist ein Zöllner, der es nicht einmal wagt, im Gebet seine Augen zum Himmel zu erheben. Er schlägt sich nur an die Brust und betet: Gott, sei mir Sünder gnädig! Daraufhin sagt Jesus: Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause hinab (Lk 18,13-14).
Der Zöllner beginnt sein Gebet im Bewusstsein, Sünder zu sein. In seinem Fall weiß darüber auch die ganze Stadt Bescheid, arbeitet er doch mit den heidnischen Behörden zusammen. Das Hindernis ist für ihn jedoch auch ein Vorteil gegenüber dem Pharisäer, denn die verächtlichen Zurufe aus der Umgebung erinnern ihn ständig daran, dass er ein Sünder ist: Seine Bedürftigkeit ist offensichtlich. Die Sicherheiten, auf die er sein Leben baute, ist daher weder seine eigene Stärke noch die Anerkennung der anderen, sondern allein das Erbarmen Gottes, wie Papst Franziskus sagte: „Er handelt demütig und ist sich nur sicher, ein Sünder zu sein, der Erbarmen braucht. Während der Pharisäer um nichts bat, weil er bereits alles hatte, kann der Zöllner nur um Gottes Barmherzigkeit betteln. Und das ist schön: um Gottes Barmherzigkeit betteln! Indem er sich ,mit leeren Händen‘, mit bloßem Herzen präsentiert und sich als Sünder bekennt, zeigt der Zöllner uns allen, worauf es ankommt, um die Vergebung des Herrn zu empfangen.“6
Die Haltung des Zöllners ist das Gegenteil zur Haltung des Pharisäers: Er hält sich weder für gerecht, noch verachtet er andere, obwohl er wegen der Behandlung, die ihm seine Zeitgenossen angedeihen ließen, zu Letzterem vielleicht sogar einen Grund gehabt hätte. Jesus weist darauf hin, dass dieser Mann gerechtfertigt nach Hause hinab ging. In gewisser Weise erinnert das Gebet des Zöllners an das Marias, auf welche Gott gerade wegen ihrer Demut herabschaute (vgl. Lk 1,48). Sie wird uns lehren, diesen Weg zu gehen, damit der Herr auch in unserem Leben das Große wirken kann, das unsere Mutter besungen hat.
1 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2559.
2 Sel. Álvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei.
3 Römisches Messbuch, Eucharistisches Hochgebet I.
4 Hl. Josefmaria, Der Kreuzweg, Siebte Station, Nr. 2.
5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 71.
6 Franziskus, Audienz, 1.6.2016.