Wir würden glücklich sein - ein Agnostiker und eine Katholikin

Dieses Gespräch über Glauben, Ehe und Kindererziehung führte Miguel Cejas, der inzwischen verstorbene Autor des Buches „Warmer Nordwind“ mit Nicolai und Lola in einer Gaststätte in Oslo.

Im Buch heißt das Kapitel „Der Friedensnobelpreis“, weil der Begegnungsort in der Nähe des Osloer Rathauses liegt, in dem jedes Jahr am 10. Dezember feierlich der Friedensnobelpreis verliehen. Und weil die beiden Eheleute aus Norwegen nach eigener Einschätzung auch den Friedensnobelpreis verdient hätten – angesichts der vielen Situationen, in denen sie dem Frieden nachjagten. Nicolai, der Norweger ist, spricht ein perfektes Spanisch mit einem leichten Madrider Akzent. Lola, die aus Madrid kommt, pflichtet in dem Interview häufig bei, in dem sie nur wenige Worte auf Englisch sagt. Manchmal muss sie laut lachen. Hin und wieder zeigt sie, dass sie überrascht ist. Dann bessert Nicolai nach, setzt ein anderes Wort ein … und Lola lächelt wieder.

Die meisten Lolas gibt es vermutlich in Spanien

Nicolai: „Wenn ich meinen Freunden erzähle, dass ich fünf Kinder habe und eine Frau, die Lola heißt, etikettieren sie mich sofort. Ich muss ein Typ sein (ob gläubig, Agnostiker oder Atheist, das ist egal; denn uns Norwegern ist die Religion nicht besonders wichtig), ein Typ, der total verliebt ist in eine Katholikin. Sie haben Recht. Denn die meisten Lolas sind katholisch. Aber meine Freunde erraten nicht, woher sie kommt. Es gibt auf der ganzen Welt viele Lolas, die meisten aber sind in Spanien oder Amerika. Es gibt Lolas in Frankreich, in Italien, in Deutschland, Holland, Schweden und sogar im Vereinigten Königreich, wo es sehr exotisch klingt, wenn man seiner Tochter diesen Namen gibt. Wie nennt man das, Lola?“

Sie hält micht nicht für einen Atheisten, sondern für einen Agnostiker

Lola: „Very cool.“
Nicolai: „Genau. Very cool. Als ich diese Dame heiratete, Dona Lola, war mir klar, was ich tat. Mir war bewusst, dass sie dafür beten würde, dass ich konvertiere. Das hat sie aber nicht erreicht. Sie meint, ich sei kein Atheist, sondern Agnostiker. Gut. Ich höre ihr zu, denn ich bin so ein seltsamer Vogel, ein Mann, der sogar seiner Frau zuhört! Als wir geheiratet haben, war ich einverstanden damit, dass sie unsere zukünftigen Kinder katholisch erziehen würde. Das tut sie jetzt und ich finde es gut so. Als wir geheiratet haben, wusste ich, dass wir sehr glücklich sein würden. Und das schaffen wir gemeinsam, trotz der Probleme, die wir haben, wie alle Ehepaare. Als ich geheiratet habe, hoffte ich, dass Dona Lola sich für das Meer und für Sport begeistern würde, aber das habe ich absolut nicht erreicht. (Lola zieht eine Schnute.)

Sonntags ist der Angelplatz meist belegt – aber wir waren schon in der Messe
Na ja, zum Teil schon … Jetzt tut sie so, als liebe sie die Natur. Wir Norweger sind mitten im Wald glücklich, wenn wir frische Luft atmen und so zu dem Leben zurückkehren, das wir jahrhundertelang gelebt haben. Aber wenn sie ans Meer kommt oder an das Ufer eines Sees, dann setzt sie sich auf einen Metallstuhl, so als wollte sie sich an einer Pfütze sonnen, die sie ‚Rio‘ Manzanares nennt … Wenn es darum geht, Sport zu treiben, ist sie bei Weitem nicht so diszipliniert wie sonntags, wenn es um die Messe geht. ‚Wir kommen zu spät, wir kommen zu spät!‘ Und wenn wir eine Runde mit den Rädern drehen wollen, dann hat sie gar keine Lust dazu. Neulich habe ich ihr ein englisches Buch geschenkt, ungefähr mit dem Titel: ‚Wenn man mit einer Katholikin verheiratet ist‘. Es ist ein humorvolles Buch, das einige Situationen treffend wiedergibt. Ich stehe zum Beispiel sonntags auf und sage: ‚Endlich! Heute fahre ich angeln!‘ Und deine katholische Partnerin flüstert dir ins Ohr: ‚Liebster, lass uns ein Stündchen später fahren. Die Kinder und ich wollen zur Messe gehen.‘ Der Liebste fährt also eine Stunde später ab, und als er zu seinem Angelplatz kommt, ist dieser – wie befürchtet – von einem anderen Angler in Beschlag genommen, der wohl Atheist sein muss und verheiratet mit einer Dame, die ebenso atheistisch ist wie er …

Unser Motto: Viel sprechen und das sofort! – Aber Schwieriges braucht Zeit!

