Im November 2021 lernte ich Wan Jye und ihre Tochter Kaiya kennen. Wan Jye stammt aus Malaysia und lebt seit einigen Jahren in Österreich. Sie arbeitet als Horthelferin in der Stella-Schule in Wien, die auf eine Initiative von Eltern, die dem Opus Dei angehören, zurückgeht. Als ihre Tochter Kaiya noch im Kindergarten war, sagte sie: „Mama, ich will getauft werden!“
Für Wan Jye, die selbst chinesische Buddhistin ist, kam das überraschend. Sie lehnte die Taufe ab und erklärte ihrer Tochter, dass sie für so eine Entscheidung noch zu jung sei. In der ersten Klasse Volksschule äußerte die sechsjährige Kaiya erneut ihren Wunsch und dann wieder mit 8 Jahren, als ihre Klassenkollegen die Erstkommunion schon hinter sich hatten. Schließlich stimmte die Mutter zu und beschloss für sich, auch bei der Taufvorbereitung mitzumachen. Sie wusste nichts über den katholischen Glauben und wollte Fragen ihrer Tochter beantworten können.
Was Wan Jye bisher am Christentum angezogen hatte, war die wunderbare Atmosphäre in der Stella-Schule, in der sie und ihre Tochter den christlichen Geist ganz praktisch erleben durften und wie sie liebevoll in schwierigen Lebenslagen unterstützt wurden. Noch wusste die alleinerziehende Mutter nicht, wonach sie sich sehnte. Jetzt wollte sie vom Christentum mehr wissen.
Ich gehöre selbst dem Opus Dei an und hatte große Freude dabei, die Katechumene auf die Taufe vorbereiten zu dürfen. Wir begannen, uns zweimal wöchentlich zu treffen, da der nächste Termin für eine Erwachsenentaufe schon in der Osterzeit war. Ich lernte in dieser Zeit viel über die Traditionen und Kultur in Malaysia kennen. Das Land ist moslemisch geprägt, man spricht nicht über den Glauben, denn das könnte gefährlich werden. Auch über Sorgen, Gefühle und inneres Leben spricht man im Allgemeinen nicht.
Außer der Verehrung der Ahnen hatte Wan Jye keine Glaubenspraxis. Sie spricht ausgezeichnet Englisch, Grundbegriffe des katholischen Glaubens, die in unserer Kultur geläufig sind, waren für sie komplettes Neuland. So gestaltete sich der Unterricht recht vielseitig. Die erste Hürde bestand darin, überhaupt über den Glauben zu sprechen, dann kamen natürlich viele Fragen und zahlreiche Missverständnisse mussten ausgeräumt werden. So meinte sie anfangs, dass Christus, Messias, Erlöser, der Herr, Heiland, Jesus und der Sohn Gottes verschiedene Personen und Götter seien.
Gott ist ein liebender Vater
Besonders wichtig ist es für jemand, der sich dem Glauben an Jesus nähert, das persönliche Gebet zu entdecken und beten zu lernen. Wan Jye war sehr empfänglich für das Gebet. Sie stellte fest, dass sie eigentlich immer schon gebetet hatte, ohne jedoch zu wissen, zu wem. Nun wurde ihr klar, dass der Adressat ihrer Gebete ein liebender Vater ist.
Sie begann in der Hl. Schrift zu lesen. Ich erklärte ihr christliche Symbole, Begriffe und anhand von Kunstwerken in Kirchen Geschichten von Heiligen und Themen aus der Heilsgeschichte. Sie versorgte sich selbst mit zahlreichen Apps, um schneller zu lernen, das Tagesevangelium zu lesen und den Inhalt des Katechismus zu wiederholen. Immer wieder stellte sie fest, dass der Glaube ihr Antworten gab auf viele Fragen, die in ihrem Leben aktuell sind. Sie spürte sich vom Heiligen Geist geführt und getragen, was sich auch auf mich übertrug.
