Benedikt XVI. unter dem „Joch Gottes“

zum Sonntag vom Guten Hirten, 5 Jahre nach der Papstwahl

Am 25. April feiert die Kirche den Sonntag vom Guten Hirten. Am selben Sonntag vor fünf Jahren – am 24. April 2005 – hatte Papst Benedikt XVI. in einer bewegenden Heiligen Messe auf dem Petersplatz sein Amt übernommen. „Statt eines Programms“ wollte er damals „einfach die beiden Zeichen auszulegen versuchen, mit denen die In-Dienst-Nahme für die Nachfolge des heiligen Petrus liturgisch dargestellt wird“. Die beiden Zeichen sind das Pallium und der Fischerring. In der Perspektive dieser fünf Jahre kann es zum diesjährigen Sonntag vom Guten Hirten hilfreich sein, die Worte von damals über das Pallium neu auf sich wirken zu lassen. Anschließend ein Zitat aus einem Vortrag von Kardinal Ratzinger aus dem Jahre 1990 über den Primat des Papstes – gleichsam als Kommentar aus unverdächtiger Perspektive, 15 Jahre bevor ihn selbst seine Wahl zum Papst nach eigenen Worten wie ein „Fallbeil“ traf. 

Papst Benedikt über das Pallium 

„Es ist „ein Gewebe aus reiner Wolle, das mir um die Schultern gelegt wird. Dieses uralte Zeichen, das die Bischöfe von Rom seit dem 4. Jahrhundert tragen, mag zunächst einfach ein Bild sein für das Joch Christi, das der Bischof dieser Stadt, der Knecht der Knechte Gottes auf seine Schultern nimmt. Das Joch Gottes – das ist der Wille Gottes, den wir annehmen. Und dieser Wille ist für uns nicht eine fremde Last, die uns drückt und die uns unfrei macht. Zu wissen, was Gott will, zu wissen, was der Weg des Lebens ist – das war die Freude Israels, die es als eine große Auszeichnung erkannte. Das ist auch unsere Freude: Der Wille Gottes entfremdet uns nicht, er reinigt uns – und das kann weh tun – aber so bringt er uns zu uns selber, und so dienen wir nicht nur ihm, sondern dem Heil der ganzen Welt, der ganzen Geschichte. Aber die Symbolik des Palliums ist konkreter: Aus der Wolle von Lämmern gewoben will es das verirrte Lamm oder auch das kranke und schwache Lamm darstellen, das der Hirt auf seine Schultern nimmt und zu den Wassern des Lebens trägt. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf, dem der Hirte in die Wüste nachgeht, war für die Kirchenväter ein Bild für das Geheimnis Christi und der Kirche. Die Menschheit, wir alle, sind das verlorene Schaf, das in der Wüste keinen Weg mehr findet. Den Sohn Gottes leidet es nicht im Himmel; er kann den Menschen nicht in solcher Not stehen lassen. Er steht selber auf, verläßt des Himmels Herrlichkeit, um das Schaf zu finden und geht ihm nach bis zum Kreuz. Er lädt es auf die Schulter, er trägt unser Menschsein, er trägt uns – er ist der wahre Hirt, der für das Schaf sein eigenes Leben gibt. Das Pallium sagt uns zuallererst, daß wir alle von Christus getragen werden. Aber er fordert uns zugleich auf, einander zu tragen. So wird das Pallium zum Sinnbild für die Sendung des Hirten (...).  

Den Hirten muß die heilige Unruhe Christi beseelen, dem es nicht gleichgültig ist, daß so viele Menschen in der Wüste leben. Und es gibt vielerlei Arten von Wüsten. Es gibt die Wüste der Armut, die Wüste des Hungers und des Durstes. Es gibt die Wüste der Verlassenheit, der Einsamkeit, der zerstörten Liebe. Es gibt die Wüste des Gottesdunkels, der Entleerung der Seelen, die nicht mehr um die Würde und um den Weg des Menschen wissen. Die äußeren Wüsten wachsen in der Welt, weil die inneren Wüsten so groß geworden sind. Deshalb dienen die Schätze der Erde nicht mehr dem Aufbau von Gottes Garten, in dem alle leben können, sondern dem Ausbau von Mächten der Zerstörung. Die Kirche als Ganze und die Hirten in ihr müssen wie Christus sich auf den Weg machen, um die Menschen aus der Wüste herauszuführen zu den Orten des Lebens – zur Freundschaft mit dem Sohn Gottes, der uns Leben schenkt, Leben in Fülle. 

