Gegen den Raub der Freiheit

In seinem Beitrag für die Deutsche Tagespost setzt sich Fontán mit der politischen Einstellung spanischer Katholiken zur Diktatur auseinander.

Der Autor, Journalist und Ordinarius für lateinische Philologie in Madrid, gehört der Prälatur Opus Dei an. In den sechziger Jahren war er als Chefredakteur der Zeitung „Madrid” einer der bekanntesten Oppositionellen gegen Franco. Nach dem Ende der Diktatur wurde er 1977 in den spanischen Senat, die erste Kammer des Parlaments, gewählt und war als dessen erster Präsident maßgeblich an der Ausarbeitung der demokratischen Verfassung des Landes beteiligt. In seinem Beitrag für die Deutsche Tagespost setzt sich Fontán mit der politischen Einstellung spanischer Katholiken zur Diktatur auseinander.

Das autoritäre Franco-Regime von 1936 bis 1975 hatte bei seinem Entstehen von katholischer Seite zunächst keinen scharfen Gegenwind zu befürchten. Das war nicht zuletzt in der blutigen Tatsache begründet, dass die besiegte „Volksfront” – Linksrepublikaner, Sozialisten, Kommunisten – ehemals eine grausame Kirchenaggression entfesselt hatte. Im „republikanischen” Spanien wurden zu Beginn des Bürgerkrieges mehr als sechstausend Geistliche, darunter dreizehn Bischöfe, ermordet. Einiges spricht dafür, daß die Mehrzahl der Mordanschläge auf das Konto von Extremisten ging, die jedoch teilweise zumindest mit der stillen Duldung der damaligen politischen Führung rechnen konnten.

Nach der Machtergreifung durch Franco wurde der diskriminierenden Kirchenpolitik ein Ende gesetzt. Man begann mit dem Wiederaufbau von Kirchen und Klöstern, die nach dem Bürgerkrieg in Schutt und Asche lagen. Die Jesuiten erhielten die von den Republikanern beschlagnahmten Güter zurück. Private, meist konfessionelle Schulen wurden den staatlichen Einrichtungen gleichgesetzt, in den Klassenräumen durften wieder Kruzifixe angebracht werden. Die Ehegesetzgebung richtete sich nach den kirchlichen Orientierungen.

So konnten die Katholiken in ihren konfessionellen Belangen nach harter Probe wieder aufatmen. Das -war aber auch schon alles, wenn man sich vor Augen führt, dass das Regime des „Generalísimo” mit autoritärer Hand Freiheitsrechte beschnitt oder völlig unterdrückte, die dem einzelnen als Mensch zukommen: darunter die Freiheit der Versammlung, der Meinung, der Presse. Dass man dennoch nicht scharenweise auf die Barrikaden ging, hatte gewiss viel mit der konfessionellen „Einbindung” zu tun, aber auch mit der allgemeinen Konfliktmüdigkeit nach dem Bürgerkrieg. In weiten Teilen der spanischen Bevölkerung hielt man das Franco-Regime für eine „Übergangslösung”, das neuen Eskalationen vorbeugen sollte, indem es in dem demokratisch noch unerfahrenen Land zunächst einmal ein Machtvakuum verhinderte.

Liberalisierung von innen?

Als sich jedoch abzeichnete, dass es bei einer „Übergangslösung” nicht bleiben würde, mehrten sich die oppositionellen Stimmen im Lande. Neben den Kommunisten und Sozialisten waren auch organisierte Studenten- und Arbeitergruppen aktiv, die unter den Fittichen katholischer Organisationen agierten. Eine direkte Frontstellung nahmen diejenigen Katholiken ein, die das Regierungssystem für nicht reformierbar hielten. Andere versuchten, „von innen her” Reformen auf den Weg zu bringen. Ich selbst gehörte zu denen, die sich dem Regime direkt verweigerten. Als Chefredakteur der Tageszeitung „Madrid” exponierte ich mich von 1966 bis 1971 bei einer publizistischen Initiative katholischer Oppositioneller, die sich trotz der mittlerweile geringfügig gelockerten Pressegesetze in einem ständigen Kleinkrieg mit den Machthabern befand, der im Erscheinungsverbot des Jahres 1971 gipfelte.

Wir von der „Madrid” verstanden uns als Anwälte der öffentlichen Freiheit, insbesondere der politischen, gewerkschaftlichen Vereinigungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung. Zur Lösung der dringenden regionalen Fragen wie jener der Basken und Katalanen mussten unserer Meinung nach politische Strukturen geschaffen werden. Dabei ging es uns eigentlich um die Einführung der parlamentarischen Demokratie, um freie Wahlen und ein politisches Parteienspektrum:. Freiheit sollte nicht nur portionsweise, sondern umfassend gewährt werden.

