King Kongs Blondine

Kommunikationsstrategie des Opus Dei vor dem „Sakrileg“-Film - Zusammenfassung eines Artikels aus der englischen Wochenzeitung "The Spectator"

Bekanntlich wird im Buch „Sakrileg“ / The Da Vinci Code ein ausgesprochen negatives und falsches Bild von der Kirche und auch vom Opus Dei gezeichnet. Dabei werden die Erfindungen so mit Fakten vermischt, dass sehr viele Leser sie für die Realität halten. Das Opus Dei war gezwungen, auf das Buch und den angekündigten Film zu reagieren. Es hat sich für ein Vorgehen entschieden, das von der Weltpresse in den letzten Monaten öfter thematisiert worden ist. Besonders eingehend hat dies am vergangenen 6. Mai die englische Wochenzeitung „The Spectator“ getan. Wir bringen in der Folge längere Abschnittedes Beitrages in deutscher Übersetzung. Autor dieser Titelgeschichte ist Austen Ivereigh. Die Zwischentitel wurden beigefügt.

Wenn der Roman „Sakrileg“ von der „Offenbarung“ ausgeht, die Kirche habe über Jahrhunderte hinweg die „Wahrheit“ verschleiert, dass Jesus Christus mit Maria Magdalena durch ein gemeinsames Kind eine Nachkommenschaft begründet habe; und wenn die Leute – noch erstaunlicher – dieses Zeug tatsächlich glauben: Warum nicht ins Rampenlicht treten und die Leute sehen lassen, wie man wirklich ist?

Run auf den wirklichen Silas

Diesen Weg ist das Opus Dei gegangen. Es nennt dies „aus einer Zitrone Limonade machen“. In den Wochen vor dem Anlaufen des Films produziert es solche Limonade in rauen Mengen. In New York zum Beispiel bietet es den Medien die Möglichkeit, den „Sakrileg“-Mörder Silas zu treffen. Dieser Mann entpuppt sich dann jeweils als nigerianischstämmiger Stockbroker in Brooklyn mit Namen Silas Agbim. Er erscheint regelmäßig in allen größeren Medien und erzählt munter aus seinem Leben und von seiner Berufung als Supernumerarier. „Wenn wir alle Medien bedienen würden, die den ‚wirklichen Silas’ besuchen möchten, dann müsste er seinen Job aufgeben und das fulltime machen“, meint Brian Finnerty vom Opus Dei in New York.

Einst der Prügelknabe der progressiven Katholiken, lange Zeit in Verbindung gebracht mit düsterer spanischer Politik und vatikanischen Intrigen, ist das Gesicht des Opus Dei heute heiter, tatkräftig, transparent: so offen wie seine Türen. Würden Sie gerne einen Supernumerarier treffen, der Musiker ist und Zwillinge hat? Kein Problem. Oder über die Askese mit einem zölibatären Mitglied sprechen? Aber sicher. Das Opus Dei gab sogar bereitwillig Auskunft über das Bußband.

Operation Transparenz“

Juan Manuel Mora, der Architekt dieser Strategie, die als „Operation Transparenz“ bekannt geworden ist, sagte sich: „Wir werden hier nicht einfach untertauchen“. Auch wenn er wie alle anderen keine Gelegenheit bekam, den Film vorab zu besichtigen, so lässt der Trailer mit seinen krassen sadomasochistischen Geißelungsszenen doch erahnen, was da auf einen zukommt.

Die bloße Tatsache, dass der Film getreu der Buchvorlage folgt, gibt dem Angriff auf das Opus Dei und die Kirche laut Mora eine ganz neue Dimension: „Der Roman warf ein Informationsproblem auf. Wir konnten darauf mit Büchern, Websites usw. antworten und den Irrtümern die Tatsachen entgegenhalten. Mit dem Film aber haben wir ein Imaginationsproblem: Die Leute werden das Opus Dei mit Gewalt und die Kirche mit Täuschung in Verbindung bringen. Auf so etwas kann man nicht mit einem Buch antworten.“

Offene Briefe nach verweigertem Dialog

Nachdem bekannt geworden war, dass Sony die Filmrechte auf das Buch gekauft hatte, trat das Opus Dei noch nicht an die Öffentlichkeit, sondern suchte den Kontakt zu dem Konzern. In höflichen Briefen bat man, den Namen Opus Dei nicht zu verwenden. Und man gab zu bedenken, dass viele Leute nicht in der Lage sein würden, Tatsachen von Erfindungen zu trennen, da der Roman fälschlicherweise behauptete, auf historische Wahrheiten zu gründen. Sony antwortete sehr vage, gab keine Informationen über den Film heraus und betonte nur immer wieder, dass man niemanden verletzen wolle.

