Das Opus Dei im Kreuzfeuer spanischer Faschisten und Kleriker

Zur historischen Entstehung des „Geheimbund“-Klischees

Noch heute taucht bisweilen aus den Archiven etlicher Medien die Bezeichnung „Geheimorganisation“ auf, wenn vom Opus Dei die Rede ist. Wo liegt eigentlich der Ursprung dieses zählebigen Klischees? Licht in diese Frage bringt ein Aufsatz von Hans Thomas, langjähriges Mitglied des deutschen Opus Dei und Direktor des Kölner Lindenthal-Instituts. Der Aufsatz ist erschienen in Becker, Klaus / Eberle, Jürgen (Hrsg.), „Die Welt – eine Leidenschaft. Charme und Charisma des Seligen Josemaría Escrivá“, Eos-Verlag, St. Ottilien, 1993, S. 132-156. Wir drucken nachfolgend mit freundlicher Genehmigung des Autors einige Auszüge daraus ab, die unser Thema betreffen. Die Zwischentitel wurden hinzugefügt.

Im Jahre 1948 besuchte Alfonso Balcells in Madrid einmal Herrn Correa Veglison. „Ich bin froh“, sagte dieser ihm, „dass ich damals nicht erfahren haben, dass Prälat Escrivá in Barcelona war. Nach allem, was man von ihm hörte, hätte ich die Polizei geschickt, um ihn festnehmen zu lassen.“ Damals – und das war nicht in der roten Zeit der Republik, sondern 1940-41, zur Zeit des sich etablierenden Franco-Regimes war Correa Veglison Zivilgouverneur von Barcelona gewesen und Alfonso Balcells gerade mit dem Medizinstudium fertig. Er war in der katholischen Jugend kein Unbekannter, selbst gar nicht Mitglied des Opus Dei. Aber er hatte seinen jüngeren Freunden geholfen und auf seinen Namen die Wohnung gemietet, die als erstes Zentrum des Opus Dei in Barcelona diente.

Für traditionell-katholische Kreise eine ketzerische Neuerung

Das hatte genügt, um spektakulär als „Judas“ der katholischen Jugend verwiesen zu werden. Die öffentliche Stimmung im katholischen Barcelona war gespannt. Anlass für den unverhältnismäßigen Wirbel war eine Handvoll Studenten. Sie bildeten das Opus Dei. Wie verquer man in Barcelona über dieses Neue dachte, erzählt schmunzelnd Don Amadeo, damals noch Student, der sich in Valencia dem Opus Dei angeschlossen hatte.

Amadeos Mutter war 1941 von Valencia nach Barcelona gereist. Dort erhielt sie Besuch von einem ihr zwar empfohlenen, aber persönlich bislang unbekannten Herrn. Der Besucher eröffnete ihr, dass ihr Sohn Amadeo in großer Gefahr sei, für ewig verloren zu gehen, wenn sie ihn nicht von dem schlechten Weg abbringe, auf den er geraten sei. Er habe sich nämlich dem Opus Dei angeschlossen. Das Opus Dei, so wurde von einschlägigen kirchlichen Kreisen in Barcelona eifrig ausgestreut, sei eine ketzerische Sekte. […]

Politisch nicht gleichschaltbar

Der Zeitgeist blies bekanntlich damals in andere Richtung als heute, kulturell wie politisch. Die Vorstellungen waren im Monolithischen, im Einheitsparteidenken verhaftet, nicht nur in Deutschland. Spanien formierte sich nach dem Bürgerkrieg zu einem Staat, der stark vom Freund/Feind-Denken geprägt war. Das Katholische wurde betont und war gesellschaftlich privilegiert. Wer sich als Katholik für die politischen Zwecke, also für die so „gut-katholische“ nationale Sache nicht einspannen ließ, geriet in Verdacht der Verweigerung oder Opposition, wenn nicht gar der Subversion. Nun war da dieser zudem in katholischen Kreisen so umstrittene Padre Escrivá, der doch angeblich so bemüht war, junge Leute zu einem intensiven Glaubens- und Gebetsleben zu führen. Und der verweigerte offenkundig den Gruppeneinsatz seiner Leute für die gemeinsame nationale Sache.

[…] Ein solcher Pluralismus katholischer Laien im Zeitlichen wird heute im katholischen Deutschland noch kaum verstanden. Erst recht wurde er im katholischen Spanien 1940/41 nicht verstanden. Er erregte Anstoß und galt als subversiv. Die Turbulenzen, ausgelöst durch die „Kritik der Guten“, wie sich der Selige [d. h. der 1992 selig gesprochene Escrivá] damals auszudrücken pflegte, wenn er von Anfeindungen etwa von Kirchenleuten sprach, die damit womöglich „Gott einen Dienst zu erweisen meinten“, mobilisierte bald auf einer ganz anderen Schiene neue Zweifel und Gegnerschaften, vor allem seitens der politischen Rechten, die die Mitglieder des Opus Dei, weil sie nicht en groupe verfügbar waren, „vaterlandslose Gesellen“, „Internationalisten“, ja „Freimaurer“ schimpften. […]

Politische Absichten, die dem Opus Dei selbstverständlich unterstellt wurden, waren nicht erkennbar. Also, so die Schlussfolgerung, war das Werk „geheim“. Die griffigen Vokabeln „Geheimbund“, „Freimaurerei“ alias „Santa Mafia“ stammen also fast ausschließlich aus diesem Szenario des sich etablierenden Franco-Regimes.