Aber Spaß beiseite, das Einzige, wobei es uns schwerfällt, uns zu einigen, ist der Plan für die Sommerferien. Ich arbeite als Berater und bin spezialisiert auf komplexe Organisationen. Ferien mit Kindern – das ist fürwahr eine komplexe Organisation! Über Glaubensfragen diskutieren wir nicht und noch weniger vor ihnen. Unser Motto lautet: einander respektieren und miteinander sprechen. Viel sprechen und sofort. Und den schwierigen Themen muss man die Zeit widmen, die nötig ist. Das Geheimnis heißt: einander lieben, sich mit Respekt behandeln, dem anderen zuhören und versuchen, sich in ihn hineinzuversetzen. Und manchmal muss man um Verzeihung bitten. Das tun wir nicht immer, aber wir versuchen es wenigstens. Und wenn sie mir sagt, dass sie bestimmte Dinge tut oder nicht tut, weil sie katholisch ist, dann antworte ich ihr oft, dass viele dieser Dinge universal sind, sie gehören zum Menschsein, und dass auch Atheisten Grundsätze haben. Ich weiß schon: Die Katholiken haben einige besondere Dinge wie die Sakramente. Aber ansonsten sind Lola und ich uns in allem einig – trotz unserer unterschiedlichen Vorlieben und Denkweisen.

Die Erziehung der Kinder – sie sollte aus einem Guß sein

Mir ist wichtig, dass meine Kinder … (Lola zieht wieder eine Schnute)… pardon, dass unsere Kinder integre Personen werden. Dass sie aus einem Guss sind, wie Lola es nennt, und dass sie ihrem Denken entsprechend handeln und nicht umgekehrt. So nenne ich es. Es ist nicht leicht, sie hier in Norwegen so zu erziehen, denn es ist wahrscheinlich das reichste Land der Welt. Mit achtzehn Jahren hat jedes norwegische Mädchen und jeder Junge ein Recht darauf, dass Vater Staat ihnen eine Wohnung bezahlt und ein Stipendium gibt, das ihnen ermöglicht, unabhängig zu leben – in einem Alter, in dem sie noch nicht reif genug dafür sind. Dann ziehen sie mit ihrem Freund oder ihrer Freundin zusammen und bei der ersten Schwierigkeit trennen sie sich, weil sie nichts aushalten können. Sie sind nicht bereit, Opfer für den anderen zu bringen, und können zu sich selbst nicht ‚Nein‘ sagen. Da wir im Land nur wenige sind und viel Erdöl haben, können wir hohe Sozialleistungen abgeben und haben einen hohen Lebensstandard. Das hat dann zur Folge, dass ein junger Norweger, wenn er drei oder vier freie Tage hat, sich ins Flugzeug setzt und das Wochenende in New York oder auf einem Atoll im Pazifik verbringt, anstatt wie viele andere Jugendliche auf der Welt mit Freunden in die Berge oder an den Strand zu fahren. Und wenn er zum Skilaufen fährt, dann nicht in Norwegen, wo wir Schnee genug haben, nein, er muss zum Mont Tremblant nach Kanada fliegen oder nach Aspen Snowmass in Colorado … In Hinblick auf diese Situation haben Lola und ich ein paar Maßnahmen ergriffen. Ob sie helfen oder nicht – es sind jedenfalls unsere eigenen. Wir wollen unsere Kinder in den Werten erziehen, von denen Lola sagt, dass es zugleich menschliche und christliche Werte sind. Ich nenne sie menschlich und das genügt. ‚Im Grunde meinen wir dasselbe‘, sagt sie. ‚Na prima‘, sage ich und deshalb wenden wir diese Maßnahmen an. Wir diskutieren wenig. Man könnte uns glatt den Friedensnobelpreis geben!

Unsere Erziehungsmaßnahmen: kein Smartphone, kein Fernsehen!

Und das sind unsere Maßnahmen, jetzt halt dich fest: Unsere kleinen Kinder haben kein Smartphone. Sie sind die Einzigen in ihren Klassen, die keins haben, aber das ist uns völlig schnuppe. Und das wissen sie auch. Wenn es ein Problem gibt, finden sie immer ein Telefon in ihrer Nähe; denn ihre Freunde – von sechs, sieben oder acht Jahren – haben nicht nur ein Handy, sondern ihre Eltern kaufen ihnen das neueste Modell, sobald es da ist. Wir sehen auch nicht fern. ‚Manchmal gibt es sehr interessante Sendungen‘, hört man. Das stimmt sicher – aber eben nur ‚manchmal‘. Wir stellen das Fernsehen selten an und stattdessen tun wir etwas anderes, sehr Wichtiges, das bei eingeschaltetem Fernseher nicht geht: Wir reden miteinander. ‚Unser Gerät ist kaputt‘, sagte neulich einer unserer Kleinen einem Freund, als dieser ihn fragte, warum es nicht laufe. Uns ist es lieber, dass das Fernsehen weiterhin kaputt ist, als dass es die Kinder kaputt macht.