Die Verlautbarung dieser Zielsetzungen bescherte uns einen Dauerkonflikt mit den unbeweglichen Vertretern der Falange, jener Einheitspartei, auf die Franco sein Regime von Anfang an gestützt hatte, der er aber gleichwohl keine unumschränkte Machtstellung totalitären Ausmaßes einräumte. Deren Funktionäre wandten die geltenden Pressegesetze äußerst restriktiv an. Oft genügten schon Andeutungen zwischen den Zeilen, um vom regierungsamtlichen Bannstrahl getroffen zu werden. Wir erhielten zahllose Geldbußen auferlegt, und die Tageszeitung durfte 1968 vier Monate nicht erscheinen, bevor sie schließlich 1971 ganz verboten wurde.

Andere Katholiken versprachen sich mehr davon, das Regierungssystem „von innen her” zu liberalisieren. Eine Möglichkeit dazu bot sich, als die ökonomische Situation Ende der fünfziger Jahre immer kritischer wurde und Franco händeringend nach Fachleuten suchte, die das Land aus der verfahrenen Planwirtschaft der Falange herausführen konnten. Schließlich bat er einige Nachwuchskräfte um Mitarbeit, die zum Teil eine hochkarätige Ausbildung in den Vereinigten Staaten und auch in der Bundesrepublik genossen hatten und fähig schienen, die lange überfälligen Wirtschaftsreformen einzuleiten. Unter ihnen waren neben anderen Katholiken auch einige Mitglieder des Opus Dei wie der spätere Handelsminister Alberto Ullastres oder Finanzminister Navarro Rubio.

Das System blieb unreformierbar

Als Parteilose standen sie im Kreuzfeuer der Falange-Funktionäre, die die Berufung der neuen Wirtschaftsfachleute mit großem Argwohn begleitet hatten. Sie beschimpften sie als „Technokraten", warfen ihnen vor, die Falange-Ideologie nicht zu teilen und unter dem Deckmantel ökonomischer Reformen weitergehende politische Veränderungen einführen zu wollen. Tatsächlich trugen nicht wenige Katholiken „im System” dazu bei, dass die individuellen Freiheitsrechte auch im Außerökonomischen nach und nach stärkere Berücksichtigung fanden.

Verärgert über die Liberalisierungstendenzen entfesselte die Falange schließlich eine organisierte Kampagne, auch gegen das Opus Dei, das in Kreisen der Einheitspartei als Nährboden für diverse reformerische Umtriebe galt. Dabei bediente man sich völlig ungeniert der gleichgeschalteten Parteipresse, in der das Opus Dei trotz seiner ausschließlich geistlichen Zielsetzung in immer neuen Varianten als politische pressure-group diffamiert wurde.

Der Opus Dei-Gründer Josemaría Escrivá schickte am 28. Oktober 1966 einen Brief an den Falange-Parteisekretär, José Solis, um sich über die ungerechtfertigten Vorwürfe zu beschweren. Dieses Dokument erhellt das Selbstverständnis der politisch aktiven Opus Dei-Mitglieder jener Zeit. Sie legten ihr oft genug gegensätzliches Engagement nicht wie andere im Auftrag oder Schutz einer religiösen Institution an den Tag, sondern in völliger Eigenständigkeit – als Verfechter ihrer jeweiligen Überzeugungen und Bürger ihres Landes.

„In allen zeitlichen Belangen und in jenen theologischen Fragen, die die Kirche dem Wettstreit der Meinungen anheim gestellt hat”, heißt es in dem Brief von Escrivá, denken und handeln die Mitglieder des Werkes nach eigenem Gutdünken, also so, „als ob sie nicht dem Opus Dei angehören würden”.

Dann warnt der Gründer des Opus Dei in seinem Brief an den Parteisekretär davor, „das Geistliche mit dem Irdischen zu verwechseln, wo es doch offensichtlich ist, dass die Leiter des Opus Dei nicht das Geringste unternehmen können, um die legitime und umfassende persönliche Freiheit der Mitglieder einzuengen“. Er weist auf die „ausschließlich geistlichen Ziele” des Werkes hin und bittet den Politiker abschließend, für seine Agitationen nicht etwas zu missbrauchen, das „über die menschlichen Leidenschaften erhaben” ist.

Wenn ich heute die Reformbestrebungen zur Zeit des Franco-Regimes im Hinblick auf ihren politischen Erfolg bewerten soll, würde ich für beide Richtungen Argumente finden. Ich will die Reformer „von innen” nach wie vor nicht verdammen und spreche ihnen auch nicht ab, dass sie unser Land letztlich demokratisieren wollten. Sicher haben diese Vertreter des so genannten Spät-Frankismus Liberalisierung in der Wirtschaft, Ordnung in der Verwaltung sowie Toleranz im öffentlichen Leben durchgesetzt und Spanien nach Europa hin geöffnet. Aber das System selbst, innerhalb dessen sie dienten, blieb zutiefst unreformierbar. Seine inneren Widersprüche traten allenthalben zutage, zum Beispiel bei der Meinungsfreiheit. Was nützt es, ein Gesetz zu verabschieden, wenn es anschließend willkürlich missachtet wird. Die Entwicklung hat der damaligen Opposition Recht gegeben, als das Regime nach dem Tode des Diktators erlosch und der Weg frei wurde von der Autokratie zur Demokratie.

Von Antonio Fontán, Deutsche Tagespost Würzburg 18. Mai 1991