Jüdische Zeitung: „Ein Produkt faschistischer Phantasie“

Diese Frühgeschichte der öffentlichen Kritik erzähle ich aus drei Gründen. Erstens enthält sie alle Ingredienzien, die die spätere Medienkritik, ob in Spanien oder anderswo, nur wiederholt. Noch 1970 schreibt die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung in Düsseldorf in einem Bericht über Spanien: „Es sind die gleichen Elemente von ganz rechts, die auf die katholische Organisation ‚Opus Dei’ ganze Kübel von Unrat ausgießen und ihr eine Geheimbündelei unterstellen, die sich, auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft, als ein Produkt faschistischer Phantasie erweist.“ „Seit vier Jahren“, so KNA am 28.10.70, „schwillt die Flut der Angriffe an, die aus dem rechten Lager kommen und von den Linken kritiklos aufgenommen werden. Es geht gegen die 1928 von dem spanischen Priester José M. Escrivá de Balaguer gegründete Organisation ‚Opus Dei’ … ‚Opus Dei’, so verbreitet die Falange, kontrolliere Politik, Universitäten, die Großbanken und zahlreiche Schlüsselunternehmen Spaniens, unterdrücke die Meinungsfreiheit und konspiriere wie ein ‚Freimaurerbund’. Gedankenlos werden diese Klischees von Spaniens unterdrückter Linker nachgeplappert, die Rechte kann mit diesem Schachzug davon ablenken, dass sie ihr politisches Monopol behalten will.“

Zweitens hat es wohl später nirgendwo mehr Anfeindungen von der Schärfe und Unversöhnlichkeit gegeben wie sie in Spanien 1940/41 an der Tagesordnung waren […]. Übrigens wurden schon damals auch „Psychotechniken“ erfunden, die das Werk, wie es 1983 „enthüllt“ wurde, anwende, um Minderjährige gefügig zu machen: 1941 sagte man, Padre Escrivá hypnotisiere die Jungen.

[…] Mir scheint es immer deutlicher zu sein, dass der medienkritische Gegenwind ganz unvermeidlich aufkommt, wo immer das Werk apostolische Früchte bringt. Das war bei anderen Neuaufbrüchen in der Kirche in anderen Epochen nicht anders. Da muss man einfach durch. Wenn die Öffentlichkeit hierzulande sich schlicht daran gewöhnt hat, dass es das Opus Dei gibt, wie sie sich seit über 1000 Jahren an die Benediktiner und seit 700 Jahren an die Franziskaner und Dominikaner gewöhnt hat (ohne übrigens in der Regel mehr über sie zu wissen als über das Opus Dei), wird sich in Medien und Öffentlichkeit vermutlich eine Art normaler Pegel von Lob und Kritik einstellen. Das kann man schon spüren. Wichtig für uns im Opus Dei ist, immer wieder zu prüfen, ob Anfeindungen ausgelöst werden durch eigene Dummheiten, Unzulänglichkeiten, Unklugheiten oder Fehler, die ja auch nie ganz zu vermeiden sind, oder eben durch die Herausforderung, um die es eigentlich geht: Heiligkeit, praktizierter Glaube in Familie, Beruf, Gesellschaft; Apostolat.

Escrivás Reaktion auf die Angriffe

Drittens ist es wichtig zu wissen, für alle, aber vor allem für uns, wie der selige Josemaría seinerzeit in Barcelona und später anderswo auf Kritik und Anfeindungen reagiert hat. Dass er damals allein mit einer Handvoll junger Leute ums sich herum und kaum kirchlicher Rückendeckung unter dem Sperrfeuer viel gelitten haben muss, persönlich wie vielleicht noch mehr wegen der ihm Anvertrauten, dürfte auf der Hand liegen. Mittel, sich zu wehren, hatte diese kleine Herde nicht. Ich selbst bin ihm erst zwischen 1965 und 1975 häufiger persönlich begegnet. Zu meinen unauslöschlichen Eindrücken gehört aber, wie er mit Anfeindungen umzugehen verstand, genauer, mit denen umzugehen verstand und umzugehen lehrte, die ihm oder dem Werk am Zeuge flickten. Als Numerarier des Opus Dei bekenne ich so etwas wie Stolz darauf, jemanden im geistlichen Verständnis meinen „Vater“ nennen zu dürfen, der sofort verzieh, ohne einen Fehler deswegen gutzuheißen, vielmehr alles tat, ihn aus der Welt zu schaffen; der einräumte, der Gegner könne womöglich eine gute Absicht haben, obgleich er alles andere war als naiv; vor allem aber: Er unterschied spontan, ob ein Angriff ihm, dem Werk oder der Kirche galt, und fand stets einen Ausweg, sich selbst und niemals Christus als Zielscheibe anzubieten. […]