Mora bat um ein Gespräch mit Amy Pacal, der Chefin der Filmabteilung von Sony, wurde aber ignoriert. Im Dezember gab dann Regisseur Ron Howard in „Newsweek“ bekannt, dass sich der Film eng an die Buchvorlage halten werde, und dass das Opus Dei mitgemeint sei. Darauf trat Mora in Aktion. Das Opus Dei werde nun öffentlich das sagen, was der Konzern über den direkten Draht nicht hatte hören wollen, und zwar mit mehreren, sorgfältig getimten offenen Briefen.

An die Sensibilität für religiöse Überzeugungen appelliert

Damit wollte Opus Dei einerseits eine öffentliche Diskussion in Gang bringen über Meinungsfreiheit und Achtung vor religiösen Überzeugungen; andererseits sollten noch mehr Anlässe geschaffen werden, um dem „wirklichen“ Opus Dei zu begegnen, so dass das Publikum zur Zeit des Filmstarts besser in der Lage sein würde, die Mythen von den Fakten zu unterscheiden.

Auf dem Hintergrund der Kontroverse über die Mohammend-Karikaturen, appellierte das Opus Dei im Februar an Sony, Änderungen am Film vorzunehmen „in einer Zeit, da alle die schmerzlichen Konsequenzen der Intoleranz zu spüren bekommen haben“. Mit den Änderungen würde Sony zeigen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung mit dem Respekt vor Glaubensüberzeugungen vereinbar ist, und zugleich „dem Dialog zwischen den Kulturen einen Dienst erweisen“.

Im gleichen Ton schmerzlichen Bedauerns und ausgesuchter Höflichkeit wandte sich das Opus Dei in Tokio im April an die Sony-Aktionäre. Es appellierte an die Werte japanischer Ethik und bat darum, dem Film einen Vorspann („disclaimer“) voran zu stellen, der den fiktiven Charakter des Films herausstellen sollte. Das wäre, hieß es im Brief, „ein Zeichen der Achtung vor der Person von Jesus Christus, der Geschichte der Kirche und der religiösen Überzeugungen der Zuschauer“.

Sony war aufgeschreckt genug, um sich von Spezialfirmen für Imagepflege beraten zu lassen. Obwohl der Medienkonzern auf den Vorschlag einer Richtigstellung nicht eingegangen ist, betont er im Gegensatz zum Romanautor immer wieder, dass die Geschichte erfunden ist. Der Film ist gemäß Sprecher Jim Kennedy „ein Thriller, keine religiöse Abhandlung“. Diese Beteuerung wird allerdings Lügen gestraft durch eine von Sony geschaffene Website, die die Leute in theologischen Fragen „bilden“ soll. Sie bietet Aufsätze und etwas Basiswissen über die Bibel. Dabei wird jeweils darauf hingewiesen, wo das Buch Schlussfolgerungen „suggeriert“, die vom Glauben der christlichen Mehrheit abweichen; und so werden derlei lächerliche „Theorien“ auf eine Stufe gestellt mit 2000 Jahren Theologie.

King Kongs Blondine, nicht King Kongs Jäger

Dennoch ist das Opus Dei seinem Grundsatz treu geblieben: positive, patient, polite (positiv, geduldig und höflich). Das Wort „Angriff“ fällt schlicht aus. Über die Absichten von Sony wird nicht geurteilt. Es gibt kein Pingpong von Entgegnungen auf die Erklärungen des Filmkonzerns. In den Briefen und Statements ist kaum Empörung spürbar, geschweige denn Zorn. Man findet weder Boykott-Aufrufe noch Proteste noch Klagedrohungen. Von jener typischen Arroganz und Verteidigungshaltung von religiösen Gruppierungen, die sich gegen verletzende Bücher oder Filme wehren, ist nichts zu spüren.

Wer sich als Opfer auf aggressive Art verteidigt, vergisst nämlich, dass er gerade durch seinen Zorn Sympathien verliert. Das hat Mora erkannt: „Sony ist King Kong“, sagt er. „Ich möchte die Rolle der blonden Frau spielen. Wenn ich den Polizeimenschen mache, der wie wild auf King Kong losballert, dann verschiebt sich die Sympathie von der Blondine zur Bestie.“

Christen mit Moslems und Juden nicht vergleichbar!

