Kinderkriegen ist Glaubenssache

Der Faktor „Religion" spielt bei der Entscheidung für Kinder eine wichtige Rolle – Berliner Demographiegespräch der Robert Bosch Stiftung

Foto: Thomas Rafalzyk

Für Christoph Keese, Chefredakteur der „Welt am Sonntag" und Moderator des Gesprächs, war die Frage am Ende des Abends klar beantwortet: „Glauben befördert das Kinderkriegen!" Entscheidend für die Verwirklichung des Kinderwunsches sei dabei die Intensität des Glaubenslebens. Der Glaubensmangel wäre demzufolge einer der Hauptgründe für den Kindermangel in Deutschland. Braucht man Glauben, das heißt ein bedingungsloses Vertrauen in die Zukunft, um sich auf das „Abenteuer Kinder" einzulassen? Wo es konkret wurde, gingen die Meinungen der Teilnehmer des Gesprächsforums auseinander. Gravierende Differenzen zwischen den Konfessionen bestehen beispielsweise in der Abtreibung­frage, einem der Hauptfaktoren für den Kindermangel in Deutschland.

Religiöse Menschen haben mehr Kinder

Die Referenten des 4. Berliner Demographiegesprächs - Prälat Christoph Bockamp, Landesbischöfin Margot Käßmann und Professor Gisela Trommsdorff - betonten am Mittwoch gemeinsam die Wichtigkeit einer stabilen Ehe als Grundlage für das Aufwachsen von Kindern. Die letztlich un­kündbare Beziehung der Eltern zum Kind brauche eine stabile Basis. In der Ehe zeige sich nach katholischer Auffassung eine „Be­rufung Gottes": „Man heiratet, um Kinder zu haben", so Christoph Bockamp, Regio­nalvikar des Opus Dei in Köln. „Kinder­kriegen hat mit Gottvertrauen zu tun", er­gänzte die niedersächsische Landesbischö­fin. Die Ehe sei eine wunderbare Lebens­form, „die Lebenslust und Lebenslast mit Kindern" zu gestalten.

Statistisch lässt sich die Bereitschaft zum Kinderkriegen mit einer Fülle von Daten untermauern. So weisen die Orte Deutsch­lands mit der höchsten Geburtenrate pro Frau eine besonders hohe Gläubigkeit auf. Nach einer Studie des Institutes für Demo­skopie in Allensbach wünschen sich 61 Pro­zent der Religiös-Orientierten Kinder, wäh­rend dies bei Nicht-Religiösen nur bei 31 Prozent der Fall ist. Gisela Trommsdorff, Inhaberin des Lehrstuhles für Kulturver­gleich in Konstanz, erläuterte, dass in den von ihr weltweit untersuchten acht Kulturen die Religion eine signifikante Bedeutung für die Kinderzahl habe. Hinduistische und isla­mische Frauen hätten besonders viele Kin­der. Ähnliches gelte für praktizierende Katholiken und gläubige Protestanten. Demgegenüber lasse sich belegen, dass bei­spielsweise atheistisch orientierte Schweizer die wenigsten Kinder zur Welt bringen wür­den.

Wäre daher eine vermehrte Anstrengung zur Missionierung die geeignete Gegenmaß­nahme zur niedrigen Geburtenrate? Dies mochte keiner der Teilnehmer offensiv ver­treten. Vielmehr trat die Uneinigkeit zwi­schen den christlichen Konfessionen zu Tage, was die Frage der Abtreibung betrifft. Sieben, vielleicht fast neun Millionen un­geborene Kinder, im Durchschnitt 280.000 pro Jahr, wurden in Deutschland in den vergangenen dreißig Jahren nach seriösen Schätzungen schon im Mutterleib getötet. Hier liegt ein Hauptgrund für den Kinder­mangel in Deutschland. Nachdem die katholische Kirche auf Weisung von Papst Johannes Paul II. aus der Beratung von schwangeren Frauen offiziell ausgestiegen ist und keine Tötungslizenzen mehr ausstellt, fühlt sich die evangelische Kirche wei­ter verpflichtet, „Frauen im Konfliktfall" beizustehen, wie Margot Käßmann betonte. Um den Abtreibungen entgegenzuwirken, fördert sie die Einrichtung von Baby­klappen. Allerdings berichtete die Landes­bischöfin selbst, dass in einer von ihr vor fünf Jahren eingeweihten Einrichtung in Hannover nur insgesamt fünf Findelkinder abgegeben worden seien.

