Sind schachspielende Computer „künstlich intelligent“?

Der Sieg des Computers „Deep Blue“ über Weltmeister Kasparov und seine überraschenden Folgen. Vortragabend im Zürcher Studentenhaus Allenmoos

Das Studentenheim Allenmoos in Zürich

1997 trug Schachweltmeister Kasparov mehrere Partien gegen Deep Blue aus, einen speziell für das Schachspiel entwickelten Computer. Der schicksalsträchtige Zweikampf endete bekanntlich mit dem Sieg der Maschine über den Menschen. Während die Anwälte des Menschlichen dies als schmerzliche Niederlage der Natur empfanden, sprachen die damaligen Softwareentwickler von einem Durchbruch in der Entwicklung der künstlichen Intelligenz.

Die künstliche Intelligenz, im Jargon AI – „Artificial Intelligence“ – genannt war im laufenden Studienjahr Thema eines Abends im Studentenhaus Allenmoos in Zürich. Der an der Universität Freiburg (Schweiz) promovierte Informatiker Michael Schumacher verhalf dem Publikum dabei zu einem Einblick in den neuesten Stand der einschlägigen Forschung.

Schumacher zeigte auf, dass sich die Informatikwissenschaft vom spektakulären Triumph nicht lange hat blenden lassen. Sie hält den Computer seither nicht für ebenso „intelligent“ oder gar für gescheiter als den Menschen. Denn gerade im Erfolg über den Schachweltmeister spitzte sich auch eine seit längerem schwelende Krise der AI zu. Der von IBM entwickelte Deep Blue war nämlich eben „nur“ eine Maschine: Er konnte wohl eine Unmenge von Daten in kürzester Zeit verarbeiten und dadurch bis zu 40 Schachzüge voraus „denken“. Kein Experte aber hätte im Ernst behauptet, er sei im eigentlichen Sinne „intelligent“. Denn unter anderem war die Maschine nicht in der Lage, ihre Daten mit der Realität in Beziehung setzen.

Wenn man ein solches System dennoch als „intelligent“ bezeichnet – so Schumacher –, dann besagt man damit nur, das System verhalte sich so, als ob es intelligent sei. Es handelt sich also um eine bildliche Redeweise. Sie folgt eigentlich dem ursprünglichen Gedanken der AI, der im bekannten Turing-Test zum Ausdruck kommt.

Multiagenten-Systeme: ein Paradigmawechsel in der künstlichen Intelligenz

Schachweltmeister Kasparov während seines Duells gegen Deep Blue 1997

Der Schachsieg auf höchster Ebene förderte so paradoxerweise eine Neuausrichtung in der Entwicklung der AI. Schon in den neunziger Jahren wurden Systeme in Gestalt von Robotern direkt mit der wirklichen Welt konfrontiert (situatedness) und bekamen sozusagen einen Körper, d.h. sie wurden gegen ihre Umwelt abgegrenzt (embodiment). Dieser neue Ansatz wurde bald von der Softwareentwicklung übernommen, um so genannte Autonome Agenten zu definieren. In Kombination mit der weltweiten Vernetzung durch das Internet gelang es darauf hin, eine Reihe von ganz neuen Problemen durch Multiagenten-Systeme zu lösen. Die Informatikforschung beschäftigt sich heute kaum mehr damit, noch perfektere künstliche Schachweltmeister zu konstruieren, dafür aber um so intensiver mit der Definition von Methoden zur Entwicklung von Multiagenten-Systemen. Dabei spielt laut Schumacher die Koordinationstechnologie eine Schlüsselrolle. Es hat also im Software-Engineering seit der Entthronung des Menschen auf dem Schachbrett ein ungeahnter Paradigmawechsel stattgefunden.