Das Symbol des Lammes hat aber auch noch eine andere Seite. Im alten Orient war es üblich, daß die Könige sich als Hirten ihrer Völker bezeichneten. Dies war ein Bild ihrer Macht, ein zynisches Bild: Die Völker waren wie Schafe für sie, über die der Hirte verfügt. Der wahre Hirte aller Menschen, der lebendige Gott, ist selbst zum Lamm geworden, er hat sich auf die Seite der Lämmer, der Getretenen und Geschlachteten gestellt. Gerade so zeigt er sich als der wirkliche Hirt. „Ich bin der wahre Hirte... Ich gebe mein Leben für die Schafe“, sagt Jesus von sich (Joh 10, 14f). Nicht die Gewalt erlöst, sondern die Liebe. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist. Wie oft wünschten wir, daß Gott sich stärker zeigen würde. Daß er dreinschlagen würde, das Böse ausrotten und die bessere Welt schaffen. Alle Ideologien der Gewalt rechtfertigen sich mit diesen Motiven: Es müsse auf solche Weise zerstört werden, was dem Fortschritt und der Befreiung der Menschheit entgegenstehe. Wir leiden unter der Geduld Gottes. Und doch brauchen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wurde, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst. Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet. 

So muß es eine Haupteigenschaft des Hirten sein, daß er die Menschen liebt, die ihm anvertraut sind, weil und wie er Christus liebt, in dessen Diensten er steht. „Weide meine Schafe“, sagt Christus zu Petrus, sagt er nun zu mir. Weiden heißt lieben, und lieben heißt auch, bereit sein zu leiden. Und lieben heißt: den Schafen das wahrhaft Gute zu geben, die Nahrung von Gottes Wahrheit, von Gottes Wort, die Nahrung seiner Gegenwart, die er uns in den heiligen Sakramenten schenkt. Liebe Freunde – in dieser Stunde kann ich nur sagen: Betet für mich, daß ich den Herrn immer mehr lieben lerne. Betet für mich, daß ich seine Herde – Euch, die heilige Kirche, jeden einzelnen und alle zusammen immer mehr lieben lerne. Betet für mich, daß ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe. Beten wir füreinander, daß der Herr uns trägt und daß wir durch ihn einander zu tragen lernen.“  

Kardinal Ratzinger über die „Felsfunktion“ des päpstlichen Primats 

„Das Unproportioniertsein der Menschen zu solcher Funktion ist so schreiend, so eklatant, dass gerade in der Beauftragung des Menschen mit der Felsfunktion sichtbar wird, dass es nicht diese Menschen sind, die die Kirche halten, sondern er allein, der dies mehr trotz der Menschen als durch die Menschen tut. Das Geheimnis des Kreuzes ist vielleicht nirgends so greifbar anwesend wie in der kirchengeschichtlichen Realität des Primats. (...) Wenn die Kirche im Glauben an diesen Worten festhält, ist dies nicht Triumphalismus, sondern die Demut, die staunend und dankbar den Sieg Gottes über die menschliche Schwachheit und durch sie hindurch erkennt. Wer den Worten aus Furcht vor Triumphalismus oder vor menschlicher Eigenmacht ihre Kraft nimmt, verkündet nicht den größeren Gott, sondern verkleinert ihn, der gerade im Paradox menschlicher Ohnmacht die Macht seiner Liebe zeigt und damit dem Gesetz der Heilsgeschichte treu bleibt.“

Joseph Kardinal Ratzinger, in: Zur Gemeinschaft berufen, Freiburg 1991, S.69.