Wer ist schuld am demographischen Desaster? Hier kamen von evangelischer Seite die altbekannten Verdächtigen wieder zum Vorschein: Die zeugungsunwilligen Männer oder das negative gesellschaftliche Umfeld. Die Kosten für die Kinder würden privatisiert, der Nutzen sozialisiert. Das be­wirke die Verarmung der Familien und hin­dere die Eltern an der Fortpflanzung. Diese Art von Argumentation ist zwar populär,kann sich aber anscheinend nicht auf For­schungsergebnisse stützen. Die materielle Besserstellung von Familien oder die Bereit­stellung von Betreuungsangeboten führen in städtischen und pluralen Gesellschaften ge­rade nicht zu einer höheren Geburtenzahl pro Frau. Entscheidend ist ein zweites, ein ideelles Motiv, wie Gisela Trommsdorff be­tonte: Wenn es als schön und sinngebend empfunden werde, Kinder zu bekommen, dann lassen sich die aufgezeigten materiel­len Hindernisse auch überwinden. Hier rückt eine spannende Frage in den Vordergrund: Was machen die großen Familien eigentlich richtig? Was ist vorbildhaft bei den Gläubigen?

In den kinderreichen Gegenden Deutsch­lands, beispielsweise in Vechta und Cloppenburg, wachsen die Kinder in einem guten nachbarschaftlichen Umfeld auf. Die Familien helfen sich gegenseitig, Kinder können in der eher dörflichen Atmosphäre problemlos andere Familien besuchen oder werden willkommen geheißen, wenn die Eltern arbeiten müssen. Die Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit ist für die Frauen hier offensichtlich einfacher.

Die Kirche versäumt es, ideelle Motive zu vermitteln

Die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbei­ten, ist in dieser Gegend besonders hoch, wie Christoph Keese berichtete. Viele der Betriebe sind kleine Familienfirmen, die selbst Wert darauf legen, dass die Arbeits­zeiten auch familienfreundlich sind. Hier geht ein Wirtschaftsaufschwung mit einer hohen Kinderzahl Hand in Hand, weil die ideelle und religiöse Motivation ein völlig neues Klima schafft. Die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe, zur Kooperation unter den Familien, ist hier signifikant höher als in anderen Gegenden Deutschlands. Diese Haltung der Nächstenliebe ist durch staat­liche Betreuungsprogramme oder Kinder­horte allerdings nicht zu erzielen, andere Kräfte sind gefordert.

Für die Vermittlung dieser ideellen Motive rückt die Kirche in eine zentrale Rolle. Gerade weil der weltanschaulich neutrale Staat selbst keine Werte vermitteln kann, müssen dies die christlichen und kirchlichen Gemeinschaften übernehmen. Offensichtlich besteht hier von kirchlicher Seite her ein Versäumnis. Bei der Vermitt­lung der Zehn Gebote, der biblischen Wahr­heiten über Ehe und Familie ist es ihre Auf­gabe und Chance, führend tätig zu werden. „Gott möchte glückliche Menschen und das sind Menschen, die Kinder haben", fasste Christoph Bockamp diese Sicht zusammen.

Kinderkriegen ist Glaubenssache, ohne Frage, aber dieser Glaube will auch offensiv verkündigt und praktisch gelebt werden. Daher wäre eine notwendige Konsequenz, dass die Kirchen sich in der Ehevorberei­tung und Begleitung von Ehepaaren ver­stärkt investieren.

Von Hinrich E. Bues, Deutsche Tagespost