Das Opus Dei hat begriffen, dass die Christen im heutigen Westen als etabliert gelten. Moslems und Juden verdienen Respekt für ihre Überzeugungen, weil sie Minderheiten sind; die Christen dagegen werden – trotz aller Tatsachen, die dagegen sprechen – als beherrschender Block gesehen, und gerade aus diesem Grund erscheint es im öffentlichen Bewusstsein als berechtigt, sie zu attackieren.

„Sakrileg“ geht von der Voraussetzung aus, dass die Kirche mächtig, geheimniskrämerisch, frauenfeindlich und gewalttätig ist; dass sie durch die Geschichte hindurch wie ein großer, böser Konzern agiert hat. Ironischerweise wurde dieses Vorurteil durch die Säkularisierung verstärkt: Je weniger Kontakt die Leute mit Kirchen und Christen haben, desto eher neigen sie dazu, schädlichen Unsinn über beides Glauben zu schenken.

Opus Dei: Beachtung verzwölffacht

Der Roman mag seine Qualitäten als Lektüre haben, die man nicht einfach nicht wegenlegen kann (page-turner). Aber erst diese Kombination von Leichtgläubigkeit und Vorurteil in der westlichen Kultur macht klar, weshalb „Sakrileg“ zum meistverkauften Buch nach der Bibel geworden ist. Deswegen ist in diesem Fall die Kirche das wahre Opfer. Wie kann sie einer Bestseller-Verleumdung, die Wahrheit beansprucht, die Stirn bieten, bzw. ihren Namen gegen einen rufschädigenden Hollywoodfilm schützen? Die Antwort gibt das Opus Dei: Die Kirche fährt am besten, wenn sie die öffentlichen Sympathien dahin lenkt, wo sie auf Grund der Faktenlage hingehören. Das kann sie nur, indem sie die Leute einlädt, hereinzukommen und mit eigenen Augen die Wirklichkeit zu sehen. Wenn sie versucht, das Machtspiel des Opfers zu spielen – wütend, defensiv, stolz, Transparente schwingend, gewalttätig – dann schwenkt die Sympathie von der blonden Frau zur Bestie.

Aus diesem Grund macht sich Moras Strategie bezahlt. Vor „Sakrileg“ lag der Beachtungsrekord der amerikanischen Website des Opus Dei bei 200.000 Besuchern im Jahr 2002, dem Jahr der Heiligsprechung des Gründers. Letztes Jahr waren es 2,5 Millionen.

Dank „Sakrileg“ zum Opus Dei gefunden …

Viele der frisch hinzu gekommenen Mitglieder des Opus Dei bestätigen, dass sie erstmals durch „Sakrileg“ vom Opus Dei hörten. Die Opus-Dei-Strategie hat den Film nicht verhindert, und sie wird auch nicht verhindern, dass Millionen ihn sehen und daran glauben werden. Aber aus der sauren Zitrone Limonade machen bedeutete zumindest, dass weitere Millionen wissen werden, dass hier ein Unsinn erzählt wird, und dass die Christen unfair behandelt werden, weil Dan Brown vortäuscht, sich auf Fakten zu stützen.

In nicht wenigen von diesen Menschen wird sich eine Bekehrung abgespielt haben wie bei jener Gruppe amerikanischer Touristen, die letztes Jahr zu den britischen „Sakrileg“-Stätten wallfahrteten. Jack Valero, der Informationschef des Opus Dei in England, sah sie neugierig auf das Londoner Opus-Dei-Studentenheim Netherhall House äugen. Er lud sie zum Tee ein, stellte ihnen seine Numerarier-Kollegen vor und hielt ihnen einen kleinen Powerpoint-Vortrag zum Thema. Am Ende waren die Touristen ganz erregt. „Ihr seid so nette Kerle“, meinten sie. „Dieser Dan Brown, das ist ein Lügner. Ab jetzt glauben wir nichts mehr von dem, was in dem Buch steht. Ihr solltet den Dummkopf verklagen!“ – Das ist eine Versuchung, aber das würde wieder heißen, das Machtspiel zu spielen. Die Leute des Opus Dei erleben viel zu spannende Tage, als dass sie sich darauf einlassen würden.

The Spectator