Mehrere Kinder leben in einem Zimmer – viel Ausrüstung gibt es nicht

Unsere älteren Kinder teilen sich ein Zimmer. Zwei Kinder wohnen zusammen, wenn nötig, auch drei. Auch das gibt es in ihren Klassen sonst nicht. Ihre Schulfreunde haben meist jeder zwei Räume zur Verfügung: einen mit Bett, dem Tisch mit Computer, Bücherregal, Musik-CDs, Videospielen, Kopfhörern und tausend Dummheiten in verschiedenen Farben und Formen. In dem anderen Zimmer ist alles mögliche Sportzeug. Und da diese Jugendlichen viele Sportarten ausüben, brauchen sie Schuhe, Bälle, Mützen, Helme, Leggings, Sweatshirts, spezielle Handschuhe, Baseball-Schläger … Soll ich noch mehr aufzählen? Pfeile, Bögen, Zielscheiben und natürlich einen Tischtennistisch. Und dabei habe ich noch nichts gesagt über Kanus, Fahrräder, Skier, Surfbretter, Zelte, die in der Garage stehen. Ist das nicht verrückt? Ich bin Marketing-Experte und mein Job heißt: verkaufen. Ich bin sehr sportlich und gehe gerne mit meinen Kindern segeln. Aber ich erlebe, dass manche Eltern ihren Kindern so vieles kaufen, dass sie und die Kinder das richtige Maß verlieren. Einer meiner Freunde schämte sich vor Kurzem, weil er zu Hause nicht – wie alle anderen – eine Bar mit allen möglichen Getränken hat, wenn seine Freunde ihn besuchen.

Fünf Kinder? – Das sind sicher Katholiken!

Neulich hatten wir eine Feier in dem Unternehmen, in dem ich zusammen mit mehr als zweihundert Leuten arbeite. Ein Mitarbeiter fragte: ‚Wer von euch hat zwei Kinder?‘ Es waren nur wenige, die sich meldeten, und noch weniger hatten drei oder vier Kinder. Schließlich fragte er, in der Meinung, dass sich niemand mehr melden würde: ‚Und fünf?‘ Eine Kollegin und ich hoben die Hand. ‚Das sind sicher Katholiken‘, flüsterte man um uns herum. Vorhin habe ich von dem Etikett gesprochen, das meine Kollegen mir aufkleben, wenn ich ihnen sage, dass ich fünf Kinder habe und meine Frau Lola heißt. Ich habe dir aber noch nicht verraten, was sie mich danach noch fragen: ‚Aber die Kinder sind nicht alle von derselben – oder?‘ Nein, ich bin nicht gläubig, sondern ungläubig oder Agnostiker, wie Lola sagt, aber ich denke, dass wir sowohl als Gläubige wie als Ungläubige unsere Denkweise in vielerlei Hinsicht ändern müssen. Beispielsweise in Hinblick auf die Erziehung der Kinder. In Norwegen geht es uns wirtschaftlich gut, aber die Atmosphäre am Arbeitsplatz ist vom Wettbewerb geprägt und bedeutet immer eine Herausforderung.

Manch einer verwechselt Glück mit Komfort

Wir waren ein Seevolk, das jahrhundertelang durch große Anstrengung, Nüchternheit und Opfergeist überlebt hat. Das sind Haltungen, die sich nicht so leicht improvisieren lassen. Und das Leben kann sich sehr schnell ändern. Vor vier Jahren war ich von einem Tag auf den anderen plötzlich arbeitslos, da die Firma, die supersolide schien, Bankrott machte. So ist es Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ergangen. Ich habe – wie andere auch – sehr hart arbeiten müssen, um wieder hochzukommen. Das sind die Werte, die ich meinen Kindern vermitteln möchte, damit sie nicht denken, nur wenn sie Haus, Privatflugzeug und eine Yacht haben, könnten sie glücklich sein. Manch einer verwechselt Glück mit Komfort. Das erklärt, warum viele Norweger sich wundern, wenn sie in andere Länder reisen, mit welcher Freude viele Arme leben, einer Freude, die ihnen häufig fehlt, obgleich sie alles haben.

José Miguel Cejas: Warmer Nordwind: Lebenszeugnisse von Christen in den nordischen Ländern / aus dem Spanischen von Helga Kegel und Janni Büsse, 1. Auflage, fe-Medienverlag, Kisslegg 2018 (mit freundlicher Genehmigung)