Ihre Tochter Kaiya wurde auf die Taufe und Erstkommunion in der Schule vorbereitet. Wenn sie manchmal bei unseren Treffen dabei war, überraschte sie ihre Mutter mit dem Wissen, das sie bereits aus dem Religionsunterricht und der Vorbereitung auf die Erstkommunion bekommen hatte. In der Kirche erklärte sie ihrer Mutter die Bedeutung des Ewigen Lichtes: „Im Tabernakel wohnt Jesus!“ Als ich sie einmal scherzhaft fragte, was der Osterhase mit dem christlichen Ostern zu tun hat, lachte sie über das ganze Gesicht und rief: „Nichts!“
In der Erzdiözese gab es zwei Treffen mit allen erwachsenen Katechumenen Wiens. Im Frühjahr 2022 waren es rund 60 Personen, die die Salbung mit Katechumenenöl und die feierliche Zulassung zur Taufe erhielten. Dies geschah jedoch alles sehr diskret, vor allem aus Rücksicht auf Muslime, die unter den Katechumenen waren; es gab Polizeischutz und es wurde untersagt zu fotografieren.
Der Tag der Taufe von Mutter und Tochter rückte näher, die in der Wiener Peterskirche stattfinden sollte. Wir bereiteten gemeinsam die Taufkerzen vor, zwei weiße Schals dienten als Taufkleider, Kaiya bastelte Mitbringsel für die eingeladenen Gäste, vor allem ihre Schulkollegen. Der Tauftermin wurde auf den 1. Mai festgelegt.
Kaiya wollte auf den Namen Maria getauft werden, und so wählte Wan Jye als Taufnamen Anna. Die Freude wuchs und Wan Jyes Spannung stieg, ob sie auch alles richtig machen würde… Am Palmsonntag drückte ihr jemand Palmkätzchen in die Hand, als sie in die Heilige Messe ging. Noch wusste sie nicht, was sie damit tun sollte… und so gibt es immer wieder neue Dinge zu entdecken…!
Unmittelbar vor der Heiligen Messe empfahl ich ihr, den Heiligen Geist um Seine Gnade zu bitten. Sie antwortete: „Kaiya und ich haben heute früh gemeinsam gebetet und genau das gemacht.“ Die Taufe fand während einer Familienmesse statt, in der auch viele Kinder waren und die noch nie eine Taufe von Erwachsenen erlebt hatten. Sie waren beeindruckt. Wan Jye empfing außer der Taufe auch die Firmung und die Hl. Eucharistie, Kaiya wird im Juni zur Erstkommunion gehen.
Die meisten Klassenkollegen Kaiyas waren auch da und freuten sich mit ihr. Es gab in der Krypta der Peterskirche eine schöne Agape – die erste nach Corona – und einen Berg Geschenke. Es war wirklich ein würdiges und sehr schönes Fest für die ganze Gemeinde.
Als Wan Jye und Kaiya gingen sie in die Peterskirche hinein – und als Anna und Maria kamen sie freudestrahlend wieder heraus.
Und noch etwas: als Wan Jye sich entschloss, getauft zu werden, waren ihre Eltern in Malaysia gar nicht begeistert, dass ihre Tochter katholisch wird und erklärten sie und ihre Enkelin als nicht mehr zur Familie gehörend. Doch es veränderte sich etwas in ihnen…. Am Ende der Vorbereitungszeit auf die Taufe erzählten die Eltern, sie hätten schon zwei katholische Kirchen in ihrer Nähe ausgemacht, wo Anna und Maria beim nächsten Besuch in Malaysia die Hl. Messe besuchen können. Und dann könnten sie den beiden auch eine Wundertätige Medaille als Taufgeschenk geben… Welche Freude!
Anna und ich treffen uns weiterhin regelmäßig, für sie und ihre Tochter Maria hat ein neuer Lebensweg begonnen.